Lateinamerika-Forscher Thomas Fischer verabschiedet sich nach 35 Semestern von der KU

35 Semester hat Prof. Dr. Thomas Fischer an der KU zur Geschichte Lateinamerikas geforscht und gelehrt. Als Direktor des Zentralinstituts für Lateinamerikastudien prägte er dessen Entwicklung maßgeblich. Der binationale Masterstudiengang „Conflict, Memory and Peace“, der von der KU gemeinsam mit der kolumbianischen Universidad del Rosario angeboten wird, wurde von ihm konzipiert. Nun geht Thomas Fischer in den Ruhestand. Vor Kolleginnen und Kollegen, akademischen Schülern, Freunden und Weggefährten gab er mit seiner Abschiedsvorlesung nochmals einen Einblick in seine Forschung.

Mit dem Abschied von Thomas Fischer aus dem aktiven Dienst verliere die Universität einen fachlich und persönlich hochgeschätzten Kollegen, sagte der Dekan der Geschichts- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät, Prof. Dr. Klaus Brummer, bei der Feierstunde. Fischer habe die KU national und international „auf die Landkarte der Lateinamerikaforschung gesetzt“ – nicht zuletzt durch seine mehrjährige Arbeit als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Lateinamerikaforschung – der Fachgesellschaft gehören rund 30 Forschungsinstitute und mehr als 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an, die schwerpunktmäßig zu Lateinamerika forschen. Auch hob Brummer das Engagement Fischers für das Zentralinstitut für Lateinamerikastudien (ZILAS) heraus. Fischer hatte das KU-Forschungsinstitut seit 2009 als Direktor geleitet – zuletzt gemeinsam mit der Romanistik-Professorin Miriam Lay-Brander. Das ZILAS, 1986 gegründet, trägt durch Forschung, Lehre sowie Service- und Transferleistungen zu einem besseren Verständnis zentraler gesellschaftlicher Bereiche und Vorgänge sowie wichtiger kultureller Phänomene in Geschichte und Gegenwart der Länder Lateinamerikas bei.

Verabschiedung Thomas Fischer
Dekan Klaus Brummer, Thomas Fischer und Vizepräsident Klaus Stüwe

Ergänzend zum bestehenden Bachelor-Studiengang Lateinamerikastudien entwickelte Fischer das Masterprogramm „Conflict, Memory and Peace“, in dem Studierende analytische und praktische Kompetenzen der Friedens- und Konfliktforschung erwerben. Ein Jahr verbringen die Studentinnen und Studenten dabei an der kolumbianischen Universidad del Rosario – und erwerben am Ende des viersemestrigen Double-Degree-Programms zwei Abschlüsse. Die Existenz dieses innovativen Studiengangs sei zu großen Teilen dem Einsatz von Thomas Fischer zu verdanken, der das Masterprogramm „wider alle bürokratischen Hürden“ konzipiert und maßgeblich getragen habe, sagte Brummer. Der Dekan verwies auch darauf, dass sich Thomas Fischer als Betreuer von Dissertationen große Verdienste erworben habe. Rund 30 Promotionsverfahren begleitete er während seiner Zeit an der KU. Die „Fischer-Schüler“ würden das Fachgebiet auf diese Weise künftig mitprägen, so Brummer.

Thomas Fischer, im schweizerischen St. Gallen geboren, studierte Geschichte, Germanistik, Medienwissenschaft und Pädagogik für das Lehramt in Bern, wo er anschließend als Referendar und dann als Assistent am Lehrstuhl für Neuere Allgemeine Geschichte der Universität Bern tätig war. Für ein Jahr ging er als Stipendiat des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung für Forschungsaufenthalte nach Bogotá, Medellín und Chicago, ehe er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Erlangen-Nürnberg wurde. Seine Promotion schloss Fischer 1994 an der Universität Bern ab, wohin er 1996 nochmals als Assistent wechselte und an seiner Habilitationsschrift zum Thema „Lateinamerika und der Völkerbund – schwache Staaten und kollektive Sicherheit, 1920-1936“ arbeitete. 2002 erwarb er die Venia Docendi für Neuere Allgemeine Geschichte. Bei einem Projekt über „Ausländische Unternehmen und einheimische Eliten in Lateinamerika in Geschichte und Gegenwart“ arbeitete Thomas Fischer mit Hans-Joachim König, dem damaligen Inhaber des Lehrstuhls für die Geschichte Lateinamerikas an der KU zusammen und knüpfte so erste Kontakte nach Eichstätt. Nach Lehrstuhlvertretungen in Erlangen und Hamburg, Lehraufträgen unter anderem in Bern und Heidelberg sowie einer weiteren Tätigkeit als Oberassistent an der FAU wurde Thomas Fischer 2008 als Professor für Geschichte Lateinamerikas an der KU berufen. 

Thomas Fischer

Bei seiner Abschiedsvorlesung gab Fischer einen Einblick in einen Ausschnitt rund um die Geschichte des Panama-Kanals. In seinem Vortrag richtete er den Blick auf das Volk der Guna – eine indigene Bevölkerungsgruppe, die ursprünglich aus dem heutigen Kolumbien stammte, im 17. Jahrhundert aber vor den Spaniern nach Norden geflüchtet und im karibischen Küstengebiet im heutigen Panama sesshaft geworden war. Eine Expedition US-amerikanischer Navy-Soldaten unter Führung von Admiral Thomas Oliver Selfridge, die 1870 das Küstengebiet im Hinblick auf die Eignung für den geplanten Bau eines Kanals zwischen dem Pazifik und dem Atlantik erkundeten, bewog die indigene Gemeinschaft dazu, eine Delegation auf eine Reise nach Bogotá zu entsenden. Dort sprachen sie bei der kolumbianischen Regierung vor, protestierten gegen die fremden Eindringlinge und versuchten so ihre weitere Souveränität abzusichern. 

Fischer zeichnete in seinem Vortrag die Begegnungen der Guna mit den US-Amerikanern als auch mit der kolumbianischen Regierung nach. Das Vorsprechen der Guna in Bogotá, ausgelöst durch die Selfridge-Expedition, sei für ihn „mehr als nur eine nette Anekdote“, sagte Fischer über seine Darstellung dieses Ausschnittes aus der facettenreichen Geschichte rund um den Kanal und den später unabhängigen Staat Panama. Vielmehr sei es ein Beispiel dafür, was Globalisierung mit den damit verbundenen Ungleichheiten aus der Sicht von Menschen in Grenzräumen bedeute. Das von Fischer gewählte historische Beispiel war übrigens eines mit Happy End, zumindest aus der Perspektive der Guna: Der Kanal wurde später nicht in ihrem Gebiet gebaut, und das Volk erhielt umfassende Autonomierechte.