Deutsch-japanisches Projekt zu Lernformen in Grundschulen

Kooperative Lernformen wie Partner- oder Gruppenarbeit gehören an vielen Schulen inzwischen zum Unterrichts­alltag. Doch wie effektiv sind diese Lern­formen? Jeder kennt den so­genannten Tritt­brett­fahrer­effekt, der auftritt, wenn einige Gruppen­mitglieder das Heft in die Hand nehmen und andere Mitglieder, die sie für weniger fähig halten, ignorieren. Das gilt auch für den "Schmarotzereffekt," bei dem sich einzelne Gruppenmitglieder zurücklehnen und erwarten, dass die anderen die Arbeit übernehmen. Das wirft die Frage auf, wie Schülerinnen und Schüler das Arbeiten mit Peers in kooperativen Lernformen erfahren und einschätzen. Diesem Thema widmet sich das Projekt „Cooperative Learning in Japanese and German Elementary Schools“ des Lehrstuhls für Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik unter der Leitung von Prof. Dr. Klaudia Schultheis und Prof. Dr. Yuri Ishii vom Department of Education for International Understanding der Yamaguchi University in Japan. Das Projekt mit einer Laufzeit von zwei Jahren wird vom DAAD in der Programmlinie PAJAKO mit 45.000 € gefördert.

Relevante internationale Untersuchungen zur Wirksamkeit kooperativer Lernformen sind mittlerweile 20 Jahre alt. Neuere Metastudien zeigen Diskrepanzen in den Ergebnissen auf. Zudem gibt es so gut wie keine qualitativen Untersuchungen, die Rückschlüsse auf die Erfahrungen und Wertungen der Schüler(innen) mit und über das soziale Lernen mit Peers in Gruppen oder in Einzelarbeit zulassen würden. "Wir wissen nicht, inwieweit sich Grundschulkinder durch Gruppenzusammensetzungen benachteiligt oder motiviert fühlen können. Es gibt bislang kaum Erkenntnisse dazu, wie sich Geschlechter- und Leistungsdifferenzen auf die Arbeit mit Partnern oder in der Gruppe aus der subjektiven Perspektive der Kinder auswirken, welche Faktoren das Interesse an den Lerninhalten verstärken oder beeinträchtigen und worin motivierende oder demotivierende Aspekte von Gruppen- und Partnerarbeit liegen", erläutert Professorin Schultheis.

Gerade mit dem Einzug der digitalen Medien in den Unterricht stellt sich die Frage neu: Lernen an und mit dem Computer, Tablets und dem Internet findet häufig auch individuell statt. Individuelle und soziale Lernformen mit den digitalen Medien entwickeln sich in der Praxis gegenwärtig auf der Basis der vorhandenen Erfahrungen weiter. Von Bedeutung wären hier Erkenntnisse über Schülererfahrungen, die Rückschlüsse auf die individuellen und sozialen Lernprozesse in der Schulklasse ziehen lassen. Eine weitere Fragestellung betrifft das Thema der Inklusion in heterogenen Schulklassen. Wie erfahren Kinder mit Beeinträchtigungen oder Kinder mit Migrationshintergrund die unterschiedlichen unterrichtlichen Sozialformen? Auch Geschlechterunterschiede sind hier relevant: Bevorzugen Grundschulkinder geschlechtergemischte oder geschlechterhomogene Gruppen und wie begründen sie ihre Aussagen?

Interessant ist der internationale Vergleich zwischen Japan und Deutschland, weil asiatische Schülerinnen und Schüler, darunter auch die japanischen, im Vergleich zu den deutschen in der TIMSS Studie, aber auch z.B. bei den Michigan-Studien oder der Scholastik-Grundschulstudie ein viel höheres Leistungsniveau erreicht hatten. Vorherrschend ist in Japan ein problemlösender, fragend-entwickelnder Unterricht, der die Schülerinnen und Schüler aktiv in die Entwicklung eines Lernthemas einbezieht. Gleichzeitig fokussieren die öffentlichen Schulen in Japan auf die Gestaltung einer Atmosphäre der kollektiven und kooperativen Harmonie, die im Widerspruch zur Wettbewerbsorientierung der am Nachmittag besuchten Vor- und Nachbereitungsschulen steht. Die Frage ist zudem, welche Rolle die hohe Wertschätzung von Erziehung und Bildung, von Anstrengungsbereitschaft und Lernmotivation in von Konfuzianismus und Kollektivismus geprägten Land wie Japan spielt. Der Einbezug des gesellschaftlichen und kulturellen Hintergrunds in die untersuchte Fragestellung macht den Vergleich beider Länder in hohem Maße interessant.

Im Rahmen des Projekts, an dem auch die Lehrstuhlmitarbeiterinnen Dr. Petra Hiebl und Dr. Sina Westa mitwirken, werden zusammen mit japanischen und deutschen Studierenden sowie Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern zwei Studien durchgeführt. Sie haben zum Ziel, Aufschluss zu geben über die subjektive Sichtweise der Kinder auf häufig angewendete Sozialformen im Unterricht, um daraus Rückschlüsse für eine bessere Unterrichtsplanung und damit für die Verbesserung der Unterrichtsqualität ziehen zu können. In methodischer Hinsicht kombiniert die Studie einen quantitativen und qualitativen Zugang. Zur methodischen Schulung der Studierenden wird ein Blended-learning-Kurs eingesetzt. Hier knüpft das Projekt an ein vorangegangenes PAJAKO-Projekts an, in dem eine Konzeption für gemeinsames internationales Lernen im Rahmen des „International Projects (IPC)“ entwickelt wurde. Das Projekt fördert das Prinzip des Forschenden Lernens und die Internationalisierung der Lehrerausbildung an beiden Universitäten und ermöglicht die Vernetzung von PostDoc Students und Nachwuchswissenschaftler(innen) beider Länder.