Die Bedeutung der Imagination für das politische und kulturelle Handeln

GraKo Practicing Place
© Christian Klenk

Promovenden und internationale Gäste haben sich bei einer Tagung in Eichstätt wissenschaftlich mit der Bedeutung der Imagination für das politische und kulturelle Handeln in unserer Gesellschaft befasst. Das Symposium „Practices of Imagination – Placings of Imaginaries” wurde vom DFG-Graduiertenkolleg „Practicing Place“ veranstaltet und markierte zugleich den Abschluss der ersten Förderphase dieses KU-Kollegs.

Helen Hester, Professorin für „Media and Communication“ an der London School of Film, Media and Design, ging in ihrer Keynote auf die Bedeutung des jeweils eigenen sozialen Standpunkts und dessen Rolle für Vorstellungen von anderen Erfahrungswelten ein. In Anlehnung an feministische Theorien analysierte sie die Wechselwirkung zwischen Solidarität und Entfremdung. Während die eigene Perspektive auch die Vorstellungen von anderen Gruppen limitiere, ermögliche der Moment der Entfremdung ein Erkennen der eigenen Vorstellungsgrenzen. Passend zu diesen Thesen befassten sich die Vorträge des ersten Tagungstag mit den sozialen und kulturellen Einflüssen auf Vorstellungen – beispielsweise in indischer Literatur, im Zusammenhang mit der Abschaffung von Gefängnissen oder innerhalb kolonialer Wissensproduktion.

Der zweite und dritte Tagungstag stand im Zeichen von Zukunftsszenarien und -prognosen. Ein Team des Produktentwicklers Frog Design stelle eine Dating-App vor, die das Team für das Jahr 2075 gestaltet. Die Gruppe zeigte, wie aktuelle Geschehnisse Einfluss auf Zukunftsprognosen nehmen und wie die digitale Produktentwicklung darauf reagieren könnte. In einer weiteren Keynote sprach Soziologe Prof. Dr. Hannes Krämer von der Universität Duisburg-Essen über die Zukunftsszenarien der Agentur Frontex, welche die europäischen Außengrenzen überwacht. Krämer beschrieb die Argumentationsstrategien dieser europäischen Agentur und ihre Positionierung innerhalb europäischer Innenpolitik. Weitere Vorträge untersuchten die Vorstellungen von Traumhäusern, die Imagination von Vergangenheit und Gegenwart in iranischer Literatur sowie die Funktionsweisen von Gedankenexperimenten.

Im Laufe der viertägigen Tagung betonten die Vortragenden, dass Vorstellungen von dem, was sein könnte, unmittelbare Auswirkungen haben auf das tatsächliche Handeln von Nationen, sozialen Gruppen oder einzelnen Akteuren haben. Diese Vorstellungen sind Motivation für politisches Handeln und bekräftigen die Bedeutungen von verschiedensten Ausdrucksformen für das gesellschaftliche Zusammenleben.

Bereits am Vorabend des Auftakts zur Tagung war den Teilnehmenden, darunter 21 Gäste aus dem Ausland, der Film „Sollbruchstelle“ der international renommierten Dokumentarfilmern Eva Stotz gezeigt worden. Die Regisseurin war zu Gast und hielt am darauffolgenden Tag einen Vortrag zur Bedeutung biografischer Hintergründe für die Gestaltung ihrer Filme. In „Sollbruchstelle“ porträtierte sie ihren Vater, der nach 40 Jahren von seinem Arbeitgeber entlassen wurde. Gleichzeitige zeigt der Film die Erfahrung anderer Protagonistinnen und Protagonisten mit dem Arbeitsleben und dessen Herausforderungen.

Das DFG-Graduiertenkolleg „Practicing Place: Soziokulturelle Praktiken und epistemische Konfigurationen“ der KU besteht seit Frühjahr 2021 und beschäftigt sich mit der Reflexion von Ort und Raum angesichts von globalen Bewegungen, nationaler Abgrenzung und grenzenloser Kommunikation. Das Spektrum der beteiligten Fächer reicht von Literatur- und Kulturwissenschaften über Soziologie, Philosophie und Geographie bis hin zur Kunstgeschichte. Zum Graduiertenkolleg gehören aktuell zehn Doktorandinnen und Doktoranden, eine Post-Doktorandin, sieben Hochschullehrerinnen und -lehrer und 13 Assoziierte. Hinzu kommt ein breites Netzwerk an renommierten internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Es handelt sich an der KU um das erste von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Graduiertenkolleg, die das Konzept über viereinhalb Jahre hinweg mit rund drei Millionen Euro fördert.