Digitalisierung erleben: Zukunftsforum für Dialog zwischen Bürgern und Experten

Die Technische Hochschule Ingolstadt (THI) war einen Tag lang Schauplatz für das Zukunftsforum Digitalisierung. Die Veranstaltung, die von der THI und der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) im Rahmen des gemeinsamen Projekts „Mensch in Bewegung“ in Kooperation mit dem Regionalmanagement IRMA organisiert wurde, richtete sich an die Bürgerinnen und Bürger der Region Ingolstadt. Durch das neue Veranstaltungsformat sollen diese die Gelegenheit erhalten, sich zu informieren, in Workshops zu diskutieren sowie Politikern und Vertretern von Wirtschaft und Wissenschaft Fragen und Ideen mitzugeben. Über den Tag verteilt nutzten rund 500 Besucherinnen und Besucher die vielen Angebote.

Über den Humor brachte der Wissenschafts-Kabarettist Vince Ebert sein Publikum an der THI zum Nachdenken. In seinem Vortrag „Big Dadaismus. Mit gesundem Menschenverstand durch die Digitalisierung“ brachten Witze über selbstfahrende Autos oder Schimpansen vor dem Spiegel die Zuhörer zum Lachen. Diesen Zugang zu wissenschaftlichen Themen verband Ebert, der vielen aus seiner ARD-Fernsehsendung „Wissen vor acht“ bekannt ist, mit einem Plädoyer für einen sinnvollen Umgang mit der Digitalisierung. Vor einer Machtübernahme durch Künstliche Intelligenz müsse man keine Angst haben. „Computer rechnen, Gehirne verstehen, das ist der Unterschied“, erklärte er. Das Denken sei die evolutionäre Nische des Menschen. Unsere Stärke seien Kreativität und Anpassungsfähigkeit. Die Chancen der Zukunft liegen nach Eberts Meinung eben nicht in einer Wirtschaft, die durch Algorithmen zu immer mehr Effizienz getrieben wird, sondern in dieser Flexibilität und Kreativität. Für eine solche Arbeitsweise brauche der Mensch aber Zeit und Raum, einen „gewissen Schlendrian“.

Rund 140 Besucherinnen und Besucher beteiligten sich am Nachmittag des Zukunftsforums an vier Workshops zu verschiedenen Themen der Digitalisierung. Sie suchten den Austausch aus verschiedenen Gründen. Eine Teilnehmerin sagte, sie interessiere sich für das Thema Nachhaltigkeit, ein Interieur-Designer war auf der Suche nach einem neuen digitalen Geschäftsmodell. Eine Teilnehmerin aus dem Personalwesen einer Bank freute sich über Anregungen, wie man Mitarbeiter auf die sich ändernde Technik vorbereiten könnte. Die Methode des Zukunftsforum sah vor, dass die Teilnehmer Szenarien diskutierten – im Workshop „Mensch, Umwelt, Technik“ zum Beispiel, ob ein autonomer öffentlicher Nahverkehr mit Bus-Modulen, die sich nach Bedarf durch die Stadt bewegen, eine gute Lösung ist. Die Meinungen reichten von „Ich kann mir das gut vorstellen“ bis zu Bedenken, dass es gefährlich sein könnte, wenn autonom fahrende Busse mit dem „Faktor Mensch“ zusammenträfen. Weiter sprachen die Teilnehmer auch über Konzepte eines Stadtteil-Tauschladens oder Gemeinschaftsräumen wie einem Stadtteil-Waschhaus oder Werkstätten.

Im Workshop „Mensch und Maschine“ löste das Thema Künstliche Intelligenz (KI) eine Diskussion darüber aus, ob es richtig sei, eine Maschine medizinische Diagnosen treffen zu lassen. „Da ist die Grenze, sobald es um moralische Entscheidungen geht“, lautete eine Meinung. Weitere Themen waren „Kollege Roboter“ oder „Intelligente Fabrik“.

Beim Thema „Stadt der Zukunft“ stand  die Frage „Wie leben, wohnen und bewegen wir uns?“ im Mittelpunkt. Diskutiert wurden Szenarien wie „Smart Home“ oder „Shopping 4.0“ diskutiert.

Kontrovers ging es beim Thema „Mitreden, mitentscheiden, mitgestalten“ zu. Am Szenario „Inklusive Zugänge zu Engagement durch digitale Beteiligung“ entspann sich eine Diskussion darüber, dass es heutzutage doch ohnehin viele Möglichkeiten für Engagement gebe, sich aber weniger Menschen beteiligten. Die Teilnehmenden hielten fest, dass trotz helfender digitaler Werkzeuge der direkte Austausch zwischen Menschen für das Ehrenamt unerlässlich sei. Weitere Gesprächsthemen waren „Know-how-Spender“ oder „Crowdfunding für soziale Zwecke“.

Die Ergebnisse der Workshops wurden unter anderem in Form von Graphic Recording, einer Mischung aus Protokoll und bildlicher Verarbeitung, festgehalten.

Welche Mechanismen hinter dem menschlichen Kaufverhalten stecken, beleuchteten die Professoren Thomas Setzer (KU) und Christian Stummeyer (THI) mit einem Live-Experiment. Darin schenkten sie Freiwilligen aus dem Publikum je einen Cappuccino und einen Muffin. Andere Frewillige, die leer ausgegangen waren, sollten ein Gebot abgeben, wie viel sie für Heißgetränk und Gebäck bezahlen würden. Die Besitzer wiederum sollten einen Mindestverkaufspreis festlegen. Es stellte sich heraus, dass in sieben von zehn Fällen der Verkaufspreis der Besitzer höher lag als das Angebot der potentiellen Käufer. Der Grund sei, wie die Professoren erklären, der sogenannte Endowment-Effekt oder Besitztums-Effekt. Er besagt, dass man das Eigentum immer als wertvoller einstuft als Dinge, die einem nicht gehören.

Setzer und Stummeyer erläuterten außerdem, dass Plattformen wie Amazon die „decision fatigue“, die Entscheidungsmüdigkeit der Kundinnen und Kunden dazu ausnutze, um sie mit Vorschlägen sanft zu potentiell interessanten Produkten zu geleiten – „Nudging“ nenne man dieses Vorgehen. Eine große Rolle für das Kaufverhalten spiele auch die Tatsache, dass sich viel Einkäufe heutzutage risikofrei anfühlten, weil viele Händler großzügige Rückgabe- und Storno-Zeiträume einräumen oder Online-Einkäufe mit nur einem Klick zu tätigen seien und sich damit kaum mehr wie eine Transaktion anfühlten.

Viele praktische Tipps gab IT-Spezialist Erwin Markowsky aus München in seinem Vortrag „IT-Sicherheit zum Staunen“. Er zeigte dem beeindruckten Publikum live, wie leicht sich Smartphones und Laptops hacken und manipulieren lassen. Er griff über einen Trojaner auf Kamera und Mikrofon eines Laptops zu oder nahm fremde Identitäten an und verschickte darüber SMS.

Zum Abschluss des Tages tauschten sich Politik, Wirtschaft und Hochschulen in einer Podiumsdiskussion, moderiert von Donaukurier-Chefredakteur Stefan König, über die Chancen der Digitalisierung aus. Ingolstadts Oberbürgermeister Christian Lösel sagte: „Die Digitalisierung muss dem Menschen dienen.“ Sie biete Möglichkeiten, ein besseres Lebensumfeld, medizinische Versorgung und mehr Nachhaltigkeit zu schaffen. Letztlich müsse bei der Digitalisierung immer die Frage im Mittelpunkt stehen: „Wie verbessern wir unsere Lebensqualität?“

Martin Wild, Chief Innovation Officer der MediaMarktSaturn Retail Group, zeigte sich aus der Perspektive des Handels zuversichtlich: „Ich glaube nicht, dass der Offline-Handel, das stationäre Geschäft komplett aussterben wird, es muss sich anpassen.“ Es gehe heute darum, in den Geschäften ein Einkaufs-Erlebnis zu bieten.

Professor Jens Hogreve, Vizepräsident für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs an der KU, sagte, man müsse aufpassen, dass man die Digitalisierung nicht als „Arbeitsplatzschreck“ verteufle. Die Region sei mit zwei Hochschulen, die gut kooperieren, gut aufgestellt. Entscheidend sei, dass sich die Überlegungen nicht allein um die Technik drehen. Die Frage sei: „Wie bekommen wir den Menschen in diese Digitalisierungsdiskussion hinein?“

Auch Professor Thomas Suchandt, der Vizepräsident der THI, sah die Region als gut vorbereitet und führte als Argumente das Digitale Gründerzentrum und entsprechende Forschungszentren an. An der Hochschule müsse man bestehende Studiengänge aktualisieren, neue Studiengänge schaffen, das wissenschaftliche Personal lebenslang weiterbilden, den Kontakt zur Industrie halten und die Inhalte der Lehrveranstaltungen verändern. Fakten seien heutzutage schnell veraltet. „Wir müssen die Art und Weise des Lernens vermitteln: Wie gehe ich vor, um mir neue Inhalte anzueignen?“

Tobias Wagner, Mitgründer und Geschäftsführer des Start-ups „ChargeX“, brachte noch eine andere Perspektive in die Diskussionsrunde ein. Für eine erfolgreiche Entwicklung sei es wichtig, einen anderen Umgang mit Fehlern zu lernen. Die Gesellschaft verändere sich, scheitern werde heute anders bewertet, Deutschland hänge da aber noch hinterher. Start-ups könnten flexibler und schneller auf neue Entwicklungen reagieren als große Konzerne, sagte Wagner, der mit seiner Firma Aufladestationen für Elektro-Fahrzeuge entwickelt. „Man muss das Risiko mögen“, sagte er über das Arbeiten in einem Start-up. In der Ausbildung sei für diese flexible Form des Arbeitens immer wichtiger, „welche Sozialkompetenz man sich erarbeitet, wie man kollaboriert“.

Das sah auch KU-Vizepräsident Jens Hogreve so. Man müsse „Sozialkompetenzen an den Hochschulen stärker in den Fokus rücken“. Als Argument führte er an: „Unternehmen bauen Hierarchien ab.“ Im Management werden diese Veränderungen in der Arbeitswelt mit dem Schlagwort „Agilität“ zusammengefasst. Hogreve sagte, man müsse eine agile Arbeitsweise auch stärker in die Hochschulen bringen. Mit dem Projekt Mensch in Bewegung wollten die KU und die THI genau das ausprobieren. „Wir versuchen, ein Inkubator zu sein, ein Versuchsraum.“