Drei Fragen, drei Antworten: Religion und Gewalt

Die Verbindung von Religion und Gewalt ist ein Thema, welches in der jüngsten Vergangenheit die Schlagzeilen vor der Hintergrund des so genannten Islamischen Staates, dessen Anschlägen sowie auch die Flüchtlingsdebatte prägt. Doch kann man eigentlich Gewalt mit seinem Glauben begründen? Und gibt es Parallelen von Islam und Christentum? Hierzu drei Fragen an Prof. Dr. Ulrich Professor Kropac (Lehrstuhl für Didaktik der Religionslehre, Katechetik und Religionspädagogik). Er veranstaltet zu diesem Themenkomplex ein Symposium im Bildungszentrum Kloster Banz.

Inwieweit kann der Glaube eines Menschen zu Gewalt gegen andere „Ungläubige“ führen?

„Zum einen ist in Religionen wie dem Christentum oder dem Islam das Potenzial enthalten, zu Gewaltakten anzustacheln. Etliche Texte in der Bibel, sowohl im Neuen als auch im Alten Testament, sind gewalthaltig. Das gilt in gleicher Weise für den Koran. Daher ist es möglich, dass sich Menschen auf solche Stellen berufen und Gewalt anwenden. Allerdings ist das kein Automatismus. Denn auf der anderen Seite müssen auch gewisse psychische Dispositionen oder soziale Kontexte vorhanden sein. Diese müssen gar nichts mit Religion zu tun haben. Sie bilden aber den Humus dafür, dass ein Mensch glaubt, unter Berufung auf Religion gewalttätig handeln zu dürfen oder zu sollen.

Wo finden wir explizit Gewalt in der Bibel, welche man falsch deuten könnte und gibt es Parallelen zum Koran?

„Stellen mit Gewalt finden wir – im Blick auf die Bibel – besonders im Alten Testament, z.B. in den Erzählungen von Kain und Abel, von der Sintflut und von der Aufforderung Gottes an Abraham, seinen einzigen Sohn zu opfern. Ich finde es bemerkenswert, dass die Bibel schonungslos offenlegt, zu was wir Menschen fähig sind. Sie schildert den Menschen ungeschminkt und zeigt auf, dass Gewalt zum Menschsein von Anfang an dazugehört. Der Mensch ist zu erschreckenden Taten fähig, das kann bis zum Auslöschen ganzer Völker gehen. Nicht weniger enthält der Koran Suren, die der Gewalt das Wort reden. Das gilt insbesondere für die sogenannten Schwertverse, in denen zur Vertreibung, Verstümmelung und Ermordung Ungläubiger aufgerufen wird. Gleichwohl möchte ich an dieser Stelle anstatt der Parallelen eher die Differenzen zwischen Bibel und Koran hervorheben. Beide verstehen sich als Wort Gottes. Und in beiden Offenbarungsschriften finden wir Stellen mit Gewalt, die ganz ohne Frage der Interpretation bedürfen. Vom christlichen Verständnis her ist die Bibel aber Gotteswort in Menschenwort, d.h., ihre Texte sind über menschliches Denken vermittelt. Sie bilden also das Wort Gottes nicht unvermittelt ab. Man darf folglich die Bibel nicht wörtlich verstehen, man muss sie auslegen. Muslime hingegen verstehen ihre heilige Schrift, den Koran, als direkte Wiedergabe einer im Himmel hinterlegten heiligen Schrift. Das engt natürlich für islamische Gelehrte den Interpretationsspielraum ganz erheblich ein, wenn sie mit Texten aus dem Koran umzugehen haben, die Gewalt legitimieren.“

Inwiefern kann man die Glaubenskriege der christlichen Kreuzzüge im Mittelalter mit dem aktuellen Terror des IS vergleichen?

„Es gibt keinen Zweifel, dass bei den Kreuzzügen im Namen des Christentums fürchterliche Gräueltaten verübt worden sind. Dafür empfinden wir Christen auch heute noch Scham. Zu bedenken ist aber, dass die Kreuzzüge nicht dazu dienten, den christlichen Glauben zu verbreiten. Ein wichtiges Ziel war es, den ungehinderten Zugang zu den Heiligen Stätten wiederherzustellen. Anders der IS: Er führt einen ‚Heiligen Krieg‘ zur Durchsetzung des Islam und erhebt einen politisch-religiösen Totalitätsanspruch.
Noch in einer ganz anderen Hinsicht zeigen sich Unterschiede: Das Christentum musste sich in der Neuzeit mit verschiedenen philosophischen und geistesgeschichtlichen Strömungen auseinandersetzen. Dadurch reifte der Gedanke, dass alle Glaubensüberzeugungen in historische Prozesse eingebettet sind – so dass die Vorstellung einer unveränderlichen, auf den Buchstaben fixierten religiösen Doktrin relativiert wurde. Dieser schwierigen Aufgabe, systematisch religiöse Aussagen im Kontext von Gesellschaft und Geschichte zu verstehen, hat sich der Islam bislang noch weitgehend entzogen. Ich sehe aber trotzdem im europäischen Raum gewisse Chancen, dass der Islam mit Grundgedanken der Aufklärung und der Moderne in Berührung kommt. Ein islamischer Religionsunterricht an unseren Schulen würde diese Entwicklung beschleunigen. Muslimische Schülerinnen und Schüler könnten dadurch ein anderes Verhältnis zu ihrer Religion gewinnen, ohne dabei ihre Glaubensüberzeugung preisgeben zu müssen. Sie würden sie aber in einem neuen Licht sehen können. Bezogen auf die Gewaltthematik heißt das: Bildung hat das Potenzial, Religion zu zähmen. Religion wiederum hat das Potenzial, Gewalt zu beschränken.“

Interview: Benjamin Aifa