„Ein Weckruf für alle demokratischen Parteien“

Die Reaktionen reichen von überrascht bis fassungslos: Donald Trump hat sich gegen Hillary Clinton durchgesetzt und wird der 45. Präsident der USA. Auch Prof. Dr. Klaus Stüwe, Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Politikwissenschaft an der KU, hatte bis gestern auf Clinton gesetzt. Auf die Präsidentschaft Trumps blickt er nun dennoch mit Zuversicht und fordert zugleich die demokratischen Parteien in Europa auf, das amerikanische Wahlergebnis als Weckruf zu verstehen.

Trump sei von einer Koalition verschiedenster gesellschaftlicher Gruppen gewählt worden, erklärt der Amerika-Experte Stüwe: „Da sind zum einen die waschechten Republikaner, die Stammwähler. Dann gibt es eine große Gruppe von Unzufriedenen, die vielleicht bisher nie gewählt haben oder aus dem demokratischen Lager gewechselt sind, weil sie mit dem politischen Establishment nicht mehr zufrieden waren. Und dann gibt es eine dritte Gruppe: Die Konservativen, die von Trump nicht so begeistert sind, die aber in ihm oder zumindest im Vizepräsidenten wichtige Werte vertreten sehen.“

Gleichzeitig habe die demokratische Kandidatin Hillary Clinton im Wahlkampf sehr mit Fehlern aus ihrer Vergangenheit zu kämpfen gehabt. Den Enthüllungen des FBI in den letzten Wochen misst Stüwe im Vergleich dazu kein großes Gewicht bei: „Hillary Clinton hatte schon seit längerer Zeit den Ruf, dass sie nicht ganz ehrlich ist, dass sie mit der Wahrheit erst rausrückt, wenn es nicht mehr anders geht.“ Diese Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit in Kombination mit Zweifeln an ihrer gesundheitlichen Situation seien zentrale Schwierigkeiten des Wahlkampfs gewesen. Zudem erinnert Stüwe: „Schon bei den Vorwahlen waren 40 Prozent der Demokraten eigentlich für Bernie Sanders – das ist kein Ergebnis, dass für Begeisterung für Hillary Clinton spricht.“

Katastrophenszenarien für die Zukunft der USA skizziert der Politikwissenschaftler nicht. Vielmehr erkennt er in der Siegesrede Trumps erste Veränderungen in dessen sonst so provozierender Rhetorik, die ihn zuversichtlich stimmen. „In der heutigen Rede war sehr viel von Inklusion die Rede, von Verbindung, von Einheit über Gräben hinweg. Trump sprach davon, dass er Wunden heilen würde“, erläutert Stüwe. „Ich hoffe sehr, dass er den verbalen Ankündigungen konkrete Taten folgen lässt, die uns zeigen, dass er ein Präsident aller Amerikaner sein will.“ Was der Wahlsieg Trumps für den Rest der Welt, insbesondere Deutschland, bedeutet, lässt sich laut Stüwe momentan kaum einschätzen, da die außenpolitischen Ankündigungen Trumps bislang sehr widersprüchlich gewesen seien. „Ein Beispiel: Einerseits sagt er, die USA sollten sich aus der internationalen Politik zurückziehen. Andererseits kündigt er aber an, stärker gegen den IS vorzugehen. Zu Russland und China gibt es ähnlich widersprüchliche Aussagen.“

Unabhängig davon, wie die transatlantischen Beziehungen sich künftig gestalten, hält Stüwe es für wichtig, dass europäische Parteien ihre Lehren aus Trumps Erfolg ziehen. „Sein Sieg sollte ein Weckruf für alle demokratischen Parteien seien. Der zweite Weckruf eigentlich schon nach dem Brexit-Ergebnis.“ Es sei nicht sinnvoll, die Wähler Trumps zu urteilsunfähigen Idioten zu erklären. „Viele von ihnen haben ernsthafte Sorgen, sie sind unzufrieden mit ihrer persönlichen Situation, aber auch mit der Situation des ganzen Landes. Und wenn man genau hinschaut, entsprechen diese Sorgen den Sorgen vieler Menschen in anderen Ländern, auch in Deutschland.“ Um den populistischen Verführungen etwas entgegensetzen zu können, empfiehlt Stüwe: „Man muss in Zukunft stärker auf solche Ängste und Befürchtungen eingehen und sie nicht in geradezu arroganter Weise für irrelevant erklären.“