„Es sind wieder mehr Anstand und Würde im Weißen Haus zu erwarten“

Prof. Dr. Klaus Stüwe, Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Politikwissenschaft an der KU, erwartet mit dem gewählten US-Präsidenten Joe Biden einen grundlegenden Wechsel im politischen Stil: „Es sind wieder mehr Anstand und Würde im Weißen Haus zu erwarten – vor allem auch mehr Kompromissbereitschaft. Dies zeigt sich auch in seinem Kooperationsangebot an die Republikaner. Trump hingegen war nicht Präsident aller Amerikaner, sondern lediglich der seiner eigenen Anhängerschaft“, so Stüwe. Auch der Umgang in den internationalen Beziehungen werde sich mit Biden ändern.

Gleichzeitig könne dieser jedoch nicht ignorieren, dass rund 70 Millionen Menschen – entgegen aller Vorhersagen – für Trump gestimmt haben. Er habe damit nochmals alle überrascht. Damit zeige sich, dass viele US-Wählerinnen und Wähler bei Umfragen nicht wahrheitsgemäß antworteten – besonders diejenigen, die Wut hätten und der Politik misstrauten. „Und gerade diese haben Trump gewählt. Darauf muss auch ein künftiger Präsident Biden Rücksicht nehmen“, betont Stüwe. Die aktuellen Bestrebungen, das Wahlergebnis noch auf juristischem Wege anzufechten, zeige, wie ausgeprägt die über Jahre gewachsene Polarisierung in den USA sei. Demokraten und Republikaner stünden sich unversöhnlich und zum Teil hasserfüllt gegenüber. Hinzu komme, dass das Wahlsystem der USA großen Wert auf eindeutige Sieger lege. Biden führe in einer ganzen Reihe von Staaten. Zwar knapp, aber über dem erforderlichen Anteil von 50 Prozent der Stimmen, so dass Stüwe davon ausgeht, dass es zunächst im Wesentlichen bei dem berichteten Wahlergebnis bleibt.

Neben der Wahl Bidens sei es für die USA ein „Jahrhundertereignis“, dass mit Kamala Harris erstmals eine Frau das zweithöchste Amt der Vereinigten Staaten übernehmen werde, die zudem familiäre Wurzeln in Jamaika und Indien habe. „Gesellschaftliche Veränderungen haben damit nun endlich auch Wirkung auf die höchsten Staatsinstitutionen. Und natürlich verbinden sich damit viele Hoffnungen. Die Freude über das Wahlergebnis ist in den USA auch wegen Kamala Harris so groß.“

Offen ist noch, wie sich die Mehrheiten im Senat als Teil des US-Kongresses und damit der Gestaltungsspielraum des Präsidenten darstellen, da im US-Bundesstaat Georgia erst im Januar eine Stichwahl für diese Parlamentskammer stattfinden wird. Stüwe erklärt: „Taktisch gesehen könnte es besser sein, wenn im Senat eine republikanische Mehrheit vorherrscht, die auch einen erheblichen Anteil der Bevölkerung repräsentiert und mit der Biden Kompromisse suchen muss. Diese könnte eine salomonische Lösung des vorherrschenden Konfliktes sein.“

Ausführliches Video-Interview mit Professor Stüwe