Essaypreis der Ligabank-Stiftung für Giovanni Tidona und Marc Djizmedjian

Der Philosoph Dr. Giovanni Tidona aus Mainz und der Schriftsteller Marc Djizmedjian aus Pfaffhausen (Schweiz) haben den Essaypreis der Ligabank-Stiftung erhalten. Die Auszeichnung überreichten die Präsidentin der KU, Prof. Dr. Gabriele Gien, und der Direktor der Eichstätter Filiale der Ligabank, Richard Kundinger, im Rahmen der zweitägigen Tagung „Flucht und Migration“.

Das Thema der dritten Ausschreibung des mit 5000 Euro dotierten Essaypreises lautete „Flucht“. Gebeten wurde um eine essayistische Auseinandersetzung mit dem Thema, welche sich auf die verschiedenen Facetten und Dimensionen des Begriffes beziehen. 38 Autorinnen und Autoren hatten einen Beitrag eingereicht. Prof. Dr. Walter Schweidler, Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie an der KU, sagte stellvertretend für die vierköpfige Jury, viele der zu begutachtenden Texte seien „glanzvoll und tief berührend“ gewesen. Etliche Autorinnen und Autoren hätten eigene Fluchterfahrungen oder auch die Erlebnisse der Eltern- und Großelterngeneration verarbeitet. Nach einem längeren Auswahlprozess entschied die Jury, den Preis auf zwei Bewerber aufzuteilen. Giovanni Tidona, der 1982 im italienischen Scicli geboren wurde, Lehrbeauftragter für Philosophie an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz ist und seit kurzem eine Professur an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg vertritt, verfasste unter dem Titel „Verkehrte Welt“ eine raumtheoretische Erörterung des Flucht-Begriffs. Marc Djizmedjian, 1967 in Zürich geboren und nach mehrjähriger journalistischer Tätigkeit nun Schriftsteller, näherte sich in seinem Beitrag „Nicht von hier“ dem Thema mit literarischen und literaturwissenschaftlichen Bezügen.

Schweidler sagte in der Laudatio, die Gemeinsamkeit der beiden Preisschriften sei, dass sie das Phänomen „Flucht“ in der Absicht angingen, etwas aus ihm zu lernen. „In dem, was sie aus der Wirklichkeit lernt, rational verarbeitet und methodisch solide darstellt, leistet die Wissenschaft ihren Beitrag zur Auseinandersetzung mit den Tatsachen. Insofern sind die beiden Schriften als niveauvolle und klar strukturierte Essays nach wissenschaftlichen Kriterien ausgewählt und ausgezeichnet worden. Sie sind keineswegs ‚wertfrei’, aber sie lassen dem, der aus ihnen etwas zu lernen versucht, seine eigenen Schlüsse zu ziehen und sein eigenes Urteil zu fällen übrig.“ Es lohne sich, so Schweidler, sich an den Texten abzuarbeiten, über sie nachzudenken und zu diskutieren.

Der Essay von Giovanni Tidona ist ein philosophischer Beitrag. Er versucht, das Phänomen „Flucht“ überhaupt erst einmal mit Kategorien aufzuarbeiten, die seine anthropologische und raumtheoretische Analyse erlauben. Er geht auf eine uralte semantische Überkreuzung zurück: Hostilität und Hospitalität. Der Gast und der Feind: sie haben einen gemeinsamen Grundbezug zur Dialektik von Heimwelt und Fremdwelt. Mit dieser Zielrichtung ist der Text ein höchst konzentrierter Beitrag zum gegenwärtigen phänomenologischen Diskurs um Gabe und Tausch, Identität und Differenz. Als philosophischer Text darf er nur analysieren und argumentieren. Persönliche Betroffenheit darf darin keinerlei Rolle spielen.

Marc Djizmedjian hingegen verarbeitet in seinem Essay ein großes Stück Leben und stellt auf hohem literarischem Niveau dar, was ihm ermöglicht hat, persönlich mit der Schicksalsspanne zwischen Flucht und Ankunft fertig zu werden. Das Ergebnis trägt Züge von verblüffender Ähnlichkeit zu den Antworten, die die großen Exilanten der Nachkriegs- und Kaltkriegszeit gegeben haben: Heimat in der Fremde finden kann man in dem, was sie, die Fremde, der Welt zu geben vermocht hat: ihre Literatur, ihre Kunst, ihre tiefsten Einsichten und Worte. Darin schließt sie sich mit der Heimat zusammen zur Ankunft als Struktur das wandernden Daseins des Menschen in der Welt.

Die ausgezeichneten Essays können unter www.ku.de/ligapreis abgerufen werden.