Forschung, Lehre und Praxistransfer bündeln: KU auf dem Weg zum Zentrum für Flucht und Migration

„Das war ein Auftakt und kein Abschluss“, resümierte KU-Präsidentin Prof. Dr. Gabriele Gien beim Schlussplenum der Tagung „Flucht und Migration – Herausforderungen für eine Gesellschaft im Wandel“, die gleichzeitig auch als erster großer Knotenpunkt für die weitere Vernetzung des künftigen Zentrums für Flucht und Migration an der KU dienen sollte. Die über 40 Referentinnen und Referenten, die sich im Programm der zweitägigen Veranstaltung fanden, demonstrierten nicht nur die Vielfalt dieses Themenkomplexes, sondern auch die Breite des Spektrums, in dem sich die KU inhaltlich bewegen will.

„Was wir derzeit erleben, ist kein punktuelles Ereignis. Es bedarf einer Änderung in den Köpfen für eine gelingende Integration“, appellierte der Vorsitzende des Stiftungsrates der Stiftung Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, Weihbischof Dr. Dr. Anton Losinger, an die rund 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in seiner Begrüßung. KU-Präsidentin Gien betonte in ihren Erläuterungen zum künftigen Zentrum „Flucht und Migration“, dass sich die Auseinandersetzung mit diesem Themengebiet zur Querschnittsaufgabe entwickele und dankte insbesondere den Studierenden der KU für ihr Engagement. Diese hätten bereits 2012 eine inzwischen mehrfach ausgezeichnete Initiative ins Leben gerufen, um Flüchtlingen im Landkreis Eichstätt Starthilfe zu geben. „Letztlich war dieses Engagement auch für das neue Zentrum an der KU eine wichtige Starthilfe“, so Gien. Ziel der Einrichtung soll es sein, Forschung, Lehre und Praxistransfer aus den Geistes-, Sozial-, Wirtschafts-, Kultur- und Bildungswissenschaften zu bündeln und damit eine umfassende Sichtweise zu ermöglichen. Daher habe neben der Grundlagenforschung  die transferbezogene Forschung einen wichtigen Stellenwert in den Planungen. Neben Forschung, Aus- und Weiterbildung, spezifischen Studienangeboten und Hilfe zur Qualifizierung und Integrierung von Flüchtlingen will sich das Zentrum auch mit internationalen Dialogpartnern gezielt vernetzen sowie digitale Angebote zur Unterstützung von Flüchtlingen gemeinsam mit anderen Hochschulen entwickeln.

Als Generalvikar des Erzbistums München-Freising, welches das Zentrum Flucht und Migration in diesem Jahr zunächst mit 1,1 Millionen Euro fördert, referierte Peter Beer über Religion als Integrationsfaktor. „Religion gehört zu uns und gehört zu den Flüchtlingen. Wollen wir sie integrieren, müssen wir ihren religiösen Hintergrund akzeptieren“, so Beer. Dass Integrationsbemühungen nicht ohne Reibung abliefen, dürfe nicht als Scheitern, sondern als Ringen um die Sache gedeutet werden, an dem sich die Kirche beteiligen wolle. Durch den Austausch mit anderen könne man seinen eigenen Glauben reflektieren. Auf Basis verschiedener religiöser Gründe würden sich auch neue Perspektiven eröffnen, gerade an einer Universität.

In einem anschließenden Interview auf der Bühne der Aula mit dem Moderator des Abends, Uwe Pagels vom Bayerischen Rundfunk, gingen der Hamburger Erzbischof Dr. Stefan Heße (Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen der Deutschen Bischofskonferenz) sowie Eichstätts Bischof Dr. Gregor Maria Hanke auf die kirchliche Flüchtlingshilfe ein. Heße und Hanke betonten, dass die Kirche mit ihrem Handeln den Menschen vor allem Würde zurückgeben wolle  - „ohne groß zu fragen. Niemand verlässt seine Heimat ohne Grund. Wir haben jahrelang weggesehen“, betonte Bischof Hanke. Die häufig zitierte Befürchtung vor dem Untergang des christlichen Abendlandes sei haltlos in einem Land, das statistisch gesehen zu zwei Dritteln aus Christen bestehe – wenn diese alle zu ihrem Glauben stünden, ergänzte Heße. Vielmehr müsse man nüchtern an die Herausforderungen gehen, denen man nicht mit Mauern und Zäunen begegnen könne.

In seinem pointierten Festvortrag zur Auftaktveranstaltung beschäftigte sich der Migrationsforscher Prof. Dr. Klaus J. Bade mit der „sogenannten Flüchtlingskrise“, welche man eher als Weltkrise beschreiben müsse, die ihre Opfer vor die Tore der Festung Europa treibe. Dabei sei die jetzige Situation „nicht wie ein Gewitter über uns gekommen“. Bade verwies auf zahlreiche Veröffentlichungen, Mahnungen und Warnungen aus der Wissenschaft der vergangenen Jahrzehnte (Bade: „Literaturkenntnis schützt vor Neuentdeckungen“) und konstatierte ein langes Versagen der Politik. Die kaum überschaubare Vielfalt an Zuständigkeiten rund um Flucht und Migration in den Bundesministerien belege, dass die Politik die Größe dieser Aufgabe lange falsch eingeschätzt habe. Bade plädierte stattdessen für ein eigenes Migrations- und Integrationsministerium – samt passendem Gegenstück auf europäischer Ebene. „Bloße Abschottung ist kein Ersatz für eine notwendige Migrationspolitik.“ Die Annahme sei falsch, man müsse die Bedingungen für Asylbewerber verschärfen, um einen nennenswerten Rückgang der Zuwanderer zu erzielen. „Die Änderungen in den Statistiken gehen nicht auf solche Maßnahmen zurück, sondern auf den Verlauf der Krisen in den Herkunftsländern.“ Es seien regional und international abgestimmte Strategien notwendig. „Solange nicht an den Fluchtursachen gearbeitet werde, ist die reine Abwehr von Flüchtlingen ein Skandal. Wir müssen lernen, zu teilen. Bloß zu Spenden, heißt noch nicht zu teilen“, sagte Bade. Auch wenn es durch eine Zunahme an Übergriffen auf Flüchtlinge eine düstere Gegenwelt zur Willkommenskultur gebe, wertete er die Hilfsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger als „stille soziale Revolution“, mit der die Bürger belegten, dass sie das Heft in die Hand nehmen könnten, um Probleme anzugehen. Zuwanderung könne für das „vergreisende Paradies im Zentrum Europas“ demographisch nur hilfreich sein.

Im abschließenden Dialogforum mit Vertretern aus der Praxis berichteten Christine Pietsch (Ehrenamtskoordinatorin des Landkreises Eichstätt) und Tobias Geyer (Leiter der Erstaufnahmeeinrichtung Eichstätt), dass eine gute Zusammenarbeit aller Beteiligten – Ehrenamtliche wie Offizielle – Schlüssel für eine gelingende Flüchtlingsarbeit sei. Gelegentlich gelte es auch, dass sich Ehrenamtliche in ihrer Hilfe zurücknehmen, um Geflüchtete zu mehr Selbstständigkeit zu ermutigen. Aus Sicht der IHK München und Oberbayern betonte Wilfried Gerling, dass die Einbindung von Flüchtlingen große Chancen für die gesamte Gesellschaft biete. Für die Roland Berger Stiftung, mit der die KU künftig stärker rund um Bildungsprojekte für Flüchtlinge kooperieren will, beschrieb deren Vorstandsmitglied Regina Pötke, dass es z.B. in der Schule noch an „Gefäßen“ für die vorhandenen Kompetenzen von Flüchtlingen mangele. „Wir sind im Bildungsbereich noch in der Phase der Selbstvergewisserung“, erklärte Pöttke.

Umrahmt wurde der Abend von Prof. Dr. Daniel Mark Eberhard, Professor für Musikpädagogik an der KU, der gemeinsam mit den Künstlern Alexandrina Simeon, Seref Dalyanoglu und Njamy Sitson einen musikalischen Bogen von Bulgarien über den Orient bis nach Afrika spannte.

Der zweite Tag der Veranstaltung stand im Zeichen der Fachwissenschaft sowie des praktischen Austauschs in zahlreichen Workshops. Prof. Dr. Hans Hopfinger, ehemaligen Inhaber des Lehrstuhls für Kulturgeographie und Sprecher der Initiativgruppe „FluchtMigration“, in der sich Wissenschaftler der für Forschungsaktivitäten zusammengetan haben, beschrieb als Ziel der Tagung, eine „erhitzt geführte öffentliche Diskussion wieder zu versachlichen“. Hopfinger wies dabei auf eine Folgetagung an der KU hin, sich Ende April insbesondere mit Veränderungen und Transformationsprozessen in der hiesigen Gesellschaft befassen wird. Thomas Gebauer (Geschäftsführer der Entwicklungshilfe- und Menschenrechtsorganisation „medico international“) hielt es „nicht für verwunderlich“, dass sich Menschen auf dem Weg zu uns machten, nachdem  sich die Hoffnung, durch eine marktradikale Umverteilung werde auch etwas für die Armen abfallen, nicht erfüllt habe. „Die zu uns kommen, sind nicht dabei nicht einmal die Ärmsten. Manchen sind nur in der Lage zu regionaler Migration, wenig dokumentiert ist das stille Verrecken von Menschen in den Herkunftsländern“, so Gebauer. Die geplante Deklarierung von Ländern wie Afghanistan zu sicheren Herkunftsstaaten bedeutet lediglich eine Bekämpfung von Flüchtenden, nicht eine Bekämpfung von Fluchtursachen. In Form vermeintlicher Entwicklungshilfe werde beispielsweise in Somalia versucht, vor Ort Sicherheitskräfte auszubilden. „Jedoch nicht, um für Sicherheit zu sorgen, sondern um die Menschen an der Flucht zu hindern.“ Während Europa kaum Steuern für die Ausfuhr von Rohstoffen aus Entwicklungsländern zahlen müsse, würden diese wiederum angehalten, teure Lizenzen für Produkte zu bezahlen. „Unter diesen Vorzeichen ist eine Globalisierung nicht ohne Migration zu haben. Wir brauchen eine Vision für die Zukunft, die nicht nur einfach das Bestehende stabilisieren will.“

Aus der Perspektive des Historikers beschäftigte sich der Leibniz-Preisträger Prof. Dr. Ulrich Herbert (Lehrstuhl für Neuere und Neustes Geschichte, Universität Freiburg)  mit der Zuwanderung nach Deutschland seit 1945. „Das Thema ist überhaupt nicht neu, sondern beschäftigt Deutschland seit über 100 Jahren“, erklärte Herbert. Ausländer gebe es in Deutschland zudem erst, seitdem es förmlich Inländer gebe – geregelt durch das Staatsangehörigkeitsgesetz, welches erst 1913 in Kraft trat. Zwischen 1945 und 1960 habe es gegolten, 13,2 Millionen Flüchtlinge aufzunehmen, was einem Viertel der westdeutschen Gesamtbevölkerung entsprochen habe. Es habe rückblickend rund 20 Jahre gedauert, bis die damit verbundenen Unterschiede in den Hintergrund getreten seien. „Die Gesellschaft war in den Aufbaujahren insgesamt in Bewegung, Fremdheit wurde als Normalschicksal wahrgenommen.“ Mit dem Bau der Mauer sei der Zustrom an DDR-Flüchtlingen jäh unterbrochen worden, so dass die Politik beschloss, ausländische Arbeitkräfte heranzuziehen. „Dabei wurde selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Arbeiter nach einiger Zeit wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Auch die so genannten Gastarbeiter selbst sahen dies überwiegend so“, erklärte Herbert.  Anfang der 70er-Jahre sei die Zahl der Rückkehrer jedoch gesunken, die Zahl der nachgezogenen Familienmitglieder wuchs, so dass aus Arbeitsmigranten Einwanderer wurden. „Migration ist nicht die Ausnahme, sondern der Regelfall. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass sich Migration nur schwer lenken lässt“, bilanzierte Herbert.

Die Göttinger Anthropologin und Ethnologin Prof. Dr. Sabine Hess sprach sich dafür aus, dass Migrationsforschung auch die Migrationspolitik systematisch erforschen müsse. Derzeit gebe es in Deutschland vielfältige Formen der Anerkennung, welche zu einer großen Differenz der Rechtslagen und sozialer Ungerechtigkeit führe. Auch sie beschrieb die aktuelle Lage als Reaktion auf Handeln der Industrienationen: „Wie kann es sein, dass man glaubt, man könne die Früchte der eigenen Wirtschaftspolitik ernten, ohne mit den Nebenwirkungen leben zu müssen.“

Einblick in „Flucht und Flüchten“ im Leben Mohammeds gab schließlich der Orientalist und Koran-Experte Prof. em. Hartmut Bobzin. Bei seinen Ausführungen wies er darauf hin, dass die „unendlich reichhaltige literarische Überlieferung“ zu diesem Themenkomplex derzeit nicht durch archäologische Funde belegt werden könne, da die arabische Halbinsel dahingehend bislang wenig erschlossen sei.

Constantin Schulte Strathaus