Für mehr Barrierefreiheit: Journalistische Angebote in Einfacher Sprache

Seit dieser Woche gibt es die wichtigste deutsche Nachrichtensendung in Einfacher Sprache. Die ARD produziert die "Tagesschau" werktags in einer zusätzlichen Ausgabe, die sich speziell an Menschen mit geringen Deutschkenntnissen oder mit Lese- und Lernschwierigkeiten richtet. Solche Medienangebote sind bisher noch selten zu finden. Das Projekt „Leichte und Einfache Sprache im Journalismus“ der Professur für Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der KU erforscht die Voraussetzungen zur Entwicklung inklusiver journalistischer Angebote für alle Menschen und möchte damit den praktischen Journalismus unterstützen.

Durch Krankheit, Lernschwächen oder eine andere Muttersprache kann nicht jeder Mensch journalistische Standardtexte im Internet oder in der Zeitung lesen und verstehen. Journalistische Angebote, die sprachlich, inhaltlich und formal barrierearm gestaltet sind, sollen möglichst allen Menschen den Zugang zu aktuellen Nachrichten eröffnen. Viele Redaktionen stünden dem Thema Einfache und Leichte Sprache im Journalismus grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber, sagt Professorin Friederike Herrmann, die Journalistik an der KU lehrt. Häufig hätten die Redaktionen jedoch nicht die Ressourcen für die grundlegende Beschäftigung mit dem Thema, die für die Entwicklung entsprechender Angebote jedoch notwendig seien, so Herrmann, die das Forschungsprojekt „Leichte und Einfache Sprache im Journalismus“ leitet. Bislang sind Nachrichten in Einfacher Sprache am ehesten bei öffentlich-rechtlichen Medien zu finden. Das Forschungsprojekt der KU möchte dazu beitragen, dass zukünftig mehr Medienunternehmen die Möglichkeit haben, sprachlich barrierefreie Texte anzubieten.

„Ich denke, da ist Wissenschaft in der Pflicht einen Beitrag zu leisten und solche Themen anzustoßen – gerade die Journalistik als für die Demokratie so wesentliches Fach.“ Das Forschungs- und Transferprojekt zielt darauf ab, nicht allein für weitere wissenschaftliche Untersuchungen, sondern auch für Journalistinnen und Journalisten eine Wissensgrundlage für die Praxis zu schaffen. Einerseits sollen die Ergebnisse als Ausgangspunkt für anknüpfende Forschung nutzbar sein, andererseits sollen sie Redaktionen eine bessere Grundlage zur Entwicklung von Angeboten in Leichter und Einfacher Sprache bieten. „Das Projekt soll Nutzungswissen vertiefen. Es gibt ganz, ganz wenig Forschung im Bereich der Journalistik dazu und es müsste viel mehr geben, wenn man bedenkt, dass mehr als zehn Prozent der Bevölkerung über eine geringe Literalität verfügen“, sagt Herrmann.

Prof. Dr. Friederike Herrmann
Prof. Dr. Friederike Herrmann

Genau bei dieser Gruppe setzt das Forschungsprojekt an. Aktuelle sowie potenzielle Nutzerinnen und Nutzer journalistischer Angebote in Einfacher und Leichter Sprache berichten im Rahmen qualitativer Leitfadeninterviews, wie sie Nachrichten rezipieren, welche Themen sie interessieren, welche Medien und Plattformen sie am liebsten nutzen und welche Anforderungen sie an die Angebote haben. Dabei habe sich bereits gezeigt, dass das Publikum von sprachlich barrierearmen Beiträgen genauso divers sei, wie Nutzerinnen und Nutzer klassischer journalistischer Angebote, sagt Herrmann.

„Es macht ja auch einen großen Unterschied, ob bestimmte Angebote in einer Fremdsprache verfasst sind, ob sie die Bedürfnisse von Menschen mit einer Lernschwäche oder von Menschen, die eine leichte Demenz haben, zu wenig berücksichtigen. Das sind ganz unterschiedliche Anforderungen.“ Im Rahmen des Projekts werden Menschen mit Behinderung, Personen, denen lesen und schreiben schwerfällt, sowie Geflüchtete befragt.

Außerhalb des Journalismus gibt es an unterschiedlichen Stellen bereits seit mehreren Jahren vereinfachte Texte. So lässt sich zum Beispiel in der Regel auf den Webseiten deutscher Behörden eine Version der Internetauftritte in Leichter Sprache auswählen. Das Netzwerk Leichte Sprache hat in einem Leitfaden Regeln zusammengefasst. Darin steht zum Beispiel, dass kurze Wörter verwendet werden sollten und – wenn das nicht möglich ist – lange Begriffe mit einem Bindestrich zu trennen sind, damit sie besser lesbar sind. Statt Fach- und Fremdwörtern wie „Workshop“ empfehlen die Regeln, bekannte Begriffe wie „Arbeits-Gruppe“ zu verwenden.

Für den Journalismus ergeben sich spezielle Herausforderungen. Nicht immer seien die Regeln Leichter Sprache problemlos anwendbar, so Professorin Herrmann. Sie nennt ein Beispiel: „Man kann einen Erzbischof nicht zum Bischof machen.“ Darüber hinaus weisen journalistische Texte Besonderheiten auf, die bisherige Regelwerke nicht berücksichtigen. Friederike Herrmann erzählt, Studierenden ihres Masterseminars sei aufgefallen, dass die Nennung von Quellen in journalistischen Texten im dritten Satz für das Verständnis der Kerninformationen auch hinderlich sein kann. Die Studierenden hätten die Idee diskutiert, Quellen stattdessen in einem Kasten direkt neben oder unter einem Artikel anzugeben.

Ideen wie diese verdeutlichen, dass die Forschung und die damit einhergehende Beschäftigung mit Leichter und Einfacher Sprache auch für den klassischen Journalismus Chancen eröffnet. „Das kann – als guter Nebeneffekt – dafür sensibilisieren, wie man auch den klassischen Journalismus verständlicher macht“, sagt Herrmann. Redaktionen möchte sie gerne die Idee mitgeben, ab und an mal eine Prüferin oder einen Prüfer für Leichte Sprache über journalistische Beiträge lesen zu lassen. Als Prüfer engagieren sich Menschen, an die sich Angebote Leichter Sprache richten. Sie habe selbst einmal erlebt, wie ein Prüfer sich einen Text durchgelesen hat, erzählt Herrmann: „Das öffnet einem die Augen. Man neigt dazu zu denken, es muss einfach einfach sein, so wie für Kinder. Aber es hat nochmal eine andere Dimension und die kriegt man genau erst dann mit.“

Nachrichten in leichter Sprache
"nachrichtenleicht" beim Deutschlandfunk

Praxispartner des Forschungsprojekts an der KU ist der Deutschlandfunk mit dem Angebot „nachrichtenleicht“ (siehe unten). Beiträge daraus fließen neben Artikeln anderer Medien in die Leitfadeninterviews ein, die das Team um Professorin Herrmann durchführt. Die Ergebnisse werden an den Deutschlandfunk zurückgespielt. Ihren Ursprung hat die Zusammenarbeit mit dem Deutschlandfunk in einem Seminar im Eichstätter Masterstudiengang Journalistik mit Schwerpunkt Innovation und Management. Bereits vor Beginn des Forschungsprojekts hatte eine Gruppe Studierender die Entwicklung des Instagram-Angebots von „nachrichtenleicht“ begleitet. Am Ende des Semesters stellte der Kurs dem Deutschlandfunk ein Dossier mit Feedback zum Angebot vor. Dr. Marco Bertolaso, Leiter Zentrale Nachrichten beim Deutschlandfunk, schätzt die Zusammenarbeit mit der Journalistik und die Rückmeldungen der Studierenden. „Wir sind als öffentlich-rechtliche Redaktion sehr interessiert an der Zusammenarbeit mit anderen gemeinwohlorientierten Akteuren. Konkret helfen uns die Kenntnisse der Studierenden im Bereich digitaler Angebote, ihre hohe Innovationsfreudigkeit und die von ihnen recherchierten Ergebnisse über Nutzerbedürfnisse und -erwartungen“, sagt er.

Die guten Erfahrungen auf beiden Seiten – Journalistikstudiengang und Deutschlandfunk – haben dazu geführt, dass die Zusammenarbeit über das Masterseminar hinaus im Rahmen des aktuellen Forschungsprojekts fortgesetzt wurde. Dafür ist unter anderem eine Redaktionsbeobachtung beim Deutschlandfunk geplant. Sie soll zeigen, an welchen Stellen Redaktionen Künstliche Intelligenz für Anwendungen in Einfacher und Leichter Sprache einsetzen können. Neben dem Praxispartner sollen nach Abschluss des Projekts möglichst viele Redaktionen von den Erkenntnissen und Ideen profitieren, die das Projekt „Leichte und Einfache Sprache im Journalismus“ hervorbringt. Veröffentlicht werden sie in einem Arbeitsheft der Otto Brenner Stiftung, die das Forschungsprojekt finanziell fördert. „Damit sind wir genau an der richtigen Schnittstelle, an der wir die Wissenschaft, aber auch Journalistinnen und Journalisten erreichen“, freut sich Friederike Herrmann. 
(Anna Zimmermann)

 

„Leichte Sprache“ und „Einfache Sprache“

Auf der Webseite zum Forschungsprojekt „Leichte und Einfache Sprache im Journalismus“ stellt das Forschungsteam beide Begriffe vor: Leichte Sprache ist eine barrierearme Sprachform, die sich insbesondere an Menschen mit Lernschwierigkeiten richtet. Sie zeichnet sich auch durch ihre visuelle Aufbereitung aus, einschließlich des Einsatzes von Piktogrammen, erläuternden Bildern und größerer Schrift. Ein zentrales Element ist, dass Vertreterinnen und Vertreter der Zielgruppe als sogenannte „Prüferinnen“ und „Prüfer“  ausgebildet werden, die Texte, die in Leichter Sprache geschrieben wurden, kritisch gegenlesen und Änderungen anregen. Es gibt verschiedene wissenschaftliche Konzepte, die mehr oder weniger strenge Regelwerke vertreten, so dass die Umsetzung in den fertigen Texten durchaus unterschiedlich sein kann. Einfache Sprache, oft im Zusammenhang mit Leichter Sprache genannt, dient ebenfalls dem Ziel der Verständlichkeit. Sie reduziert sprachliche und inhaltliche Komplexität, um Texte zugänglicher zu machen. Einfache Sprache ist komplexer als Leichte Sprache und kommt einem breiteren Publikum zugute.

„nachrichtenleicht“

„nachrichtenleicht“ ist ein Angebot des Deutschlandfunks mit Nachrichten in Einfacher Sprache. Auf der Webseite des Projekts finden sich aktuelle Nachrichtenbeiträge, aber auch Erklärstücke, z.B. zur Europa-Wahl oder zum Grundgesetz. Im Radio läuft „nachrichtenleicht“ als Wochenrückblick freitags um 19:04. Darüber hinaus steht es als Podcast zur Verfügung und wird seit Januar 2023 verstärkt auf Instagram ausgespielt.