Gesellschaftsanalysen im Kontext von "FluchtMigration"

Ob politische oder mediale Debatten, Alltags- oder Expertengespräche: Geflüchtete stehen im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Häufig dominiert dabei eine defizitorientierte Perspektive; Flucht wird als Problem beschrieben. Auch die Wissenschaft befindet sich inmitten dieser Diskurse. Sie soll nun quasi ad hoc Analysen und Handlungsempfehlungen bereitstellen. Doch „Flüchtlingsforschung“ wird sowohl im deutschsprachigen Raum als auch international bislang nur wenig betrieben. Vor diesem Hintergrund veranstaltete die Initiativgruppe „FluchtMigration und gesellschaftliche Transformationsprozesse“ an der KU die 2. Internationale Migrationskonferenz, um aktuelle Gesellschaftsanalysen im Kontext des Phänomens FluchtMigration zu diskutieren. Damit schloss sie an die erste Internationale Migrationskonferenz an, die im Rahmen des Graduiertenkollegs „Migration“ im November 2013 an der KU stattfand.

Unter den zehn Referentinnen und Referenten, die zwischen ihre Projekte präsentierten, waren renommierte Forscher (wie der Gründer des „Netzwerks Flüchtlingsforschung“ J. Olaf Kleist) ebenso vertreten wie Nachwuchswissenschaftler. Prof. Dr. Christof Roos (Institute for European Studies an der Freien Universität Brüssel) sprach zum Auftakt des Treffens zum Thema "Kooperationskrise und Normenkonflikte. Warum Effektivität und Legitimität des EU-Grenzregimes untergraben werden". Roos schilderte dabei aus Perspektive der Politikwissenschaft, welche institutionellen Faktoren der Europäischen Union beispielsweise zu eine ungleichen Verteilung von Flüchtlingen in Europa geführt hätten. Dabei verwies er auf eine starke normative Orientierung an der Souveränität der Mitgliedsstaaten und eine damit einhergehende Tendenz, Entscheidungen im Konsens zu treffen. In der Folge habe die EU-Kommission nicht eine Mehrheitsentscheidung zur Verteilung von Flüchtlingen herbeigeführt, welche einzelne Staaten isoliert und überstimmt hätte.

Die thematische Bandbreite der weiteren Beiträge reichte von internationalen Perspektiven wie den Selbstdeutungen von Binnenvertriebenen in Kolumbien, den historischen (Dis-)Kontinuitäten türkischer Flüchtlingspolitik bis hin zu nationalen und lokalen Perspektiven – beispielsweise der Blick auf Ehrenamtsarbeit und auf die Artikulationen und Vorstellungen „der Leute“, die im Rahmen einer kommunalen Informationsveranstaltung bzgl. der Eröffnung einer Flüchtlingsunterbringung beobachtet wurden.

Besonders beeindruckend waren die allgemeine Bereitschaft und die Intensität der Diskussionen im Anschluss an sämtliche Vorträge. In konstruktiver und elaborierter Weise wurden die Beiträge transdisziplinär beleuchtet.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer konstatierten Verflechtungen lokaler und globaler Kontexte, die durch FluchtMigration gegenwärtig an Bedeutung gewinnen. Die Veranstalter verwenden bewusst das Binnen-M im Wort „FluchtMigration“, um kenntlich zu machen, dass eine Abgrenzung zwischen Flucht und Migration schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist. Vielfach wurde über die Bedeutungen von Grenzen diskutiert, über ihren Einfluss auf Identitätskonstruktionen und ihre ordnungspolitische Funktion. Gemeinsam war den Konferenzteilnehmenden schließlich auch die Fokussierung auf Gesellschaft als zentrales Forschungsobjekt, die sich u. a. durch das Phänomen FluchtMigration transformiert. Dabei geht es um eine Neuausrichtung der üblichen problemorientierten Migrationsforschung hin zu einer Migration als Normalfall wahrnehmenden Gesellschaftsforschung.

Die Initiativgruppe „FluchtMigration und gesellschaftliche Transformationsprozesse“ wird die Tagungsbeiträge in einem Sammelband veröffentlichen und damit zur weiteren Erhellung des Feldes beitragen.

Simon Goebel / Constantin Schulte Strathaus