Hoffnung am Horizont: Neue Wege in der Behandlung der Anhaltenden Trauerstörung

Eine trauernde Frau
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Es ist ein unsichtbares Leid, das viele Menschen im Stillen tragen und das zugleich ihr Leben massiv beeinträchtigt: Bei einer Anhaltenden Trauerstörung kommen Betroffene über den Verlust eines nahestehenden Menschen nicht hinweg. In einer Studie unter Leitung der KU-Psychologin Prof. Dr. Rita Rosner sind zwei Therapieverfahren weiterentwickelt und bei mehr als 200 Patientinnen und Patienten angewandt worden. Die Ergebnisse geben Anlass zur Hoffnung, dass Betroffenen geholfen werden kann.

Dass Menschen nach dem Tod eines Familienmitgliedes oder engen Freundes trauern, ist ein normales Phänomen. Doch während der Verlustschmerz üblicherweise innerhalb von Monaten oder eines Jahres langsam abnimmt und die Angehörigen sich danach deutlich besser fühlen und kaum noch Einschränkungen im täglichen Leben erfahren, treten bei Anhaltender Trauer weit darüber hinaus heftige Sehnsucht, Hilflosigkeit, Angst oder Wut auf. „Es ist ein Schmerz, der nicht vergeht. Die Gefühle überwältigen den Betroffenen, was jeden Aspekt des Lebens beeinträchtigen kann", erklärt Rita Rosner, Inhaberin des Lehrstuhls für Biologische und Klinische Psychologie der KU. Sie beschäftigt sich seit langem mit dem Phänomen der Anhaltenden Trauerstörung (ATS), die inzwischen als Erkrankung in die ICD-11, das internationale Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen, aufgenommen wurde.

Aufgrund verschiedener Studien gehen Expertinnen und Experten davon aus, dass etwa fünf Prozent der Trauernden eine solche Störung entwickeln. Kam der Verlust sehr unerwartet oder waren die Todesumstände besonders traumatisch, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit für eine ATS ebenso wie bei Menschen, die auch aus anderen Gründen bereits an einer psychischen Erkrankung leiden. „Bei vielen Patienten liegt der Tod der Bezugsperson schon viele Jahre zurück“, erklärt Rosner. Doch sie litten noch immer unter dem Verlust. Betroffene können mitunter ihrem Beruf nicht nachgehen oder sich nicht mehr um die Familie kümmern. Die ungebrochenen Sehnsuchtsgefühle können sich auch darin äußern, dass das Zimmer des verstorbenen Kindes unangetastet bleibt oder die Jacke des verstorbenen Ehemanns noch immer an der Garderobe hängt. Medikamente greifen bei Anhaltender Trauerstörung nicht – doch eine Psychotherapie kann in vielen Fällen helfen.

Prof. Dr. Rita Rosner
Prof. Dr. Rita Rosner

In einer Studie, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit zwei Millionen Euro gefördert wurde, sind in den vergangenen drei Jahren insgesamt 212 Patientinnen und Patienten behandelt worden. Es ist damit eine der bisher größten Studien zur Anhaltenden Trauerstörung, andere Untersuchungen hatten weitaus kleinere Stichproben. Am Projekt PROGRID („Prolonged Grief Disorder“) waren neben der psychotherapeutischen Hochschulambulanz der KU in Ingolstadt, welche die Projektleitung innehatte, auch die Universitäten in Frankfurt, Marburg und Leipzig beteiligt. Betroffene seien früher wie Patienten mit einer Depression oder einer Posttraumatischen Belastungsstörung behandelt worden, sagt Rosner. „Aber die Interventionen haben nicht so richtig gepasst.“ Daher wurde nach neuen Wegen gesucht, wie man ATS-Patienten helfen kann.

Rosner entwickelte gemeinsam mit Kollegen die sogenannte Kognitive Verhaltenstherapie (Prolonged Grief specific Cognitive Behavioural Therapy, PG-CBT). Einen anderen Zugang zu den Problemen des Patienten bietet die Gegenwartsakzentuierte Therapie (Present-Centered Therapy, PCT). Während Letztere die aktuellen Probleme des Patienten in den Blick nimmt und an deren Bewältigung arbeitet, bezieht sich die Kognitive Verhaltenstherapie auf den auslösenden Moment: den schmerzhaften Augenblick des Verlustes, die Umstände des Todes, die persönliche Beziehung, die der Trauernde zum Verstorbenen hatte. Beide Behandlungen zielten darauf ab, dass sich die Patientin oder der Patient an die neue Lebensrealität, also eine Welt ohne den Verstorbenen, anpasst, weniger stark leidet und im täglichen Leben weniger eingeschränkt ist, erklärt Rita Rosner.

In der Studie wurden die – mehrheitlich weiblichen – Betroffenen bei der Diagnose in zwei gleich große Gruppen aufgeteilt und einer der beiden Therapiemethoden zugeordnet. Die Wissenschaftler sprechen von einer randomisierten und verblindeten klinischen Studie. Anschließend begann die Behandlung in 20 bis 24 Sitzungen. Nach einem halben Jahr wurde der Erfolg der Therapie überprüft, nach einem weiteren halben Jahr fand eine Nachuntersuchung statt. „Beide Methoden haben sich als wirksam erwiesen“, zieht Rita Rosner ein Fazit. Dabei habe die kognitive Verhaltenstherapie eine noch bessere Wirkung gezeigt als die gegenwartsakzentuierte Therapie – wenngleich die Unterschiede in der Langzeitwirkung weniger deutlich ausfielen. Beide Therapieformen würden jedoch helfen, allgemeine psychische Belastungen und Depressionssymptome zu lindern.

Die PROGRID-Studie unterstreicht nach Ansicht von Rita Rosner die Bedeutung, verschiedene Behandlungsansätze zur Verfügung zu haben, um den unterschiedlichen Bedürfnissen und Präferenzen von trauernden Menschen gerecht zu werden. „Die Psychotherapieforschung steht auf diesem Gebiet noch am Anfang“, sagt Rosner. Doch die Ergebnisse zeigten, dass vielen Betroffenen wirksam geholfen werden könne. Nun gelte es in weiteren Schritten diese Erkenntnisse weiter auszubauen und die Behandlungsmethoden zu verfeinern.