Dass Menschen nach dem Tod eines Familienmitgliedes oder engen Freundes trauern, ist ein normales Phänomen. Doch während der Verlustschmerz üblicherweise innerhalb von Monaten oder eines Jahres langsam abnimmt und die Angehörigen sich danach deutlich besser fühlen und kaum noch Einschränkungen im täglichen Leben erfahren, treten bei Anhaltender Trauer weit darüber hinaus heftige Sehnsucht, Hilflosigkeit, Angst oder Wut auf. „Es ist ein Schmerz, der nicht vergeht. Die Gefühle überwältigen den Betroffenen, was jeden Aspekt des Lebens beeinträchtigen kann", erklärt Rita Rosner, Inhaberin des Lehrstuhls für Biologische und Klinische Psychologie der KU. Sie beschäftigt sich seit langem mit dem Phänomen der Anhaltenden Trauerstörung (ATS), die inzwischen als Erkrankung in die ICD-11, das internationale Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen, aufgenommen wurde.
Aufgrund verschiedener Studien gehen Expertinnen und Experten davon aus, dass etwa fünf Prozent der Trauernden eine solche Störung entwickeln. Kam der Verlust sehr unerwartet oder waren die Todesumstände besonders traumatisch, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit für eine ATS ebenso wie bei Menschen, die auch aus anderen Gründen bereits an einer psychischen Erkrankung leiden. „Bei vielen Patienten liegt der Tod der Bezugsperson schon viele Jahre zurück“, erklärt Rosner. Doch sie litten noch immer unter dem Verlust. Betroffene können mitunter ihrem Beruf nicht nachgehen oder sich nicht mehr um die Familie kümmern. Die ungebrochenen Sehnsuchtsgefühle können sich auch darin äußern, dass das Zimmer des verstorbenen Kindes unangetastet bleibt oder die Jacke des verstorbenen Ehemanns noch immer an der Garderobe hängt. Medikamente greifen bei Anhaltender Trauerstörung nicht – doch eine Psychotherapie kann in vielen Fällen helfen.