Information und Aufklärung sind entscheidend: Pandemien aus historischer Perspektive

Im Rahmen des Corona-Forums - einer gemeinsamen Reihe von KU und Donaukurier - beantworten Expertinnen und Experten der Katholischen Universität Fragen aus der Leserschaft. Diesmal berichtet die Geschichtswissenschaftlerin Christiane Hoth über Corona und frühere Pandemien.

Die aktuelle Corona-Pandemie ist nicht die erste, weltweit grassierende Pandemie. Lässt sich der aktuelle Ausbruch mit früheren Pandemien vergleichen?

Christian Hoth: Zunächst stellt sich die Frage: Was genau wollen wir vergleichen? Das aktuelle Virus mit einem früheren Virus, die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie oder die Opferzahlen? Es ist zu früh, um das Corona-Virus historisch einordnen zu können. Erinnern möchte aber an die Spanische Grippe, die von 1918 bis 1920 in drei Wellen um die Welt ging. Ihre Bezeichnung erhielt sie, da das neutrale Spanien während des Ersten Weltkrieges als einziges Land darüber berichtete. Vor einhundert Jahren geschah dies über die lokale Presse. Aus strategischen Gründen wurde die rasante Ausbreitung der Grippe in den meisten Ländern jedoch verschwiegen. Dennoch zeigt sich: Damals wie heute sind Information und Aufklärung entscheidend.

Die spanische Grippe hat vermutlich bis zu 50 Millionen Tote gefordert. Wie wirkte sich die Grippe in der Weimarer Republik aus?

Hoth: Zu Beginn fiel die Spanische Grippe noch in die Zeit des Deutschen Kaiserreichs. Da die Verwaltung während der letzten Monate des Ersten Weltkriegs nicht mehr richtig funktionierte, liegen uns dazu allerdings keine verlässlichen Zahlen vor. Nach Ausrufung der Weimarer Republik im November 1918 ändert sich die Situation. Der Ausbau des öffentlichen Gesundheits- und Sanitätswesens wird forciert. Wichtige Meilensteine der Entstehung der modernen „Schulmedizin“ und die Hygiene-Ausstellungen in Dresden fallen in diese Zeit. Schon damals wurde die Spanische Grippe jedoch als ein Problem wahrgenommen, das nur global zu lösen ist.

Wurden Menschen denn auch zu früheren Pandemien in Quarantäne isoliert?

Hoth: Ja, die Quarantäne hat eine lange Tradition. Schon die Römer kannten sie. Unsere heutige Bezeichnung leitet sich allerdings von dem italienischen Wort „quaranta“ ab, was 40 bedeutet. Ab dem 14. Jahrhundert wurde in den Hafenstädten des Mittelmeerraumes eine vierzigtägige Quarantäne für Schiffe verhängt, um sich vor der Pest zu schützen. Besatzung, Tiere und Waren durften die Schiffe erst nach Ablauf dieser Frist verlassen. Auch das Abwägen zwischen wirtschaftlichen Interessen und Gesundheitsfürsorge ist nicht neu. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert zwangen etwa sechs Cholera-Epidemien die Entscheidungsträger der Stadt Triest dazu, immer wieder eine Balance zwischen den unterschiedlichen Interessen zu finden.

Sie befinden sich aktuell zu einem Forschungsaufenthalt in Lateinamerika. Mit der Entdeckung der „Neuen Welt“ wurden auch dort neue Krankheiten eingeschleppt. Welche Folgen hatte das für die lokale Bevölkerung?

Hoth: Die Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus im Jahr 1492 und ihre Folgen sind aus medizinhistorischer Sicht hochspannend. So lässt sich die Übermacht der spanischen Eroberer unter Hernan Cortés im heutigen Mexiko eigentlich nur dadurch erklären, dass die zahlenmäßig unterlegenen Spanier 1518 ein ganzes Arsenal an unsichtbaren Krankheitserregern einschleppten. Innerhalb kurzer Zeit erkrankten tausende Indigene an Pocken, Masern oder Syphilis. Über 90 Prozent der einheimischen Bevölkerung kamen innerhalb von nur einhundert Jahren ums Leben.  

Aktuell wird unter hohem Zeitdruck an einem Impfstoff gearbeitet. Welche Rolle spielt das Impfen in der Geschichte der Pandemien?

Hoth: Gerade für die jüngere Geschichte der Pocken ist das Impfen sehr wichtig. Ende des 18. Jahrhunderts stellte der englische Arzt Edward Jenner fest, dass Menschen, die sich mit den Kuhpocken infiziert hatten, später immun gegen echte Pocken waren. Die Beobachtungen aus dem Kuhstall führten zur ersten Impfung. Die Flüssigkeit aus den Pockenbläschen wurde dazu in die Haut von Kindern eingeritzt. Das Wort „Vakzination“ für „Impfung“ verweist noch heute auf das lateinische oder spanische Wort für Kuh – „vacca“ oder „vaca“. 1807 erließ König Maximilian I. von Bayern dann das weltweit erste Impfgesetz. In meiner eigenen Arbeit beschäftige ich mich mit medizinischen Praktiken im Süden Chiles Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Dort war es in erster Linie jedoch nicht der Staat, der die indigene Bevölkerung der Mapucha impfen ließ, sondern bayerische Kapuzinermissionare, die in Eichstätt und Altötting ausgebildet wurden.

Lässt sich die Geschichte von Krankheiten denn sinnvoll aus einer globalen Perspektive schreiben? Sind die Regionen nicht zu unterschiedlich?

Hoth: Natürlich sind die Regionen sehr unterschiedlich. Über eine globale Geschichte wird in der Geschichtswissenschaft jedoch schon lange intensiv diskutiert. Globalhistoriker fragen vor allem nach den weltweiten Verflechtungen zwischen verschiedenen Regionen. Natürlich setzt dies spezifische Kenntnisse der jeweiligen Regionen voraus. Gerade anhand einer Epidemie, die zur Pandemie wird, lassen sich die globalen Entwicklungen jedoch sehr gut darstellen – etwa, wenn sich Wissenschaftler in Folge der Ausbreitung des Virus in kurzer Zeit weltweit vernetzten.

Zuletzt wurde öffentlich über die Rolle der Weltgesundheitsorganisation (WHO) diskutiert. Waren die Pandemien für die Entstehung der WHO von Bedeutung?

Hoth: Für die Entstehung der Weltgesundheitsorganisation sind die Erfahrungen der vergangenen beiden Jahrhunderte entscheidend. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entsteht die Bakteriologie, später ab den 1920er Jahren die Virologie, über die aktuell viel berichtet wird. Ausgangspunkt für die Entstehung war die Spanische Grippe. Die Entdeckung des Grippevirus wurde erst in den 1930er Jahren durch die aufkommende Elektronenmikroskopie möglich. In den 1940er Jahren folgten dann erste Grippeimpfungen in den USA. Auf politischer Ebene haben vor allem die beiden Weltkriege zur Gründung der WHO 1948 geführt. Die Bekämpfung von Pandemien hat also auch institutionell eine lange Geschichte.

Christiane Hoth ist Doktorandin an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Derzeit befindet Sie sich zu einem Forschungsaufenthalt in Kolumbien. In ihrer eigenen Forschung beschäftig sie sich mit der Geschichte Lateinamerikas im 19. und 20. Jahrhundert sowie insbesondere mit Wissenschafts- und Medizingeschichte.