Nach einem Studium der Amerikanistik, Politikwissenschaft und Mittleren und Neueren Geschichte an der Universität Mainz promovierte Jens Temmen an den Universitäten Mainz und Potsdam. An der Universität Potsdam war er zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Amerikanistik tätig und anschließend drei Jahre lang Mitglied des DFG-Graduiertenkollegs „Minor Cosmopolitanisms“. In dieser Zeit forschte er auch als Gastwissenschaftler an Universitäten in Toronto und Hawaii. Als Post-Doc arbeitete Temmen ab 2020 am American Studies Institute der Universität Düsseldorf und wurde Mitglied der Jungen Akademie Mainz. Im Wintersemester 2024/25 war er Gastprofessor am Centre for Anglophone Studies an der Université de Toulouse-Jean Jaurès in Frankreich. Im Frühjahr 2025 erfolgte dann der Ruf an die KU.
Temmens Interesse an amerikanischer Kultur und Sprache ist früh erwacht. Aufgewachsen nahe Frankfurt am Main, gehörten amerikanische Airbases für ihn zum Alltag: „Ich war mit Kindern amerikanischer Soldaten befreundet, bin auf der Airbase ins Restaurant und Kino gegangen, habe amerikanisches Fernsehen gesehen und Radio gehört.“ Die Faszination zog sich weiter bis ins Studium, wo er die Amerikanistik als kritisches Fach, das Kultur- und Literaturwissenschaft verbindet, kennenlernte. Dem folgend setzt Temmen auch als Professor einen intermedialen Schwerpunkt: „Natürlich drehen sich Forschung und Lehre bei mir auch um Literatur, aber nicht nur. Kulturwissenschaftlich betrachtet können viele kulturelle Objekte gelesen werden wie ein Text, auch ein Ereignis, ein Film, ein Foto, Musik oder digitale Medien.“
Einen eher literaturwissenschaftlichen Fokus setzte der Amerikanist in seiner Dissertation. Unter dem Titel „The Territorialities of U.S. Imperialisms“ untersuchte Temmen, wie Konzepte von Territorialität in US-amerikanischen Rechtstexten und indigenen autobiografischen Texten des 19. Jahrhunderts verhandelt werden. „Die Frage war, wie funktionieren Territorialitätskonzepte im offiziellen Narrativ, im Rechtstext, und wie gehen indigene Gruppen oder Individuen, die von diesen Rechtstexten betroffen sind, aber oft kein Mitspracherecht haben, mit diesem fehlenden Mitspracherecht um.“ Ziel sei es gewesen, besser zu verstehen, wie das US-Imperium in dieser Zeit funktionierte.
Mit seinem zweiten Buchprojekt schlägt Temmen bewusst einen anderen Weg ein. Unter dem Titel „North American Astroculture in the Second Space Age“ widmet er sich derzeit der nordamerikanischen Astrokultur – auch das sei im Grunde ein Studium des US-Imperialismus. „Der Weltraum ist ein kulturelles Konstrukt, das über kulturelle Objekte verhandelt wird. Erst diese Objekte, seien es Bücher, Filme oder Musik, verleihen dem Weltraum kulturelle Bedeutung“, erklärt Temmen. Sein Forschungsinteresse gilt insbesondere dem Einfluss privatisierter Weltraumindustrien in den USA auf planetarische Narrative, etwa durch Akteure wie Elon Musk oder Jeff Bezos: „Was wird aus Annahmen über die Bedeutung des Planeten Erde für das menschliche Leben, wenn das Narrativ der privaten Weltraumindustrie ist: Wir können die Erde jederzeit verlassen und genauso gut woanders leben?“
Posthumanismus und Environmental Humanities als weitere Schwerpunkte Temmens knüpfen hier direkt an. Sein Interesse für Diskurse, Erzählungen und kulturelle Praktiken, durch die Vorstellungen von Zukunft produziert werden, zeigt sich auch in seiner Tätigkeit als Mitherausgeber der Buchreihe „Critical Futures“ im transcript-Verlag.
Ein zentraler Anknüpfungspunkt für Temmens Arbeit an der KU ist das DFG-Graduiertenkolleg „Practicing Place“. Beide Schwerpunkte, sowohl US-Imperialismus als auch Astrokultur, sind verbunden mit Theorien der Raumkonstruktion. „Ich freue mich, in das Graduiertenkolleg meine Expertise zu Konzepten wie Planetarität, Territorialität oder Globalisierung einzubringen.“ Der interdisziplinäre Austausch gefällt dem Amerikanisten an seiner neuen akademischen Heimat besonders gut: „An einer kleinen Uni wie dieser gibt es nicht nur die Möglichkeit, sondern die Notwendigkeit, über den Tellerrand des eigenen Fachs hinauszuschauen.“ Auch der enge Kontakt mit den Studierenden ist für Temmen ein klarer Vorteil gegenüber größeren Hochschulen.
Wichtig in Forschung und Lehre ist dem Professor die kritische Auseinandersetzung mit der US-amerikanischen Gesellschaft und Geschichte. Die Amerikanistik sei kein „USA-Fanclub“, sondern ein kritisches Fach. Wer sich mit US-Imperialismus beschäftige, wisse, dass es sich bei vielen der aktuellen Entwicklungen in den USA um langfristige Trends handle: „Rassismus, Misogynie, Klassismus, Queerfeindlichkeit und imperiale Strukturen sind nichts, was Donald Trump erfunden hat, was aber jetzt besonders sichtbar wird. Für uns Amerikanist*innen ist das, was wir jetzt beobachten, schlimm, aber nicht unbedingt neu.“
Gezielt baut Temmen in seiner Lehre daher eine Brücke zwischen wissenschaftlichen Grundlagen und aktuellen Diskursen, beispielsweise in diesem Semester mit einem Seminar zu Faschismus in der amerikanischen Literatur und Kultur. An ihrer Relevanz hat die Amerikanistik in den letzten Jahren nichts eingebüßt, betont er: „Um Krisen, problematische Entwicklungen und politische Umbrüche erklären und verstehen zu können, brauchen wir Fächer wie die Amerikanistik.“