Jüdisch-Christliche Grundlagen Europas: Was die Gesellschaft trotz Pluralität zusammenhält

Mit Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Huber konnte der Arbeitskreis Forum K’Universale am Montag den ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden als Gastredner der interdisziplinären Vortragsreihe "Europa?!" an der KU begrüßen. In der mittlerweile sechsten Abendveranstaltung der Reihe, deren zweiter thematischer Block sich mit den Traditionen, Prinzipien und Werten beschäftigt, auf denen Europa fußt, setzte sich Huber – als ausgewiesener und renommierter Kenner des Themenbereichs, wie Prof. Dr. Richard Nate in seinen Begrüßungsworten hervorhob – mit den jüdisch-christlichen Grundlagen Europas auseinander.

Dass es sich bei der scheinbaren Selbstverständlichkeit der Verknüpfung von „jüdisch-christlich“ durch die Bindestrichschreibweise eben nicht um eine Grundkonstante handelt, wurde bereits eingangs von Prof. Dr. Richard Nate betont, der auf die „immer noch offene Wunde“ in diesem Beziehungsverhältnis verwies und zu einem von Demut geprägten Geschichtsbild mahnte.

Wolfgang Huber, der für seinen Vortrag an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt erstmals im Altmühltal weilte, zeigte sich beeindruckt von der Stadt, in der er „wunderbare Natur mit großer Kultur verbunden“ vorfand. Einführend verwies er darauf, dass er sich ein „riesiges Thema“ vorgenommen habe, mit dem er sich aufgrund des gesetzten Zeitrahmens nicht historisch, sondern nur in systematischer Verdichtung auseinandersetzen könne.

Der sehr präzise entwickelte Vortrag wies eine strukturelle Dreiteilung auf: Er befasste sich eingangs mit den grundlegenden Schwierigkeiten, die nicht nur dem Begriff „jüdisch-christliche Grundlagen“, sondern auch dessen Verwendung und der historischen Beziehung innewohnen. An dieser Stelle zeigte er den inhärenten Widerstand der Frage nach den jüdisch-christlichen Grundlagen Europas auf: Wo nach Wurzeln gefragt werde, werde ebenso nach Werten gefragt; und die Pluralität kultureller Werte sei es auch, die Europa konstituiere.

Mit diesen jüdischen und christlichen Wurzeln und Werten sowie dem Beitrag zu Europa, den diese leisten, beschäftigte sich Wolfgang Huber im zweiten thematischen Block, bevor er abschließend aus der christlichen Perspektive heraus konkrete Werte ableitete, die Orientierungshilfe für ein gemeinschaftliches und europäisches Zusammenleben leisten können.

Der Referent problematisierte einführend die Rede vom „christlichen Abendland“, der er die Pluralität kultureller Prägungen und Werte in Europa gegenüberstellte: Das ‚Abendland‘ sei ohne das ‚Morgenland‘ schlichtweg „nicht zu haben“, und das Christentum müsse sich seiner Herkunft aus dem Judentum heraus stets bewusst sein. Die Relation von Judentum und Christentum reflektierte er mit einem Blick auf die Geschichte der Beziehung und betonte, dass erst die Shoah ein Umdenken bewirkt habe, die heute angenommene Selbstverständlichkeit der Verknüpfung von „jüdisch-christlich“ also ein verhältnismäßig junges Konstrukt sei. Mit dem Verweis auf das Zwei-Wege-Modell von Franz Rosenzweig, das von Martin Buber rezipiert wurde, zeigte er Gemeinsamkeiten wie Unterschiede auf und verwies auf die im Paulusbrief an die Römer aufgezeigte endzeitliche Perspektive, in der die zwei Wege zusammengerückt werden: „Gottes Gnade und Berufung können ihn nicht gereuen“ (Röm 11,29). In Hubers Augen stellt diese Textzeile gleichsam eine Überschrift für den interreligiösen Dialog dar.

Nehme man das Modell der zwei Wege ernst, so leitete der Referent zum zweiten Teil seines Vortrags über, so müsse man sich die eigene Perspektivität eingestehen und diese auch zur Beschreibung einnehmen. In Konsequenz daraus entwickelte Huber fünf Grundmotive, aus denen er anschließend Werte ableitete: das Schöpfungsmotiv, das Gnadenmotiv, das Liebesmotiv, das Hoffnungsmotiv und das Umkehrmotiv.

In Orientierung an den Menschenrechten setzte er sich dann mit dem Zusammenhang, aber auch der Unterscheidung von Wert(en) und Würde auseinander, die verklammert seien durch die Reichweite menschlicher Würde (als Singularbegriff, wie er betonte) in der historischen Wertediskussion. Stets gehe es dabei darum, dass Menschen nicht unterschiedlich zu werten seien, da sie die gleiche Würde besäßen.

Von den jüdisch-christlichen Grundlagen ausgehend und aus christlicher Perspektive formulierte Wolfgang Huber schließlich fünf Werte, die er als konstitutiv für den gemeinsamen Dialog und das Zusammenleben auf interreligiöser wie auch transnationaler Basis erachtete: die Achtung der Menschenwürde, Gottvertrauen und Nächstenliebe, Toleranz, verantwortete Freiheit sowie den Einsatz fürs Gemeinwohl. Es sei an der Zeit, so resümierte er abschließend, die Frage neu zu stellen, was die Gesellschaft trotz Pluralität zusammenhält.

Nach den Ausführungen Wolfgang Hubers wurde das Wort ans Plenum weitergegeben. An den gut besuchten Vortrag schloss sich eine lebendige Diskussion an, die sich mit Fragen wie den Beiträgen des Islam zu den kulturellen Werten Europas befasste, das Problem des Gemeinwohls noch einmal vertiefte und sich mit Möglichkeiten der Verkündigung der von Huber offerierten Grundmotive auseinandersetzte.

Verena Lauerer