„Kultur ist eine Angelegenheit, die alle angeht“

Engagement fördern und sichtbar machen: Das ist eines der Ziele von „Mensch in Bewegung“, einem Gemeinschaftsprojekt von Katholischer Universität Eichstätt-Ingolstadt und Technischer Hochschule Ingolstadt. Unter dem Motto „Engagement hinterlässt Spuren“ besuchte das Projektteam dazu im Sommer engagierte Menschen und Initiativen an rund 50 Orten in der Region. Mit dem Herbstprogramm werden die Gespräche mit Vereinen und Initiativen, mit Forschenden und Kommunen fortgesetzt. Zum aktuellen Treffen sprachen Angelika Süss (Projekt „Bahnhof lebt“), Hubert Klotzeck (Kunstverein Ingolstadt) und Prof. Dr. Daniel Mark Eberhard (Musikpädagogik, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt) darüber, wie Engagierte das kulturelle Leben mitgestalten.

Wo findet kulturelles Engagement in der Region statt?

Angelika Süss: Vor allem in den Dörfern der Umgebung, in den Theatergruppen, Jugendfeuerwehren, Blaskapellen und da, wo die örtlichen Vereine eine große Rolle spielen, dort gibt es ein sehr reges Kulturleben. Traditionen werden gepflegt, aber auch neue kulturelle Akzente gesetzt. Es ist faszinierend zu sehen, was alles geschieht. Lesungen, Theater, Musikevents, zum Beispiel das Open Air am Berg, eine Veranstaltung, die ehrenamtlich organisiert wird und seit mehr als 20 Jahren besteht.

Hubert Klotzeck: Ja, und alles, was wir an kulturellem Leben haben, fußt auf ehrenamtlichem Engagement. Selbst die Kreativen, Kunst- und Kulturschaffenden, die bezahlt werden, leisten ihre Arbeit großteils ehrenamtlich. Viele arbeiten weit unter ihrem Wert. Das zieht sich durch alle Bereiche der Kultur.

Daniel Mark Eberhard: Ich hätte ihre Frage daher lieber umgedreht: Wo findet Kultur denn nicht statt? Das ist viel einfacher zu beantworten. Kultur ist im Gegensatz zur Natur das von Menschen Hervorgebrachte. Im engeren Sinne engagieren sich Menschen etwa in literarischen Vereinigungen, in Museen, in Chören, Kunst- oder Musikprojekten, in der Soziokultur, Denkmalpflege oder im Theater. Auch unsere Region lebt ganz entscheidend vom bürgerschaftlichen Engagement in all diesen Bereichen.

Angelika Suess
Angelika Süss engagiert sich in den Projekten „Bahnhof lebt“ und „Stadt.Land.Kunst“

Es gibt also zwei Arten des Engagements: das klassische Ehrenamt, aber auch eine engagierte Haltung. Man macht mehr als man muss. Ist das charakteristisch für den Kulturbereich?

Klotzeck: Ich denke, das ist charakteristisch. In der Satzung unseres Ingolstädter Kunstvereins steht zum Beispiel immer noch, dass ausstellende Künstler kein Honorar erhalten. Das Ausstellen sei ja Ehre und Honorar genug, dachte man wohl damals. Diese Haltung hat sich leider sehr verfestigt, in der Politik, in der Verwaltung. Deshalb fällt es schwer, Kunst und Kultur wieder mehr wertzuschätzen. Zu erkennen, dass da mehr sein muss als der berühmte Applaus für alle Engagierten, der in Corona-Zeiten so häufig zitiert wurde. Das ist eine große, aber auch dringende Aufgabe.

Süss: Dem stimme ich zu. Engagierte bringen enorm viel Energie ein. Oft sind das Menschen, die große Visionen haben, die für eine Sache brennen und dadurch andere dazu inspirieren, sich mit zu engagieren. Wichtig ist es aber auch, das Spannungsfeld zu sehen, zwischen denen, die sich engagieren, die aber nicht von ihrer künstlerischen Arbeit leben müssen und Künstlern, für die ihr Schaffen auch Broterwerb ist. Da bedarf es eines ganz bewussten Zusammenhalts und Ausgleichs zwischen diesen Gruppen, damit es zu keinen Verletzungen kommt.

Eberhard: Auch ich würde dem zustimmen. Dabei ist die Diskussion um den Wert der Kunst insgesamt schwierig, weil das weite Verständnis von Kultur die Diskussion verwässert. Wir sprechen etwa von Ess- oder Diskussionskultur, meinen hier aber die klassischen Kunstsparten. Dabei bemisst sich der Wert erst einmal durch individuelle Zuschreibungen an ein Kunstobjekt. Natürlich lassen sich die Arbeitsstunden auch auflisten und bepreisen, aber Kunst und Kultur gründen zunächst auf einem anderen Wertvorstellungen, bei dem auch die unterschiedlichen Perspektiven von professionellem und Laien-Engagement eine Rolle spielen.

Klotzeck
Hubert Klotzeck ist Inhaber der Galerie Bildfläche und 1. Vorsitzender des Kunstvereins Ingolstadt

Sie alle engagieren sich auch selbst im Kunst- und Kulturbereich. Was motiviert sie dazu?

Eberhard: Zum einen ein hoher Idealismus, aber auch die Einsicht, dass bestehende Strukturen der Erweiterung bedürfen und das eigene Engagement das Angebot staatlich unterstützter oder professioneller Initiativen bereichert. Persönliche Faktoren sind aber auch: Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit oder der Wunsch zur Mitgestaltung. Das soziale Umfeld begünstigt Engagement, manchmal treibt auch ein Widerstandswille das Engagement an oder eine bestimmte Sinnzuschreibung.

Klotzeck:  Ich denke, auch die Erziehung ist dafür zu einem großen Teil relevant. Welche Rolle spielt Kultur im eigenen Familienumfeld, hat man dort erfahren, was für ein schöner Raum das ist, in dem man sich abseits des Alltags bewegen kann. Grundsätzlich aber die Freude an schönen Dingen, ob das Musik ist oder Malerei. In einer Stadt wie Eichstätt bewegt mich aber auch, dass ich als Einzelner oder gemeinsam mit anderen etwas verändern und Impulse einbringen kann. Aber natürlich ist das Typ-Sache.

Frau Süss, wie nehmen Sie das wahr?

Süss: Ich bin grundsätzlich der Überzeugung, dass es eine intrinsische Motivation benötigt. Man muss gestalten wollen und begeistert sein. Das habe ich bei vielen erlebt. Natürlich prägt uns aber auch die Erziehung, frühe Begegnungen mit Kultur, mit ästhetischen Objekten und gestalteter Welt. Es ist aber nie zu spät, sich mit Kunst und Kultur auseinanderzusetzen.

Eberhard
Daniel Mark Eberhard ist Professor für Musikpädagogik und Musikdidaktik an der Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt

Haben sie denn den Eindruck, dass das Engagement wahrgenommen und anerkannt wird?

Klotzeck: Viele haben keine Vorstellung davon, was dahintersteckt. Meist kommt man ja nur zu einer Uraufführung, Ausstellung, Konzert oder ähnlichem, sieht aber nicht, dass da Wochen, Monate, manchmal auch Jahre an Arbeit und Mühen hineingeflossen sind. Wenn 30 Bilder in einer Ausstellung hängen, sieht kaum einer die Arbeit, die da hineingeflossen ist. Da sind wir wieder bei der Wertschätzung. Es muss vermittelt werden, dass da sehr viel mehr drinsteckt. Wenn man das sichtbar machen kann, dann wächst die Anerkennung, und das hilft, dass das Engagement auch von öffentlicher Seite mehr gefördert wird.

Eberhard: Grundsätzlich ja, aber wenn sich ein Literaturverein jede Woche trifft oder wenn ein Chor über ein halbes Jahr probt, dann ist es schmerzhaft zu hören, Kultur sei nicht systemrelevant. Natürlich ist das Unsinn, weil es den Menschen ohne Kultur nicht gibt. Gleichzeitig ist dies, was die Wertschätzung und Anerkennung betrifft, eine völlig unverständliche Aussage.

Süss: Dem stimme ich ganz zu. Ich sehe aber auch die Notwendigkeit, dass es seitens der Staatsregierung, den Bürgern, Räten und der Verwaltung einer Stadt einer Sensibilität für kulturelle Belange bedarf, damit kulturell etwas passiert. Man muss Kultur, Kunst, Musik, Literatur wollen, wertschätzen und natürlich auch finanziell unterstützen. Meine Hoffnung ist, dass die Wertschätzung zunimmt, wenn wir uns dazu mehr austauschen.

Wenn sie in die Zukunft des kulturellen Engagements schauen, was braucht es da?

Eberhard: Zum einen ist es so, dass das kulturelle Engagement in den vergangenen Jahren nicht abgenommen hat. Zwar wird beklagt, dass Freiwillige in Feuerwehren und Fußballvereinen fehlen. Menschen engagieren sich aber nach wie vor. Da entsteht auch eine Widerstandshaltung: Je weniger die Politik tut, desto mehr tun andere. Andererseits leben wir in sehr angespannten Zeiten. Viele Menschen sind an ihrer Leistungsgrenze angelangt, mit dem, was sie im Alltag, in Familie oder Beruf leisten können und wollen. Fragt sich, wie viele Ressourcen bleiben, um sich zu engagieren. Engagement wird daher vielleicht kritischer hinterfragt, außerdem gibt es ausdifferenziertere Möglichkeiten für das eigene Engagement.

Süss: Wenn ich aber an unsere letzte Aktion hier in Eichstätt denke, das Projekt „Stadt, Land, Kunst“, eine konzertierte Aktion von Galeristen und Kunstschaffenden, dann wurde die in der Bevölkerung sehr positiv aufgenommen. Die Wertschätzung, die uns entgegengebracht wurde, war enorm. Es hat mich sehr gefreut, dass wir die Leute rauslocken konnten, zum Betrachten, Schauen, Wahrnehmen.

Klotzeck: Ja, im Fall von „Stadt, Land, Kunst“ war ein Aspekt sicherlich, dass wir eine gewisse Not haben seit Beginn der Corona-Zeit. Vielen fehlte der Raum, mit dem, was sie schaffen, nach außen zu gehen. Das hatte einen unglaublich verbindenden Aspekt. Früher gab es viele Einzelkämpfer, jetzt sind die Leute über ihre Vorbehalte hinweggegangen. Genau das braucht es: Mehr miteinander! Dann erreichen wir mehr Gehör, mehr Anerkennung und auch eine bessere materielle Förderung, angefangen bei Räumen, in denen ich aktiv werden kann, bis hin zu finanzieller Unterstützung.

Herr Eberhard, welche Rolle kann die Universität hierbei spielen?

Eberhard: Ganz unterschiedlichen Rollen. Die Universität kann hier Raum und Zeit, Strukturen und Gesprächshilfen anbieten, aber auch einen fachlichen Input geben. Gerade die Studierenden, die von außerhalb kommen, können neue Impulse einbringen, auf praktischer Ebene, aber auch durch gedankliche Impulse. Universität kann daher ein Ort sein, an dem man sich begegnet, zum Beispiel um gemeinsam konkrete Probleme zu lösen. Wir können die Lehre so gestalten, dass die Situation vor Ort davon profitiert, etwa wenn Diskurse oder Praxisprojekte mit der Bevölkerung stattfinden.

Süss: Der Gedanke der Praxisorientierung sollte im Vordergrund stehen. Danke, dass sie das sagen. Ich finde es unglaublich wichtig, dass die Studierenden in Praxissituationen gehen und sich konkret vor Ort informieren: Was geschieht? Wo gibt es Defizite? Wo kann man helfen? Diese Erkenntnisse können dann wieder in die Universität getragen und dort in einen größeren theoretischen Zusammenhang gestellt werden.

Klotzeck: Als kritischer Geist möchte ich anmerken, dass man sich von Seiten der Universität auch weiter öffnen, mehr aus dem akademischen Denken rauskommen muss. Ich würde mir ein größeres Interesse wünschen für Projekte die von Künstlern und Kreativen außerhalb des Universität-Kontextes entstehen. Es gibt leider immer noch Künstler und Kreative, die den Amateuren oder Quereinsteigern wenig Wertschätzung entgegenbringen – das ist oft erschreckend. Es braucht eine Ansprechstelle für Personen, die mit Projekten und Ideen an die Universität herantreten.

Eberhard: Das nehme ich gerne mit. Wir dürfen aber nicht vergessen: Das Engagement der Menschen hier vor Ort darf nicht die Politik davon entlasten, Verantwortung zu übernehmen. Der Freistaat Bayern versteht sich als Kulturstaat. Das darf nicht bedeuten, dass die Kultur von Freiwilligen gemacht wird, vielmehr muss der Staat dafür Sorge tragen, dass sich der Kulturbereich infrastrukturell weiterentwickeln kann. Als Universität können wir diesen Diskurs mit anstoßen. Kultur ist eine Angelegenheit, die alle angeht.