Mehr als nur formale Bildung: Wie berufliche Fähigkeiten Migration beeinflussen

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Durch welche Eigenschaften unterscheiden sich Menschen, die für ein besseres Einkommen in ein anderes Land migrieren, von der Bevölkerung in ihrem Heimatland? Dass der formale Bildungsabschluss nicht genügt, um diese Frage zu beantworten, zeigt erstmals in der Fachliteratur ein deutsch-mexikanisches Forscherteam, zu dem auch Prof. Dr. Simon Wiederhold (Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre/Makroökonomik an der KU) und Prof. Dr. Jens Ruhose (Juniorprofessor für Volkswirtschaftslehre/Arbeits- und Migrationsökonomik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel) gehören.

„In der Wissenschaft wird bislang argumentiert, dass Menschen in ein anderes Land auswandern, wenn dort ihre Fähigkeiten besser honoriert werden als im Heimatland. Mangels einer einheitlichen Datengrundlage wurde in der Fachliteratur bisher das Bildungsniveau mit der Gesamtheit an ökonomisch nützlichen Fähigkeiten gleichgesetzt – etwa, weil man es durch Volkszählungen international leicht beobachten kann“, erklärt Professor Wiederhold. Dies führt jedoch zu Konflikten zwischen der Theorie und den empirischen Ergebnissen, wie Professor Jens Ruhose schildert: „Verschiedene Studien zeigen, dass überwiegend Menschen mit besserer Bildung aus Entwicklungsländern in OECD-Länder migrieren, obwohl sie in ihrem Heimatland höhere Einkommenszuwächse für ein höheres Bildungsniveau hätten erwarten können.“

Um diesem Widerspruch nachzugehen, haben sich die Forscher um Wiederhold und Ruhose auf die Migration von Mexiko in die USA als Fallbeispiel konzentriert. Dies bietet sich aus mehreren Gründen an. Zum einen stellt die Wanderung zwischen Mexiko und den USA den weltweit größten Migrationsstrom zwischen zwei Ländern dar. Mittlerweile leben einschließlich der in den USA geborenen Nachfahren mexikanischer Zuwanderer insgesamt 25 Millionen Menschen mexikanischer Abstammung in den USA – das entspricht 8,7 % der US-Bevölkerung. Mexikanische Migration in die USA war in den 1960er Jahren in der Regel überwiegend zirkuläre Migration von Männern, die regelmäßig in ihre Herkunftsorte in Mexiko zurückkehrten. Seitdem hat ein langfristiger Trend hin zu Abwanderungen ganzer Familien und dauerhafter Ansiedlung eingesetzt.

Zum anderen haben sich die Forscher für Mexiko als Untersuchungsgebiet entschieden, weil dieser Staat als erstes großes Auswanderungsland eine repräsentative Arbeitnehmerbefragung über berufliche Tätigkeiten durchgeführt hat, deren Daten für die Forschung zugänglich sind. Darin finden sich detaillierte Informationen über die Tätigkeitsanforderungen von Arbeitskräften. „Vergleicht man die beruflichen Fähigkeiten von mexikanischen Migranten und Nicht-Migranten, so haben mexikanische Einwanderer in den USA tendenziell höhere handwerkliche Fähigkeiten und geringere kognitive und kommunikative Fähigkeiten“, erläutert Professor Wiederhold. „Dies ist darauf zurückzuführen, dass handwerkliche Fähigkeiten in den USA vergleichsweise besser honoriert werden als in Mexiko, während dies bei kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten genau umgekehrt ist.“

Wichtig sei dabei, dass sich diese Ergebnisse nicht allein auf Migranten zurückführen ließen, die ein niedriges Bildungsniveau haben und bereits in ihrer Heimat einer Tätigkeit mit viel Handarbeit nachgegangen seien. „Vergleicht man etwa einen mexikanischen Ingenieur mit einem mexikanischen Hochschullehrer – beide haben einen vergleichbar hohen Bildungsstand und hohe kognitive und kommunikative Fähigkeiten – ist die Wahrscheinlichkeit fast viermal höher, dass der Ingenieur in die USA auswandert, weil er höhere handwerkliche Fähigkeiten besitzt“, ergänzt Professor Ruhose. Die vergleichsweise höheren handwerklichen Fähigkeiten von mexikanischen Einwanderern in die USA lassen sich somit innerhalb jeder Bildungskategorie beobachten. Mexikanische Einwanderer sind zudem nicht nur in der Landwirtschaft tätig, sondern auch in vielen anderen Branchen, in denen insbesondere handwerkliche Tätigkeiten gefragt sind.

Die Ergebnisse der Forscher deuten auch an, wie die Einwanderungs- und Integrationspolitik auf die Art der beruflichen Fähigkeiten der Migranten wirkt – etwa durch Hürden für die Anerkennung von Bildungsabschlüssen sowie durch sprachliche und kulturelle Unterschiede, die eine geringere Honorierung von kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten zur Folge haben. Über das konkrete Fallbeispiel hinaus betonen Wiederhold und Ruhose: „Unsere Ergebnisse deuten stark darauf hin, dass das Wissen über das Bildungsniveau der Migranten allein nicht ausreicht, um das Migrationsverhalten zu verstehen und Entwicklungen zu prognostizieren. Jedoch sind bislang international vergleichbare Daten zu beruflichen Fähigkeiten, die Muster in der Einwanderung besser abbilden, nach wie vor rar. Diese zu erheben ist wichtig als Baustein zum besseren Verständnis von Aus- und Einwanderung.“

 

Originalartikel zur Studie:
International Emigrant Selection on Occupational Skills.
in: Journal of the European Economic Association (Volume 19, Issue 2)
https://doi.org/10.1093/jeea/jvaa032

Autoren: Alexander Patt (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nürnberg), Jens Ruhose (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel), Simon Wiederhold (KU), Miguel Flores (Tecnologico de Monterrey, School of Social Science and Government)