Mehr Teilhabe am regulären Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung

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Über das sogenannte „Budget für Arbeit“ können seit 2018 Menschen mit Behinderungen Zugänge zum ersten Arbeitsmarkt erhalten. Doch das Angebot wurde bislang nur sehr zögerlich wahrgenommen. Als Teil eines Verbundes untersucht der Lehrstuhl für Psychogische Diagnostik und Intervention (Prof. Dr. Joachim Thomas) der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) derzeit, welche Faktoren zum Gelingen des Budgets für Arbeit beitragen. Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Das Berufsförderungswerk Bad Wildbad koordiniert das Gesamtvorhaben, an dem neben der KU auch Prof. Dr. Reinhilde Stöppler (Professur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Geistigbehindertenpädagogik; Justus-Liebig-Universität Gießen) beteiligt ist. Praxispartner sind das Berufsbildungswerk der Rummelsberger Diakonie, das Heinrich-Haus Neuwied und das Josefsheim Bigge.

Zielsetzung des Projektes ist neben der Analyse von Förder- und Hemmfaktoren auch, exemplarisch Verbesserungen der Übergänge in den ersten Arbeitsmarkt zu erzielen und damit aufzuzeigen, wie die Bedingungen für eine stärkere Inanspruchnahme des BfA und damit auch der beruflichen Inklusion zu erreichen sind. Denn immer noch ist es für Personen mit Behinderungen schwierig aus dem geschützten Arbeitsmarkt der Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) zu einer Beschäftigung in Regelunternehmen zu wechseln, selbst wenn die persönlichen Voraussetzungen, Fähigkeiten und die nötige Motivation für diese Veränderung gegeben sind. Im Zuge einer verbesserten inklusiven Entwicklung von individuellen Beschäftigungsbiographien setzen verschiedene Förderprogramme genau hier an. Eine prominente Initiative auf Bundesebene ist seit 2018 das Budget für Arbeit (BfA). Das im Bundesteilhabegesetz verankerte BfA soll die Beschäftigung von Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durch zwei Unterstützungsmaßnahmen fördern: Zum einen durch Lohnkostenzuschuss an den Arbeitgeber als „Ausgleich von Leistungsminderung“ der Beschäftigten, zum anderen durch Unterstützung und Begleitung am Arbeitsplatz, die den betroffenen Personen zur individuellen Eingliederung in Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarktes zur Verfügung gestellt wird.

„Durch die Positionierung als Kundin bzw. Kunde werden Betroffenen zu handelnden Personen im Prozess der Arbeitssuche. Damit soll der bisherige, sehr theoretische Weg, über die Werkstätte für behinderte Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu wechseln, systematisch ergänzt werden“, schildert Projektmitarbeiterin Christiane Bartosch. Im BfA bilden unter anderem die Werkstätten, Integrationsfachdienste, Betriebe und vor allem die betroffene Person selbst ein Team, um den gezielten Übergang möglich zu machen.

Die Forschenden an der KU haben 70 Interviews mit Expertinnen und Experten geführt, darunter auch Teilnehmende des BfA-Programms. Die Auswertung der Gespräche hat vier Teilbereiche sichtbar gemacht, die zum Gelingen des BfA beitragen: die rechtlichen Rahmenbedingungen, die Betroffenen, die Werkstätten sowie die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. „Überraschend ist die bundesweit sehr uneinheitliche rechtlich-administrative Umsetzung des BfA. Regionale Zuständigkeiten, Trägerschaften, Antragsverfahren und nicht zuletzt Leistungen und Ansprüche variieren erheblich“, schildert Professor Thomas. So würden beispielsweise Lohn- und Fahrtkostenzuschüsse sehr verschieden gehandhabt. Dies betreffe auch die eminent bedeutsame Praxis der Rentenberatung. In der Folge würden sich Informationsdefizite, ein Entpflichtungsgefühl der Rehabilitiationsträger, ungerecht erlebte Behandlung und eine erschwerte Prozessbearbeitung ergeben. Die Werkstätten wiederum folgen ihrem sogenannten Triple-Mandat – also dem Auftrag von Rehabilitation, Inklusion und Wirtschaftlichkeit. Dadurch hätten sie ein besonderes Interesse die Leistungsträger in ihren Einrichtungen zu halten. Für die Zielgruppe selbst könne starke Verunsicherung und Sorge festgestellt werden. Professor Thomas betont: „Es ist eine besondere, anspruchsvolle Hürde für Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit des Übergangs ggf. gegen den Rat des Umfeldes als ihr Recht zu erkämpfen.“ Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber seien außerdem schlicht zu wenig kundig, welche Arbeitsprofile in ihrem Unternehmen für die Zielgruppe tatsächlich geeignet sein können. Sie hätten geringe zeitliche Ressourcen, Strategien und Handlungsempfehlungen sind nicht vorhanden.

Die Forschungsgruppe leitet aus diesen Erkenntnissen ab, dass die rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen transparent und vergleichbar gemacht werden müssen. Außerdem sei die Berücksichtigung der Interessen der Werkstätten für Menschen mit Behinderung unabdingbar, da sie als Partner im Netzwerk zentral seien.

Gruppenbild Runder Tisch
Austausch bei der Rummelsberger Diakonie zum Budget für Arbeit.

Eine grundlegende Problematik für die Inanspruchnahme des BfA ergebe sich außerdem daraus, dass an der Beantragung, Bewilligung sowie der fortlaufenden Betreuung viele verschiedene Institutionen beteiligt seien. Als Teil des Projektes hat die Forschungsgruppe daher vor kurzen einen Runden Tisch bei der Rummelsberger Diakonie abgehalten. Diese führte zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter zusammen, die am Prozess, dem Zustandekommen und der Begleitung eines BfA beteiligt sind, um untereinander und mit BfA-Nehmern ins Gespräch zu kommen. Sie brachten Erfahrungen und Kenntnisse ein, wodurch ein reger Austausch auf Augenhöhe ermöglicht wurde. Um den Runden Tisch versammelten sich: der Bayerische Behindertenbeauftragte Holger Kiesel, Vertreterinnen und Vertreter der Bundesagentur für Arbeit, einer Werkstatt für behinderte Menschen, des Bezirk Mittelfrankens, des Inklusionsamtes, des Integrationsfachdienstes, der Handwerkskammer, ein BfA-Nehmer sowie ein potentieller BfA-Nehmer und schließlich auch die Eichstätter Gruppe mit Professor Dr. Joachim Thomas, Dr. Regina Weißmann, Burcu Köse und Christiane Bartosch sowie die Rummelsberger Diakonie mit Matthias Wagner, Iris Thieme und Sebastian Bratfisch. Entsprechend dem inklusiven Selbstverständnis und dem partizipativen Forschungsansatz wurden Betroffene als Experten integriert. Sie wurden damit zu echten Mitwirkenden im Sinne eines Reallabors. Nicht zuletzt bundeslandübergreifende Perspektive, die sich aus dem Treffen ergab, führte bei den Teilnehmenden zur Absicht, dieses Austauschformat künftig fortzuführen.