Nach Brexit-Votum:<br>„Neuwahlen würden Gelegenheit für klare Lösung bieten“

Nach dem Scheitern der Brexit-Abstimmung im englischen Parlament sieht Prof. Dr. Stefan Schieren, Historiker und Politikwissenschaftler an der KU, den Rücktritt der Regierung und Neuwahlen als einzig sinnvollen Schritt. „Dies würde Gelegenheit bieten, um die Verhältnisse neu zu ordnen und – wenn nötig über Parteigrenzen hinweg – eine klare Lösung zu finden. Diese bestünde für mich angesichts der Umstände in der Rücknahme des Brexit – auch wenn es wohl nicht dazu kommen wird.“

Neuwahlen würden die Stärken des politischen Systems ernst nehmen, denn nicht das politische System Großbritanniens sei Ausgangspunkt der Krise, sondern das Referendum. Man müsse sich allerdings dafür darauf einigen, den Austrittstermin zu verschieben, was wiederum von europäischer Seite aus nur schwer zu erreichen sein dürfte. Zudem hätten die regierenden Konservativen ein elementares Interesse daran, dass alles bleibe so wie es ist, weil jeder Wechsel zum Zerreißen der Partei führen würde. Das sei auch der Grund, warum Premierministerin May trotz aller Niederlagen noch im Amt sei.

„Aus dem Referendum von 2016 ist ein sehr unpräziser Auftrag hervorgegangen. Die Bedingungen eines Austritts waren völlig unklar. Eine so komplexe Frage kann man nicht mit Ja oder Nein entscheiden. Zuerst hätte ein Verhandlungsergebnis stehen müssen, das man dann zur Abstimmung bringt“, so Schieren. Alternativ zu Neuwahlen sei es prinzipiell auch möglich, dass fraktionsübergreifend die Parlamentarier das Heft in die Hand nehmen und nach einer Lösung in Form eines zweiten Brexit-Referendums suchen. Ein solches Referendum könne jedoch wiederum die Spaltung im Land vertiefen und das Vertrauen in Parteien und das politische System bis hin zu einer Verfassungskrise erschüttern. Die derzeitige Situation gleicht für Schieren einer griechischen Tragödie: „Jede Lösung, die sich anbahnt, wird auf jeden Fall zu Verwerfungen führen – in Großbritannien stärker als in der Europäischen Union“.

Ein Interview mit Stefan Schieren zum Brexit-Chaos finden Sie auch auf dem Youtube-Kanal der KU.


Zur Person: Der Historiker und Politologe Prof. Dr. Stefan Schieren ist Dekan der Fakultät für Soziale Arbeit an der KU. Seine Forschungsschwerpunkte sind Staat und Politik in Großbritannien, europäische und nationale Sozialpolitik und Kommunalpolitik. Er gehört dem Vorstand der Prinz-Albert-Gesellschaft an, die zum Ziel hat, Forschungen über wissenschaftliche, kulturelle und politische Aspekte der deutsch-britischen Beziehungen zu fördern. Darüber hinaus ist Schieren Mitglied im Arbeitskreis Großbritannien-Forschung.