„Die wachsende Komplexität infolge der demographischen Entwicklung setzen bisherige Sorgeangebote in allen europäischen Ländern unter Druck, die eher episodenhaft und vornehmlich medizinisch orientiert sind, aber nicht den Gesamtverlauf im Blick haben. Häufig ist es aber wichtig, etwa im Kontext von Pflegeüberleitungen verschiedenen mögliche Bedarfsantworten gewissermaßen vorzuplanen“, erklärt Professor Zerth. Wenn zum Beispiel eine ältere Person nach Versorgung eines Oberschenkelhalsbruchs aus dem Krankenhaus entlassen werde, mache dies nicht nur eine Anschlussheilbehandlung erforderlich. Es sei darüber hinaus auch zu prüfen, ob die eigene Wohnung einen Anpassungsbedarf habe bzw. welche Unterstützung die Familie bei der künftigen Versorgung benötige. Die Personenzentrierung des Projektes wolle deshalb bewusst medizinische, pflegerische und soziale Bedarfslagen im Sinne eines Ökosystems integrierend in den Blick nehmen. „Mit Ökosystem ist eine Kombination mit und von verschiedenen Sozialakteuren gemeint, die etwa die Frage einer sozialen Teilhabe in ländlichen Strukturen angehen können, wenn beispielsweise traditionelle famillienbasierte Unterstützung nur geringer ausgeprägt sein kann“, erläutert Zerth.
Die Forschenden versprechen sich Impulse von einer systematischen Bestandsaufnahme gelungener Projekte mit einer integrierenden Perspektive in verschiedenen europäischen Ländern, die im Zuge von BUILD erfolgen wird. Dabei sollen Unterschiede bezogen auf den Zugang und den Charakter der Versorgung mit Pflegeleistungen in den Blick genommen werden sowie auch geschlechtsspezifische Aspekte. Zerth berichtet: „Familienpflege findet noch sehr häufig vor allem durch Frauen statt, die später bei eigener pflegerischer Bedarfslage häufig schwieriger Versorgungsarrangements im eigenen Lebensbereich finden und daher überproportional, etwa in Deutschland, stationäre Langzeitpflegeangebote in Anspruch nehmen müssen.. Integrative Versorgungssysteme partizipativ zu entwickeln, bietet daher die Chance die verschiedenen Facetten von Nutzerperspektiven und die Frage, welche Sorgeverantwortung auf aus einer gesellschaftlichen Perspektive erwartet werden kann, aufzunehmen, um gerade ,blinde Flecken‘ in der Versorgungsrealität zu entdecken.“
BUILD berücksichtigt dabei verschiedene Perspektiven der Kommunen, betroffener älterer Erwachsener mit komplexen Pflegebedürfnissen, formell und informell Pflegenden, verschiedener Interessensgruppen und politischer Entscheidungsträger auf unterschiedlichen regulatorischen Ebenen. Mit partizipativer Einbindung der Nutzer und Community-Management wollen die Beteiligten an einem europäischen Long-Term-Care „Toolkit“ arbeiten. Dieser Baukasten für Entscheidungsträger wird durch die an BUILD beteiligten Forschenden sozialwissenschaftlich und sozialökonomisch fundiert und will dazu beitragen, eine europäische Politikstrategie für integrierte Langzeitpflege zu entwickeln.
Professor Zerth beteiligt sich im Projekt sowohl bei der europäischen Bestandsaufnahme von pflegerelevanten Ökosystemen und den dazu relevanten regulativen Rahmenbedingungen sowie der Systematisierung des Wissenstandes und der Entwicklung des Entscheidungsbaukastens bzw. dessen Validierung. Dabei wird er auch seine Expertise zur Sozialen Wirkungsmessung etwa im Hinblick auf den Social Return on Investment einbringen. Dieses im Deutschen als „Soziale Rendite“ bezeichnetes Modell bietet die Möglichkeit, nicht nur ökonomische, sondern auch gesellschaftliche Wirkungen von Maßnahmen zu bewerten.
Die Federführung des Forschungskonsortiums liegt beim Lehrstuhl für Medizinmanagement und Versorgungsforschung der Universität Bayreuth, Professor Dr. Dr. Klaus Nagels. Neben der KU gehören zum Konsortium: Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften GmbH (Krems), Charles University (Prag), University of Lisbon, Lisbon School of Economics and Management (Lissabon), Fundación Avedis Donabedian (Barcelona), VICESSE Research GmbH (Wien), GLOBAZ, S.A. (Oliveira de Azeméis) sowie das Danish Board of Technology (Kopenhagen). Das Projekt startet im März nächsten Jahres.
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