Pandemien als Stoff für Filme und Serien

Im Rahmen des Corona-Forums spricht der Filmwissenschaftler Dr. Bruno Grimm über die Darstellung von Pandemien in Kino und Fernsehen. Das Forum ist ein gemeinsames Projekt von Donaukurier und KU – initiiert durch das Projekt „Mensch in Bewegung“.

 

Herr Grimm, die wenigsten von uns haben vor der Corona-Krise eine Pandemie erlebt. Filme darüber kennen aber viele. Seit wann wird das Thema in Filmen verhandelt?

Bruno Grimm: Filme über Pandemien treten erst seit einigen Jahren vermehrt in Erscheinung. Richtig prominent ist das Thema mit der Serienkultur geworden, wenn etwa in der Serie „The Walking Dead“ eine Gruppe von Menschen um ihr Überleben kämpfen muss – in einer durch einen Virus ausgelösten Zombie-Apokalypse. Die Nähe zur Realität suchen Spielfilme wie „Outbreak“ (1995) oder „Contagion“ (2011). „Outbreak“ diskutiert den Ausbruch des Ebola-Virus in der Republik Kongo. „Contagion“ geht von der zufälligen Übertragung eines tödlichen Virus von Tieren auf den Menschen aus. Aktuell ist dies einer der Filme, die auf Online-Plattformen am häufigsten abgerufen werden.

Gab es auch früher schon Pandemie-Filme?

Grimm: Ja, in der Filmgeschichte gab es immer wieder einzelne Filme, die den Ausbruch eines Virus thematisieren, oft im Fahrwasser anderer Genres. Mit „Die Höllenfahrt der Poseidon“ wurde der Katastrophenfilm Anfang der 1970er Jahre populär. Schon zwei Jahre später folgte die Darstellung eines Hochhausbrandes in „Flammendes Inferno“. In „Cassandra Crossing“ (1976) schließlich geht die Gefahr von einem Virus aus. Ein Terrorist entwendet eine tödliche Probe aus einem Labor und verunglückt damit in einem Zug. Falls der Zug anhält und die infizierten Passagiere den Zug verlassen, droht die unbegrenzte Ausbreitung der Infektion.

Wenn sie frühere und heutige Filme vergleichen, hat sich die Darstellung von Virus-Infektionen oder Seuchen mit der Zeit verändert?

Grimm: Ja, die zeitgeschichtlichen Umstände und die vorherrschenden Fragen spielen dabei eine wichtige Rolle. Die Verfilmung des Romans „I Am Legend“ aus den 1950er Jahren ist dafür ein gutes Beispiel. Der Autor Richard Matheson inszeniert den Vampirmythos im Roman erstmals als ein Phänomen, das auch wissenschaftlich erforscht werden kann. Durch Moskitos übertragene Bakterien führen dazu, dass die Infizierten zu vampirähnlichen Wesen mutieren. Neben der heute bekannten Verfilmung aus dem Jahr 2007 gibt es zwei frühere Fassungen: „The Last Man on Earth“ (1964) und „Der Omega Mann“ (1971). Während die erste Verfilmung nah an der Romanvorlage bleibt, kämpft in der zweiten Verfilmung ein Wissenschaftler – in einem Konflikt zwischen den UDSSR und China – gegen ein Bakterium, das aus einem biologischen Kampfstoff entstanden ist. Die Bedrohung eines Atomkrieges steht hier Pate. In der jüngsten Verfilmung mit Will Smith spielen Konflikte zwischen Großmächten keine Rolle mehr. Das tödliche Virus stammt aus einem mutierten Heilmittel gegen Krebs. Genetische Forschung und ihre möglichen Gefahren sind jetzt Thema.

Sind die Erzählungen ähnlich aufgebaut?

Grimm: Ja, denken sie etwa an die „Alien“-Filmreihe. Ziel ist es, ein außerirdisches Wesen daran zu hindern, sich unkontrolliert auszubreiten, da sonst die gesamte Menschheit ausgelöscht wird. Diese Grundidee bestimmt auch Filme über Pandemien: Stets geht es um die Verbreitung einer Gefahr, die mit allen Mitteln gestoppt werden muss. In beiden Fällen ist die dramaturgische Grundidee ähnlich. Dabei wird ein klassische Erzählmuster Hollywoods sichtbar: Schon Anfang des 20. Jahrhundert etablierte der Regisseur David W. Griffith die so genannte „Last-Minute-Rescue“. Dazu wurde im Stummfilm eine Uhr eingeblendet, die zeigt, wie die Zeit zerrinnt, bis in buchstäblich letzter Minute die Rettung erfolgt – in unserem Fall also das Gegenmittel gefunden wird. Anders ist dies in Filmen und Serien der Postapokalypse: Die Rettung ist hier oft schon von Beginn an gescheitert. Es geht nun darum, in dieser neuen, zerstörten Welt zurechtzukommen und um sein Überleben zu kämpfen.

Nehmen solche Filme auch aktuelle Erfahrungen vorweg?

Grimm: Das ist nicht leicht zu beantworten, aber eine spannende Frage. Fassen wir einige Punkte zusammen: Aus Asien wird ein Virus in den Westen eingeschleppt, die WHO als weltumspannende Behörde sucht federführend nach einem Impfstoff. Ganze Städte werden unter Quarantäne gestellt, Hamsterkäufe finden statt. Der genaue Auslöser ist unbekannt, vermutlich geht es um die Übertragung eines Virus vom Tier auf den Menschen. All das beschreibt die Corona-Pandemie. Aber schon in „Contagion“ (2011) hat der Regisseur Steven Soderbergh ausgehend von früheren Epidemien genau diese Abfolge beschrieben. Er führt uns in einem fiktiven, aber doch realitätsnahen Szenario vor Augen, wie eine Pandemie und die Reaktionen darauf ablaufen könnten. Der Film nimmt damit in gewisser Weise die aktuellen Ereignisse vorweg – das macht ihn gerade jetzt so interessant.

Beeinflussen solche Filme, wie wir die Corona-Pandemie wahrnehmen?

Grimm: Tatsächlich frage ich mich, ob der Drang nach einer funktionierenden Erzählung nicht nur den Film, sondern auch die journalistische Berichterstattung bestimmt. Mein Eindruck ist, dass sich bestimmte Darstellungsmuster aus Literatur und Film in den Journalismus einschleichen. Das Hautproblem ist ja noch immer, dass wir relativ wenig über das Corona-Virus wissen. Wenn wir nach Lösungen suchen, lassen wir uns unbewusst dann vielleicht zu sehr durch bekannt Erzählkonzepte leiten, auch wenn es um die Darstellung realer Ereignisse geht.

Können Sie ein Beispiel dafür geben?

Grimm: Schauen sie nach Amerika: Die amerikanischen Medien haben den Virologen Anthony Fauci zum Helden hochgeschrieben. Inzwischen sind Kaffeetassen und „I believe in Dr. Fauci“-T-Shirts mit seinem Porträt erhältlich. Auch hier zeigt sich eine klassische Erzählstrategie Hollywoods: Auf der einen Seite haben wir eine positiv besetzte Person, die als Heldenfigur gar nicht kritisiert werden kann. Ist jemand anderer Meinung? Falls ja, stellt er sich in der öffentlichen Wahrnehmung gegen den Helden und wird folglich als Antagonist, also als Gegenspieler einsortiert. Hier schreiben sich fiktive Erzählelemente in die Berichterstattung ein. Natürlich könnte man diese Fragen für unser eigenes Mediensystem genauso stellen.

Filmische Erzählmuster beeinflussen also auch, wie die Pandemie dargestellt wird?

Grimm: Ja, absolut. Bemerkenswert ist doch, dass wir eine Pandemie haben, die sich wunderbar erzählen lässt. Das liegt auch daran, dass die Pandemie selbst die Struktur einer Erzählung hat: Es gibt einen Anfang, einen Höhepunkt und – hoffentlich – ein positives Ende. Vergleichen wir dies mit einem anderen Fall: Laut Robert Koch-Institut sterben jährlich bis zu 20.000 Menschen alleine in Deutschland an multiresistenten Krankenhauskeimen. Zwar finden wir dazu vereinzelt Berichte in den Medien, doch kommt dem Thema bei weitem nicht eine vergleichbare Aufmerksamkeit zu. Mein Eindruck ist: Hier fehlt uns das Narrativ, also die passende Erzählung, um angemessen darüber zu berichten. Das wirft die Frage auf, ob es stets eine Erzählung braucht, um auch solche Themen mit der notwendigen Breitenwirkung in die Öffentlichkeit bringen zu können.

Das Gespräch führte Thomas Metten. Er ist Mitarbeiter der KU und des Projekts „Mensch in Bewegung“.

Zur Person
Dr. Bruno Grimm ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunstgeschichte der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. In seiner Forschung beschäftigt er sich unter anderem mit dem frühen Stummfilm, mit Erzählkonzepten und Bildtraditionen des 19. Jahrhunderts.