Planspiel der politischen Bildung verwandelt Ingolstädter Rathaus in EU-Parlament

Im Sitzungssaal des Ingolstädter Rathauses wurde eine Europafahne am Rednerpult angebracht, auf den Tischen stehen die Namen der Parlamentarier und ihrer Parteien. Im Nebenraum markieren die Fahnen verschiedener europäischer Staaten die Plätze der Mitglieder des Rates der EU. Beim Planspiel der Professur für Politische Bildung an der KU mit Studierenden der ersten drei Semester hat Organisator und Planspiel-Entwickler Marian Hummel einen Rahmen geschaffen, der es den Studierenden ermöglicht, sich ganz auf ihre Rollen einzulassen. Zwei Tage lang spielen sie das Gesetzgebungsverfahren in den Europäischen Institutionen nach. Dabei tauchen sie in die Abläufe ein und erwerben nicht nur inhaltliches Wissen über dieses Politikfeld, sondern erleben Strukturen und Prozesse parlamentarischer Arbeit. Das Planspiel wurde in Zusammenarbeit mit der Akademie für Politische Bildung Tutzing realisiert.

Professor Rico Behrens, Inhaber der Professur für politische Bildung, sieht darüber hinaus noch weitere Vorteile der Simulation. „Die Studierenden werden selbst handlungsfähig, sie lernen zu argumentieren, auch für Positionen, die nicht ihren eigenen Überzeugungen entsprechen“, erklärt Behrens einen weiteren didaktischen Hintergrund der Methode. Am ersten Tag erhalten die Studierenden vorgegebene Rollen und müssen diese mit Hilfe der Spielunterlagen überstülpen. 

Die Kommission bespricht sich

Dass dies erstaunlich gut klappt, zeigt die parlamentarische Debatte am zweiten Tag des Planspiels. Mit einem Klick ändert sich die Farbe auf der Leinwand von rot zu grün. Sie zeigt, ob die Maßnahmen, die das EU-Parlament beschließen will, ausreichen, um ein zentrales Klimaschutz-Ziel der Kommission zu erreichen: Den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 um 55 Prozent zu senken. In ihrer Rede im EU-Parlament macht EU-Kommissionspräsidentin Kowalski damit deutlich, wie wichtig es ist, die Ausgabe der CO₂-Zertifikate zu beschränken. Während der Kompromissvorschlag der Kommission aktuell eine Beschränkung von jährlich 3,5 Prozent weniger Zertifikaten vorschlägt – was nicht genügen würde, um die Ziele zu erreichen – zeigt Kowalski in ihrer Rede, dass bei 4,4 Prozent das Erreichen möglich wäre – die Anzeige wird grün. 

Präsidentin Kowalski bei ihrer Rede

Kommissions-Präsidentin Kowalski heißt eigentlich Teresa Uhlig und studiert im dritten Semester den Bachelor Journalistik an der KU. Sie ist eine von insgesamt 38 Studierenden, die die Vorlesung „Einführung: Das Politische als Bildungsgegenstand und Bildungsaufgabe“ besucht und damit auch am Planspiel teilnimmt. Vor der zweitägigen Veranstaltung im Ingolstädter Rathaus haben alle Teilnehmenden ein 24-seitiges Heft mit Hintergrundinformationen zum Gesetzgebungsverfahren, zum EU-Parlament, der Kommission, dem Rat und den Abläufen erhalten. Am ersten Tag der Simulation wurde ihnen dann ihre Rolle zugewiesen. Mit Hilfe von YouTube-Videos und weiteren Informationen zu ihrer Rolle konnten sich die Teilnehmenden dann auf ihr Positionen einstellen. Sie erfuhren für welche politische Haltung sie stehen, was ihre Idealvorstellung des Ergebnisses ist und wo die rote Linie verläuft, über die ein ausgehandelter Kompromiss für ihre Figur nicht hinausgehen darf. Ganz nebenbei erhielten sie einen Einblick in die Klima-Politik und in Möglichkeiten und Grenzen, die Klima-Ziele der EU zu beeinflussen. Neben der Kommission, dem Ministerinnen und Ministern im Rat der EU und den Parlamentariern sind auch Journalistinnen und Journalisten bei den Parlamentssitzungen dabei und kommentieren die Arbeit des Gremiums live und nehmen auch dadurch Einfluss auf das Gesetzgebungsverfahren.

Die Studierenden diskutieren beim Planspiel

Würde man die Unterlagen des Planspiels ausdrucken, wären es ca. 300 Seiten, erklärt Marian Hummel, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur für politische Bildung an der KU, der das Konzept gemeinsam mit der Akademie für politische Bildung Tutzing erarbeitet hatte und es jährlich etwa achtmal auch außerhalb der KU mit Schülerinnen, Schülern und Studierenden durchführt. Bei der Fülle an Informationen, die die Teilnehmenden in kurzer Zeit aufnehmen müssen, ist es umso erstaunlicher, dass sie sich das Wissen so schnell aneignen konnten, um ihre Rollen realitätsnah zu verkörpern. Teresa Uhlig hat als Kommissionspräsidentin Kowalski eine überzeugende Rede gehalten und die Zuschauer können nicht erkennen, ob die vorgetragenen Argumente wirklich ihrer Meinung entsprechen. Behrens und Hummel sind überzeugt, dass die vielen Aha-Momente während der zwei intensiven Tage sowohl kurz- als auch langfristig zu einem messbaren Erkenntnisgewinn bei ihren Studierenden führen. Im Rückblick erkennen sie außerdem, dass das Planspiel eine effektive Methode der Wissensvermittlung in der politischen Didaktik darstellt. Mit dieser Erkenntnis gehen sie dann in die Nacharbeit in der Vorlesung. 

Für beide ist auch der Rahmen im Sitzungssaal des Ingolsädter Rathauses ein wichtiger Faktor für das Gelingen der Simulation. „Wir sind sehr dankbar für die Unterstützung der Stadt Ingolstadt“, betont Hummel.