Psyche im Lockdown: Wie sich die Pandemie auf die Behandlung von Traumata auswirkt

Der Verlauf und die Folgen der Corona-Pandemie bedrohen nicht nur den Körper, sondern auch die Psyche. „Corona führt bei vielen Personen dazu, dass sie sich insgesamt mehr Sorgen machen und ängstlicher werden. Viele Themen, mit denen man zuvor eine Psychotherapie begonnen hat, verstärken sich. Die latente Sorge um die Folgen dieser Situation machen alles schwerer“, erklärt Prof. Dr. Rita Rosner, die als Inhaberin des Lehrstuhls für Klinische und Biologische Psychologie an KU zugleich die Psychotherapeutische Hochschulambulanz der Unviersität leitet.

Zudem geht Rosner von einer Zunahme an häuslicher Gewalt aus, wie die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigten, die den Lockdown früher verlassen hätten. Als Indikator dafür sehen die Psychologen der KU auch die stark gestiegene Resonanz auf eine Online-Lernplattform zur „Traumafokussierten kognitiven Verhaltenstherapie“ bei Kindern und Jugendlichen, die sie seit knapp zwei Jahren betreiben. Diese vermittelt an Therapeutinnen und Therapeuten Kenntnisse zu dieser speziellen und bewährten Behandlungsform. Während sich von März bis Mai vergangenen Jahres etwa 300 Personen für das Fortbildungsangebot registrierten, waren es im gleichen Zeitraum des laufenden Jahres bereits rund 900. „Möglicherweise haben die Therapeutinnen und Therapeuten die Corona-,Pause‘ genutzt, um sich auf ein Thema vorzubereiten, mit dem sie absehbar verstärkt zu tun haben werden“, so Rosner. Das Onlineportal (erreichbar unter der Adresse https://tfkvt.ku.de/) zählt seit seinem Start mehr als 3000 Nutzerinnen und Nutzer. Bei einer Gesamtzahl von bundesweit etwa 6000 Kinder- und Jugendpsychotherapeutinnen und –therapeuten hat sich die Plattform damit binnen kurzer Zeit in der Fachwelt etabliert. Gefördert wird das Portal vom Zentrum Flucht und Migration der KU, da sich die traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie in unterschiedlichen kulturellen Settings bewährt hat und auch zur Behandlung von jungen Menschen eignet, die durch Krieg und Flucht traumatisiert wurden. Durch die Unterstützung des ZFM wurde etwa die Übersetzung von Materialien in Paschtu, Farsi oder Arabisch ermöglicht, mit denen Therapeuten die Kinder und Jugendliche standardisiert behandeln können. 

Ebenfalls von den Folgen der Corona-Rahmenbedingungen betroffen war bis vor kurzem die Therapie von unbegleiteten jugendlichen Geflüchteten in der Psychotherapeutischen Hochschulambulanz der KU. Die Wohngruppen waren geschlossen, so dass sich persönliche Treffen nicht realisieren ließen. „Auch ein Austausch per Videokonferenz scheiterte an den technischen Voraussetzungen in den Einrichtungen“, schildert Dr. Verena Ertl, Mitarbeiterin von Professorin Rosner an der Hochschulambulanz. Mittlerweile konnten wieder die Therapiesitzungen mit jungen Geflüchteten im Rahmen des Projektes „KidNET“ aufgenommen werden, welches das Bundesforschungsministerium fördert. Unter Leitung der Universität Bielefeld erhalten dabei Kinder und Jugendliche aus Krisen- und Kriegsgebieten eine narrative Expositionstherapie in bundesweit mehreren Behandlungszentren, eines davon in Ingolstadt. Das ZFM unterstützt auch dieses Projekt durch die Übernahme von Kosten für Übersetzer oder die Anreise der Patientinnen und Patienten aus der weiteren Region zur Hochschulambulanz.

In ihrer Biographie haben Betroffenen nicht nur ein traumatisches Erlebnis erlitten, sondern dutzende. Die zeitlich fragmentierten, aber emotional fest eingebrannten Erinnerungen führen dazu, dass sich bei kleinsten Auslösern die grausamen Ereignisse gegenwärtig anfühlen. Die narrative Expositionstherapie beschäftigt sich mit diesen, in sogenannten „Furchtnetzwerken“ gespeicherten Erinnerungen. Dabei arbeitet diese Form der Therapie zu Beginn auch mit prägnanten Bildern: So bildet etwa eine Schnur die Lebenslinie, auf die Steine für negative und traumatische Ereignisse und Blumen für schöne Erfahrungen gelegt werden. Die chronologische Erarbeitung aller erlebten traumatischen Ereignisse entlang der individuellen Lebensgeschichte ermöglicht Betroffenen deren Integration. „Auf diese Weise kann es gelingen, in einer sicheren Umgebung die traumatischen Erlebnisse als Vergangenheit zu begreifen, und die Gewissheit zu vermitteln, dass die bedrohliche Situation vorbei ist“, erklärt Verena Ertl ihre Arbeit mit Menschen aus Guinea, Nigeria, Afghanistan oder Syrien.

Ertl ist zudem für die Nicht-Regierungsorganisation „vivo international“ tätig, die unter anderem im Norden Ugandas eine psychotherapeutische Versorgung gewährleisten will. Auch wenn dort nach zwei Jahrzehnten Krieg die Kämpfe 2005 beendet wurden, können viele Überlebende ihre Erlebnisse nicht vergessen und erleben diese in Form von Albträumen und Flashbacks laufend wieder. „Für sie dauert der Krieg in ihren Köpfen weiter an. Darüber hinaus hat der langandauernde Krieg soziale Normen gewaltfreier Interaktion erschüttert, was sich in schwerwiegenden Fällen von Gewalt in den Familien und Gemeinden äußert, und zu weiteren Traumatisierungen führt“, erklärt Ertl, die zur Therapie von Kindersoldaten in Uganda promoviert und mit vivo in Norduganda ab 2006 eine psychotherapeutische Ambulanz aufgebaut hat. Da es in Norduganda keine Möglichkeit zum Psychologiestudium gibt und dennoch möglichst viele Betroffene erreicht werden sollen, hat vivo im Lauf der Jahre ein effektives Training für Laien-Therapeuten entwickelt, für das sie von Fachleuten angeleitet werden. Auf diese Weise können pro Jahr mehr als 1300 Klientinnen und Klienten beraten und behandelt werden – von der Krisenintervention bis hin zur Traumatherapie. Dabei statten die Therapeutinnen und Therapeuten den Betroffenen in der Regel Hausbesuche ab, da sich diese lange Reisen in ein Behandlungszentrum nicht leisten können. Die Vermittlung erfolgt meist über persönliche Empfehlung. „Selbst in großen Städten gibt es keine Anlaufpunkte für spezialisierte Therapien, zumal diese für die breite Bevölkerung nicht bezahlbar wären. In den Akut-Psychiatrien wird nur die Spitze des Eisbergs behandelt“, schildert Verena Ertl. Im Umfeld von sexueller und häuslicher Gewalt spielt auch Alkoholmissbrauch eine Rolle, der wiederum zu Gewalt führt. Diesen Teufelskreis zu durchbrechen ist Ziel eines weiteren Projektes zu Interventionen bei problematischem Alkoholkonsum, das Ertl in Uganda initiiert hat. Unterstützt wird diese Initiative aus Mitteln der Forschungsförderung der KU.

Auch in Uganda haben die Auswirkungen von Corona zu einer Zwangspause geführt: „Die häusliche Gewalt und der Alkoholmissbrauch haben zugenommen. Auch die Behandlung von Traumapatienten war durch die erlassenen Beschränkungen nicht möglich.“ So durfte man sich zeitweilig nur zu Fuß oder mit dem Fahrrad fortbewegen. Ab 19 Uhr galt eine Ausgangssperre. „Die Situation ändert sich von Woche zu Woche. Nach einer Phase der Entspannung gelten nun wieder strengere Regeln. Aber wir hoffen, dass die Therapeutinnen und Therapeuten bald wieder ihre Arbeit aufnehmen können“, sagt Ertl.

Weitere Informationen der Organisation vivo international finden sich unter www.vivo.org.