Religion als Basis für Rassendiskriminierung und ihre Gegenbewegung

Die Rolle religiöser Motivationen für Rassendiskriminierung in den USA sowie für die Gegenbewegung, welche unter anderem von Martin Luther King als prominenter Leitfigur geprägt wurde, stand im Zentrum eines Vortrags des Religionssoziologen Prof. Dr. Hans Joas an der KU. Joas sprach auf Einladung von Prof. Dr. Ulrich Bartosch (Professur für Pädagogik an der Fakultät für Soziale Arbeit), der im Vorfeld mit Studierenden aus dem ersten Semester Joas‘ Buch „Sind die Menschenrechte westlich?“ thematisiert hatte. In diesem widerlegt der Autor, dass allein der Westen bzw. das Christentum für die Durchsetzung der Menschenrechte verantwortlich seien.

Bei den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in den Südstaaten der USA in den 1950er und 1960er Jahren beriefen sich sowohl Verfechter der Rassentrennung als auch deren Gegner auf ihre christliche Religion. Anhand dieser Thematik untersuchte Joas das Verhältnis von Christentum und moralischem Universalismus. Unter moralischem Universalismus versteht er religiöse oder philosophische Vorstellungen darüber, dass alle Menschen dieselbe Würde teilen, dass Menschenwürde und andere moralische Vorstellungen universal verbreitet sind.

Im Fall der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung sei es gelungen, eine prinzipiell schon vorhandene universalistische Moral, die durchaus im Christentum als eine Menschheitsethik inhärent sei, zu aktivieren und praktisch umzusetzen. Es sei eine Art religiöse Erweckungsbewegung entstanden, welche auch prophetische Züge gehabt habe. Joas relativierte in seinen Ausführungen jedoch die verbreitete Auffassung einer sehr dominanten Rolle von Martin Luther King und seine Stilisierung zum Propheten. King habe diese Bewegung nicht allein in Gang setzen können, stattdessen seien es auch viele namenlose Menschen gewesen, welche sich in zahllosen Konfliktfällen des praktischen Alltags gegen ihre Diskriminierung wehrten. Diese Bewegungen brauchten organisatorische Strukturen und Leute, die dem Ganzen eine Konzeption und Strategie gaben.

Joas identifizierte vor allem vier Elemente, die zum Erfolg der Bürgerrechtsbewegung beitrugen: zum einen die zentrale Rolle von baptistischen Pastoren und deren starke Vernetzung durch Kirchengemeinden, welche den gesamten Süden der USA umfasste. Zum anderen fanden theologische Überlegungen über das Prophetische Eingang in diese Dynamik, in denen  Martin Luther King und die anderen Bürgerbewegten die demütige Haltung verfolgen, dass auch die eigene Seite nicht ausschließlich aus guten Menschen bestehe. Drittens kamen Praktiken zum Einsatz, welche die Bürgerrechtsbewegung als religiöse Erweckungserlebnisse stilisiert hätten. Darüber hinaus sei es den Befürwortern der Rassentrennung nicht in ähnlicher Weise gelungen, ihre aus der Religion abgeleiteten Positionen in einer prophetischen Gegenbewegung praktisch zu aktivieren. Hinzu kam, dass das Civil Rights Movement in seinen Protestaktionen gegen Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit auf Gewalt verzichtete. Joas schlussfolgerte, dass die öffentliche Rolle der Religion im amerikanischen Civil Rights Movement nicht einschränkend für politische Freiheit, sondern konstitutiv für die Erringung politischer Freiheit für einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung war.