Religion und Zivilgesellschaft zwischen Spannungen und Chancen

Über 40 Stipendien für Dissertationen, Unterstützung für 120 Tagungen und Symposien, Förderung für 280 Veranstaltungen wie Exkursionen und Workshops, mehrere Stiftungslehrstühle: Seit Maximilian Bickhoff vor 40 Jahren seine Stiftung ins Leben rief, hat sie wissenschaftlichen Nachwuchs und die Forschung an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) auf vielfältige Weise mit „Rückenwind“ ausstattet. Sie wirkt damit auch über den Tod des Stifters im Jahr 2010 hinaus und hat mittlerweile etwa vier Millionen Euro ausgeschüttet. Bickhoff hatte – wie beim Festakt zum Jubiläum der Stiftung augenzwinkernd geschildert wurde – einst als Erbe eines kleinen Vermögens sogar Mühen, als Mäzen ernstgenommen zu werden. Bekleidet mit einem Bundeswehr-Parka wurde er nach einigem Hin und Her doch zum damaligen Kanzler der Universität vorgelassen, um ihm mitzuteilen, er wolle „etwas stiften“. Für den ausgebildeten Theologen und engagierten Christen kam dafür nur die einzige katholische Universität im deutschen Sprachraum in Betracht.

Prof. Dr. Dr. Ulrich Hemel, Vorstandsvorsitzender der Maximilian-Bickhoff-Universitätsstiftung.
Prof. Dr. Dr. Ulrich Hemel, Vorstandsvorsitzender der Maximilian-Bickhoff-Universitätsstiftung.

„Die Maximilian-Bickhoff-Universitätsstiftung wirkt auf der einen Seite subsidiär bei Vorhaben, die sich nur schwierig aus dem regulären Etat der Universität bestreiten lassen. Gleichzeitig versteht sie sich aber auch als Teil der Universität“, betonte der Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Prof. Dr. Dr. Ulrich Hemel in seinem Grußwort. KU-Präsidentin Prof. Dr. Gabriele Gien dankte für die kontinuierliche Förderung der Bickhoff-Stiftung insbesondere für den geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereich – in Zeiten, in denen besonders Forschung zu Hightech im Fokus von Förderung stünde. Das Verhältnis von Religion und Zivilgesellschaft – das Oberthema der Jubiläumsveranstaltung – sei auch und gerade an der KU Gegenstand von Wissenschaft, etwa am „Zentrum Religion, Kirche, Gesellschaft im Wandel“ (ZRKG). „Religionen sollen und müssen in Richtung der sozialen Kohäsion wirken“, betonte Professor Hemel in seinem Impuls zu einer anschließenden Podiumsdiskussion. Im Verhältnis von Religion und Zivilgesellschaft seien jedoch nicht nur die Religionsgemeinschaften gefragt, sich anzustrengen. „Religionen stellen auch mit vollem Recht Anforderungen an Staat und Gesellschaft. Es bedarf nicht nur einer demokratiefreundlichen Religion, sondern auch einer religionsfreundlichen Demokratie.“ Dazu gehöre ein Mindestmaß an religiösem Verständnis, das auch für den interkulturellen Umgang erforderlich sei.

Innenminister Joachim Herrmann
Innenminister Joachim Herrmann

Die Podiumsdiskussion über Spannungen, Resonanzen und Chancen aus dem Wechselspiel von Religion und Zivilgesellschaft führten die Tübinger Theologin Prof. Dr. Johanna Rahner, der Religionssoziologe Prof. Dr. Detlef Pollack und der bayerische Innenminister Joachim Herrmann, moderiert von der BR-Journalistin Daniela Olivares. Rahner schilderte die Position der Theologie als „in der Klemme“ zwischen Staat und Religion. Doch niemand anders als die Theologie stoße notwendige interreligiöse Dialoge an, die einst zwischen Juden und Christen und nun zwischen Judentum und Islam geführt werden müssten. „Für moralisches Engagement gibt es heutzutage viele Quellen, Religion ist nicht die einzige“, betonte Professor Pollack. Gleichwohl könne Religion auch eine ambivalente Wirkung entfalten und sogar als Brandbeschleuniger wirken. Mit Blick auf Krawalle und antisemitische Straftaten in Deutschland im Zuge des Krieges in Nahost forderte Innenminister Herrmann, dass der interreligiöse Dialog auch als Thema der Integrationspolitik intensiviert werden müsse: „Religionsfreiheit ist ein Grundrecht. Doch die eigene Freiheit setzt wiederum Respekt vor anderen Religionen voraus.“

Prof. Dr. Johanna Rahner
Prof. Dr. Johanna Rahner

Im Hinblick auf die zurückgehenden Mitgliederzahlen der beiden großen Kirchen ermutigte Herrmann diese dazu, selbstbewusster auf ihre Beiträge zur Gesellschaft hinzuweisen. „Ich möchte nicht auf die Kirchen verzichten!“ Dennoch wünsche er sich, dass die katholische Kirche die „Katastrophe der vielen Missbrauchsfälle“ ernstnehme, mit denen die Institution – wie die Dogmatikerin Johanna Rahner ergänzte – ihr eigenes Menschenbild mit Füßen getreten habe. Ein Rückzug der Kirchen aus dem Bildungsbereich angesichts rückläufiger Einnahmen würde einer Selbstaufgabe gleichkommen. Gerade kirchliche Schulen würden, so Rahner eine hohe Wertschätzung erfahren. Ziel der geforderten Reformen sei es nicht, die Kirchen wieder zu füllen, sondern besonders die Engagierten zu halten.

Prof. Dr. Detlef Pollack
Prof. Dr. Detlef Pollack

Erschwerend hinzu kommt aus soziologischer Sicht, dass – wie Professor Pollack erläuterte – Individualisierung und Selbstbestimmung das Lebensgefühl breiter Schichten der Gesellschaft dominiere: „Das Auf und Ab in den Austrittszahlen der katholischen und evangelischen Kirche verläuft parallel. Dabei spielt nicht die Bindung an die jeweilige Kirche eine Rolle, sondern die rückläufige Relevanz des Glaubens selbst.“ Innenminister Herrmann erinnerte an die im Vergleich zu Deutschland gegenläufige internationale Entwicklung, da laut UN über 80 Prozent der Weltbevölkerung einer Art von Religion angehören. Deutschland setze „hier nicht den weltweiten Trend“. Deshalb appellierte er, den Glauben an die nächste Generation bewusster weiterzugeben. Für den Religionssoziologen Pollack ist das Christentum eine „Kraft, die über Jahrhunderte in der Gesellschaft gewirkt hat“. So seien die christlichen Werte zum Allgemeingut geworden. Der „kulturelle Unterboden“ könne sich so prinzipiell auch ohne das Handeln der Christen weiterentwickeln. Auch die Theologin Johanna Rahner unterstrich, dass die christlichen Werte keine Sonderwerte, sondern menschliche Werte seien. Jedoch brauche es weiterhin Menschen, die für diese Werte einstünden. Deshalb werde Religion auch in 20 Jahren nicht verschwunden sein.