Soziologen untersuchen Wechselwirkungen von Zahlen und Daten im Profifußball

Kategorien wie Torgefährlichkeit, Ballbesitz oder Raumkontrolle gehören mittlerweile zum festen Bestandteil des Profifußballs – sowohl in der Berichterstattung als auch hinsichtlich der Entscheidungen zu Spieltaktik oder Spielertransfer. Doch wie entstehen diese Werte und welche Wechselwirkungen hat die Quantifizierung des Spielgeschehens auf den Fußball und sein Umfeld? Und wie spiegelt sich darin der generelle Trend wider, Abläufe auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen in Zahlen zu übersetzen? Dieser grundlegenden Thematik gehen Soziologen der KU derzeit in ihrem Projekt „Accounting und transformatorische Effekte im Profifußball“ nach, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) über drei Jahre hinweg mit rund 430.000 Euro gefördert wird.

Schon in den 1970er-Jahren wurde nicht nur von den Sportwissenschaften damit begonnen, elektronische Analysesysteme zu entwickeln und in die sportliche Praxis zu integrieren. Seit Anfang der 1990er-Jahre konnten dann auch Sportjournalisten auf eigens erhobene statistische Daten zu Spielern und Mannschaften der Bundesliga zurückgreifen. In Deutschland ermittelt ein Tochterunternehmen der Deutschen Fußball Liga (DFL) zusammen mit anderen Datendienstleistern die sogenannten „offiziellen“ Spieldaten für die erste und zweite Bundesliga zu ermitteln. Diese sind rund um die Uhr für die Firmenkundschaft zugänglich. Dazu zählen nicht nur die Fußballvereine selbst, sondern vor allem Medien der Sport- und Fußballberichterstattung.

„Die Erhebung der Daten hat Effekte, die über die bloße technische Erfassung des Spielgeschehens, seine Zergliederung in Einzelereignisse und seine Übersetzung in vermeintlich objektive Zahlen und Werte hinausgehen. Als Teil der Wirklichkeit des Profifußballs entfalten die Analyseverfahren vielfältige Wirkungen auf den Gegenstand selbst“, erklärt Prof. Dr. Robert Schmidt, Inhaber der Professur für Prozessorientierte Soziologie an der KU. So beeinflussten sie etwa Spieltaktiken, Transferentscheidungen und Vermarktungsstrategien der Fußballorganisationen, hätten Auswirkungen auf die mediale Berichterstattung, die Kommunikation unter Fußballfans und veränderten das Feld des Profifußballs, indem sie es um neue Akteursgruppen, wie etwa Sportwetten-Anbieter, erweitern.

Um den Logiken und Effekten von datengestützten Analysepraktiken auf die Spur zu kommen, will Schmidt gemeinsam mit Franziska Hodek und Max Weigelin (beide wissenschaftliche Mitarbeiter des Projektes) sowie Moritz Brinkmann (wissenschaftliche Hilfskraft) unter anderem auch vor Ort untersuchen, wie Daten bei Spielanalyse-Firmen konkret entstehen. In einem Fall etwa sind geschulte Analystinnen und Analysten damit beschäftigt, Spielereignisse anhand eines Definitionskataloges zu klassifizieren und während eines Spiels live in Datenbanken einzugeben. Wie werden von den Analysten dabei genau Spielereignisse und Körperbewegungen in Zahlen und Daten übersetzt und für die Neugestaltung und Neuorganisation der Spiel- und Trainingspraktiken und ihrer Kontexte bereitgestellt?

Schmidt, Hodek und Weigelin wollen zum einen sportsoziologische Forschungslücken schließen: „Es gilt zu klären, wie stark Accounting, Quantifizierung und Bewertung die Taktiken und Spielweisen, die Arbeit von Trainern, Managern, Medizinern und anderen Experten in den sportlichen Leitungen sowie die mediale Berichterstattung prägen“, so Schmidt. In den Blick genommen werden deshalb außerdem die Verbreitungswege von Daten und Analysen sowie Konflikte, die sich an Bewertungskriterien und Wertgrößen entzünden.

Doch auch über den Fußball hinaus erwarten sich die Eichstätter Soziologen Einblick in ein generelles sozio-kulturelles Phänomen: „Quantifizierung ist eine gesellschaftliche Entwicklung, die wir in den letzten Jahrzehnten in vielen gesellschaftlichen Bereichen verstärkt beobachten können, wie Bildung, Wissenschaft oder Gesundheit“, erklärt Hodek. Dabei werde versucht, Phänomene, Geschehnisse oder Eigenschaften in Zahlen zu übersetzen, und dafür entsprechende Methoden einzusetzen. Man verspreche sich davon eine evidenzbasierte Bewertung, an der man bestimmte Entscheidungen festmachen könne. „Auf diese Weise will man etwas steuerbar machen und kontrollieren.“