Sprachenvielfalt als Schatz für Schule und Gesellschaft: KU koordiniert EU-Projekt

Unter dem Titel „Sprache Macht Europa“ kooperieren in einem neuen EU-Projekt drei Universitäten, drei Schulen sowie ein Verein, um ein interkulturelles und transnationales Konzept zur Schulentwicklung für die Jahrgangsstufen 3 bis 6 zu entwickeln. Das Konsortium koordiniert Prof. Dr. Tanja Rinker, die an der KU die Professur für Deutsch als Zweitsprache innehat. Die Beteiligten haben das übergeordnete Ziel, mit den entwickelten Inhalten zu mehr europäischem Sprachbewusstsein beizutragen sowie den Mehrwert kultureller Vielfalt vermehrt in den Blick zu nehmen. Die Einrichtungen sind in Deutschland, Frankreich und Österreich angesiedelt. Zusätzliche Partner gibt es im Kosovo. Gefördert wird das Projekt bis 2025 über das Programm Erasmus+.

Neben der KU sind die Université de Strasbourg und Paris Lodron Universität Salzburg wissenschaftliche Partner des Projektes. Sie kooperieren mit der Schule „Conseil Protestant de l‘Education de Strasbourg“, die einen bilingualen Zweig von der ersten bis zur zwölften Klasse bietet, der Volksschule Kufstein/Sparchen sowie der Michael-Friedrich-Wild-Grundschule Müllheim in der deutsch-französischen Grenzregion. Von den Kindern der Volksschule Kufstein haben 20 Prozent einen Migrationshintergrund; in Müllheim haben die Schülerinnen und Schüler einen Migrationsanteil von 35 Prozent und stammen aus 20 Nationen. Aufgrund der Stationierung der deutsch-französischen Brigade am Ort, kooperiert die Schule mit der französischen Grundschule. Der Verein Education Unlimited e. V. dient einerseits als Bindeglied zu den Einrichtungen im Kosovo, an denen ein Teil der Materialien in schulischen Kontexten von Deutsch als Fremdsprache sowie in der Bildung für Lehrkräfte erprobt werden soll. Andererseits übernimmt er die Erstellung einer digitalen Plattform.

„Mehrsprachiges Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen ist in Europa Realität. In Österreich hat beispielsweise jedes fünfte Kind einen oder zwei im Ausland geborene Elternteile. Mehr als 27 Prozent der Grundschulkinder geben an, mehrsprachig zu sein. In Deutschland haben 40 Prozent der Kinder unter 6 Jahren einen Migrationshintergrund, 68 Prozent von ihnen eine nicht-deutsche Familiensprache“, schildert Professorin Rinker. Zwar werde in den beteiligten Antragsländern die frühe Sprachförderung der jeweiligen Landessprache großzügig gefördert, jedoch fehle bei diesen Förderkonzepten häufig der Blick auf das gesamte Sprachenrepertoire und die Bedeutung der Wertschätzung aller – auch außereuropäischer – Sprachen für die Identitätsentwicklung der Kinder und die Motivation zum Lernen von Sprache. „Angesichts der migrationsbedingten gesellschaftlichen Pluralisierungsprozesse können die familiären Erstsprachen der Schülerinnen und Schüler nicht außen vor bleiben“, betont Rinker.

Dem wollen die Forschenden zusammen mit Praktikerinnen und Praktikern durch die Weiterentwicklung eines Mehrsprachencurriculums, Aus- und Weiterbildungskonzepten zur interkulturellen Schulentwicklung sowie einer digitalen Plattform begegnen. Der Fokus wird dabei bewusst auf die Klassenstufen 3 bis 6 gelegt – einer der wichtigsten Abschnitte in der Bildungsbiographie des Kindes. Die Kinder befinden sich in einer Phase der Orientierung und des Umbruchs mit geistigen, seelischen und körperlichen Herausforderungen. Eine Zeit, in der sich Bildungswege entscheiden, sind das Elternhaus und die Schule besonders gefordert. Wie Professorin Rinker schildert, können sich im Mikrokosmos „Klassenzimmer“ bereits grundlegende gegenseitige kulturelle Vorbehalte und Spannungen manifestieren. Diese würden oft unreflektiert ausgelebt und zeigten sich in stereotypen Handlungsweisen. Auch die Kluft zwischen Kindern aus bildungsnahen bzw. bildungsfernen Elternhäusern vergrößere sich zusehends. Der Schule komme deshalb eine noch wichtigere verbindende Rolle zu.

„Interkulturelle Kompetenz und Mehrsprachenkompetenz sind Schlüssel für einen professionellen Umgang mit sozio-kultureller und sprachlicher Vielfalt in unserer Gesellschaft. Lehrkräfte, zukünftige Lehrkräfte und Schulleitungen stellen bei dieser gesellschaftlichen Entwicklung zentrale Akteurinnen und Akteure dar“, so Rinker.  Bisher würden Themen wie die Gestaltung einer gewinnbringenden Erziehungspartnerschaft zwischen Elternhaus und Schule in der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften jedoch kaum berücksichtigt. Daher sollen konkrete Materialien und Konzepte entwickelt werden, die sich in jedem Klassenzimmer umsetzen lassen. Diese sollen Lehrkräfte dazu befähigen, entsprechende Prinzipien und Kompetenzen in ihren Alltag einfließen zu lassen – von der Sprachreflexion über kollaboratives Lernen bis hin zur ganzheitlichen kreativen Entwicklung aller sprachlicher Ressourcen. Ein Anliegen der Beteiligten ist es, Grundlagen zu schaffen, die Mehrsprachigkeitskonzepte nicht nur an bilingualen Schulen, sondern auch an Regelschulen ermöglichen. „Die Anerkennung von Konstellationen der Mehrsprachigkeit im Klassenzimmer soll Grundlage für eine gelingende Inklusion aller Schülerinnen und Schüler sein“, so Rinker.

Diese setze einen Bewusstseinswandel voraus: Sprachliche und kulturelle Vielfalt als konstitutives Merkmal unseres Kontinents dürfe nicht als Hemmschuh und Barriere gesehen, sondern müsse vielmehr als Chance, Reichtum und Ressource begriffen werden. Deshalb wollen die Forschenden ihre Erkenntnisse in die Lehramtsausbildung in Eichstätt, Strasbourg, Salzburg und dem Kosovo integrieren. Die Studierenden werden dabei gezielt länderübergreifend miteinander vernetzt. „Das Projekt könnte damit als Referenzrahmen für die Lehrerbildung und für den sprachsensiblen Unterricht aller Schulen in Europa dienen“, erklärt Professorin Rinker.

Darüber hinaus wollen die Beteiligten eine Perspektive einnehmen, die über die reine Ausbildung von künftigen Lehrkräften hinausgeht und die Schule als Gesamtinstitution in den Blick nimmt. Denn gerade Erziehungsberechtigte hätten oftmals weniger Gelegenheiten, interkulturelle Kompetenzen zu entwickeln und benötigten Unterstützung, um persönlichen Haltungen reflektieren zu können. Bisher würden Themen wie die Gestaltung einer gewinnbringenden Erziehungspartnerschaft zwischen Elternhaus und Schule kaum berücksichtigt. Ein innovativer Leitgedanke des Projektes besteht deshalb auch in der Entwicklung eines Konzepts zur interkulturellen Schulentwicklung unter Berücksichtigung aller am Schulleben Beteiligten.

Als Plattform für Vernetzung, Austausch und Partizipation in diesem vielfältigen Projekt wird die digitale Plattform „Lingua Creativa“ von Education Unlimited e.V. erstellt und gemeinsam mit den Partnern inhaltlich aufgebaut. Auf der Plattform werden Fortbildungen für Lehrkräfte in Form von Webinaren und Lernvideos angeboten, Handreichungen und Materialien zu den erprobten Konzepten und wissenschaftliche Publikationen zur Verfügung gestellt. Darüber will die Plattform im Rahmen von Foren maßgeblich zur Vernetzung der Zielgruppen in den Partnerregionen beitragen.