Stadt, Land, Schluss? Perspektiven für Jugendkulturen abseits der Metropolen

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Man soll sich nicht mit Dorfkindern anlegen, weil sie Orte kennen, an denen man nicht mehr gefunden wird, heißt es scherzhaft. Dieses selbstbewusste und trotzige Selbstverständnis spiegelt sich auch in kulturellen Angeboten wider, die Jugendliche auf dem Land häufig in Eigenregie organisieren. Was trägt und prägt Jugendkultur speziell in ländlichen Regionen? Unter welchen Bedingungen entstehen Angebote? Und wie lassen sich Gelegenheiten zu Begegnung und Austausch gezielt fördern? Forschende der KU und der Bamberger Otto-Friedrich-Universität wollen dies im Dreiländereck Bayern-Sachsen-Thüringen untersuchen.

Ihr Ziel ist es, mit den Forschungsergebnissen zu einer passgenaueren und verbesserten Förderpraxis für jugendkulturelle Projekte in struktur- und finanzschwachen ländlichen Räumen beizutragen. Auch die Prävention von weiterer Abwanderung in urbane Räume und ein Schutz vor demokratiefeindlicher Vereinnahmung von Jugendkulturen sind Themen des Vorhabens. Projektpartner sind Prof. Dr. Rita Braches-Chyrek, Lehrstuhl für Sozialpädagogik an der Universität Bamberg, und Dr. Andreas Kallert von der Professur für Wirtschaftsgeographie der KU. Gefördert wird das Vorhaben mit dem Titel „DIYhoch3 – Jugendkulturelle Selbstorganisation im Dreiländereck Bayern-Sachsen-Thüringen“ vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft im Rahmen des Bundesprogramms Ländliche Entwicklung.

Die Forschenden wollen sich nicht nur auf drei Regionen konzentrieren, sondern auch auf drei Bereiche des kulturellen Lebens: die Brauchtums- und Traditionspflege, Musikszenen wie etwa dem HipHop sowie informelle Sportkultur wie Biken oder Skaten. „All diesen Aktivitäten gehen Jugendliche oftmals in Eigenregie nach und gestalten so ihr eigenes Aufwachsen und ihre Region“, schildert Professorin Braches-Chyrek. „Mit dem Fokus auf Jugendliche und junge Erwachsene in ländlichen Räumen nehmen wir Bewohnerinnen und Bewohner in den Blick, die an der zukünftigen Entwicklung ihrer Regionen entscheidend mitwirken könnten.“

Im Lauf des Forschungsprojektes werden sowohl Gespräche mit Verantwortlichen aus Verwaltung, Jugendarbeit und Kulturverwaltung geführt als auch vor Ort die Jugendlichen selbst im Sinne partizipativer Forschung in das Vorhaben aktiv miteinbezogen. „Bisherige Untersuchungen zeigen unter anderem, dass die Rahmenbedingungen für die Entwicklung von Jugendkulturen wesentlich von der kommunalen Handlungsfähigkeit abhängen. Die untersuchten Regionen sind jedoch meist in einer angespannten gesamtwirtschaftlichen Lage und befinden sich teilweise in Konsolidierungsprogrammen zur Entschuldung“, schildert Dr. Andreas Kallert. In einem separaten Projekt, das die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert, untersucht er derzeit, wie sich die Vorgaben zur Schuldenhilfe für Kommunen auf die Lebensqualität vor Ort auswirken – auch im Hinblick auf freiwillige Ausgaben zur Förderung von (Freizeit-)Kultur oder Sport. Auch im Dreiländereck wollen die Forschenden deshalb gezielt prüfen, wie sich die Konsolidierung der Finanzen auf den Stand und die Entwicklung von Jugendkulturen auswirkt. Im Hintergrund schwingt dabei die Tatsache mit, dass in Deutschland rund 90 Prozent der Kulturförderung in urbane Räume fließen, in denen aber nur 30 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung leben. „Meist handelt es sich dabei um professionell erbrachte, sogenannte Hochkultur, die in ländlichen Räumen äußerst selten vorkommt und so kaum öffentlich finanziert wird“, so Kallert. Kultur in ländlichen Räumen habe dagegen eher eine soziale Funktion der Gemeinschaftsstiftung und sei in diesem Sinne auch politisch aufgeladen.

„Die Gestaltbarkeit der ländlichen Umwelt und Anerkennung der jugendkulturellen Aktivität durch das Gemeinwesen kann demokratiestärkende Effekte haben“, schildern Franziska Imhoff (KU) und Tilman Kallenbach (Universität Bamberg), die das Projekt als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verantworten werden. Dies sei auch deshalb von Bedeutung, weil sich im Erhebungsgebiet der Studie Versuche von Rechtsextremen beobachten ließen, die Jugendkulturen zu vereinnahmen. Rechte Kampfsport- Events, Konzerte von rechtsextremen Bands, verschwörungstheoretische Demonstrationen oder völkische Zeltlager haben eine hohe Anziehungskraft auf Jugendliche und stellen eine reale und ernstzunehmende Gefahr für ein demokratisches Gemeinwesen dar. Solche Entwicklungen können wiederum ebenfalls dazu beitragen, dass strukturell benachteiligte Kommunen weiter an Attraktivität einbüßten und von den prosperierenden Regionen „abgehängt“ würden.