Der Kampf gegen den Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen der Menschheit. Doch immer noch folgt der Einsicht in die drohende Gefahr oft nur halbherziges Handeln. Zwar ist seit langem eine Fülle an Informationen zu den Folgen von Konsum auf Kosten der Umwelt, zur Ressourcenverschwendung oder einer auf Autoverkehr zugeschnittenen Infrastruktur problemlos zugänglich. Doch der Empörung folgt im Alltag selten konsequentes Handeln. Allein mit mahnenden Argumenten ist augenscheinlich wenig auszurichten. Vielleicht kann man mit anderen Strategien eher aufrütteln. „Es reicht nicht, nur an die Vernunft und den Verstand zu appellieren. Meine These lautet, dass lyrische Rede – entgegen aller zunächst anzunehmenden Unwahrscheinlichkeit – durchaus eine höchst wirksame Form sein kann, um über Themen wie den Klimawandel, Brandrodung oder auch das Artensterben zu sprechen“, sagt Prof. Dr. Friederike Reents. Die Germanistin hat an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) den Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft inne, an dem sie und ihre Mitarbeiterin Annika Hammer sich mit zeitgenössischer Literatur beschäftigen, welche die drohende ökologische Katastrophe und das Thema Nachhaltigkeit auf ganz eigene Weise verhandeln. Diese Themen stehen auch im Mittelpunkt des von Friederike Reents initiierten Forschungsnetzwerks „Umwelten – Umbrüche – Umdenken“. Die darin versammelten Forschenden aus den Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften sind angetreten, die globale Umweltkrise sowie ihre Wirkung auf Individuum und Gesellschaft fachübergreifend zu analysieren.
Reents charakterisiert bestimmte lyrische Texte als „Literatur mit Störungspotenzial“, welche die Leserschaft anders berühre erreiche als alarmierende Sachinformationen – in einer Medienumwelt, in der Fakten nicht mehr selbstverständlich für sich sprechen. Literarische Störung oder auch Intervention könne anders als Information eine nachhaltige Wirkung erreichen, die ein Umdenken, also einen wirklichen Wandel anstoße und damit zu spürbarer Transformation anrege, so Reents: „Im Rahmen diverser Forschungsprojekte konnten wir herausfinden, dass literarische Texte, insbesondere Lyrik, anders als wir zunächst denken könnten, geeignet ist, die Menschen zu erreichen und zum Nachdenken, idealerweise Umdenken und Handeln zu bringen.“ Ein Beispiel dafür ist die sogenannte Ruderalliteratur, die – ähnlich wie in Asphaltritzen oder auf Schutt (lat. „rudus“) blühende Pflanzen menschgemachte Brachen zurückerobern – und Mensch und Natur neu zu einander ins Verhältnis setzt. Dabei rückt Lyrik nicht nur ruderale oder als weniger wertvoll erachtete Pflanzen wie Unkraut bzw. Beikraut ins Zentrum, sondern auch unscheinbare und oft unliebsame Tiere wie Insekten, wie dies ihre Mitarbeiterinnen Dr. Alexandra Tretakov und Paula Radnitz unlängst gezeigt haben. Die literarischen Texte machen das insbesondere im Kleinen Übersehene sichtbar und dabei ökokritisch auf anthropogene Veränderung oder Störung aufmerksam. Durch überraschende Beobachtungen entfalten sie gerade auch im unbeachteten Nahbereich nicht nur mahnendes, sondern auch ästhetisches Störpotenzial.
„Darum ist vielleicht gerade Lyrik eine geeignete Form, um Ökokatastrophen tiefer zu Bewusstsein zu bringen. Es ist nicht nur das Thema, das uns berührt, sondern die besondere Art des bildhaften Sprechens, die nicht nur informiert, sondern die Leserinnen und Leser auf eine eigentümliche Weise anfasst, verstört und verstrickt – und idealerweise zum Umdenken und Handeln anregt“, schließt Friederike Reents. Über dieses Potenzial von Gegenwartslyrik berichtete sie nun auch bei einem Science Slam, Teil einer vom Staatsministerium Baden-Württemberg veranstalteten Tagung „Gemeinsam handeln – die Gesellschaft in der Transformation zusammenhalten“. Im Rahmen der Tagung referierten Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Kommissionspräsidentin Dr. Ursula von der Leyen, Vizekanzler Dr. Robert Habeck und Altbundespräsident Joachim Gauck vor etwa 400 Gästen. Im Zentrum stand dabei die Frage: Wie können wir die Transformation so gestalten, dass unsere Gesellschaft auch angesichts unaufschiebbarer Veränderungen zu neuem Zusammenhalt findet.
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