„Die Ukraine will nicht länger ein Land dazwischen sein“ – Podium zu Krieg und Frieden

Für einen dauerhaften Frieden in der Ukraine und in Europa braucht es eine tiefgreifende politische und gesellschaftliche Transformation Russlands, ist sich Dr. Andriy Mykhaleyko, Privatdozent am Lehrstuhl für Mittlere und Neue Kirchengeschichte an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, sicher. Bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) sagte Mykhaleyko, dass ein Ende des Krieges nicht automatisch den Übergang in eine friedliche Koexistenz Russlands mit der Ukraine bedeute.

Es gebe keine Verhandlungsbasis, „wenn eine Seite die Existenz der anderen nicht anerkennen will“, so Mykhaleyko. Die prowestliche Orientierung der Ukraine stehe nicht zur Disposition. Die Ukrainer hätten es eine Zeit lang als „Land dazwischen“ probiert, das wollten sie aber nicht länger, genauso wenig wie die Rückkehr in eine „koloniale Vergangenheit“. Die Bevölkerung orientiere sich eindeutig in Richtung EU, 83 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer wünschten sich laut einer aktuellen Umfrage den Beitritt zur Nato. „Zu dieser Stimmungslage hat Russland beigetragen“, sagt der an der KU lehrende ukrainische Kirchenhistoriker.

Unter dem Titel „Zwischen Krieg und Frieden: Ethik, Strategien und Visionen für die Ukraine“ diskutierten bei der ZdK-Vollversammlung am Wochenende in München Experten mögliche Wege zu einem Frieden in der Ukraine. Zwischen Plädoyers für weitere militärische Unterstützung und dem Wunsch nach einem schnellen Ende des Krieges stand die Frage im Raum: Wie ist eine Rückkehr an den Verhandlungstisch denkbar? Auf dem Podium saßen neben Mykhaleyko auch Prof. Dr. Carlo Masala, Leiter der Professur für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München, Clemens Ronnefeldt, Friedensreferent beim Internationalen Versöhnungsbund sowie die Bundestagsabgeordnete Jamila Schäfer (Bündnis 90/Die Grünen), Mitglied des Auswärtigen Ausschusses. Moderiert wurde das Podium von Torsten Teichmann vom Bayerischen Rundfunk.

ZdK-Podium
Podiumsdiskussion bei der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (Foto: Peter Bongard/ZdK)

Die Historikerin Prof. Dr. Birgit Aschmann von der Humboldt-Universität Berlin sagte zu Beginn des Gesprächs: „Die nähere Vergangenheit gehört zu den strittigsten Fragen der aktuellen Politikdebatte. Hätte man den Krieg kommen sehen müssen? Welche Verantwortung ist den Politikern der Jahre vor der Zeitenwende anzulasten?“ Aschmann fuhr fort: „Gerade gestern habe ich noch mit einem guten Freund darüber gestritten, der nachweislich schon 2014 Zeichen an der Wand gesehen hatte und heute argumentiert, die deutsche Politik habe diese Zeichen vielen Warnungen zum Trotz nicht sehen wollen.“ Die frühere Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte zuvor in die Thematik eingeführt und von der „Notwendigkeit einer Friedensethik in Kriegszeiten“ gesprochen. Man müsse nun auf mehr europäische Zusammenarbeit setzen und über die aktuelle militärische Auseinandersetzung hinausdenken.

Im Mittelpunkt der Diskussion stand das Dilemma, Frieden möglichst schnell zu wollen, aber militärische Unterstützung der Ukraine zu leisten. Carlo Masala stellte heraus, dass „auf dem Schlachtfeld auch über die bessere Position am Verhandlungstisch entschieden“ werde. Deshalb müsse die Ukraine militärisch unterstützt werden. Nur so könne ein Verhandlungsfriede erreicht werden, der keinen Diktatfrieden Russlands bedeute. Das von Russland besetzte Territorium habe etwa die Größe Bayerns und Baden-Württembergs zusammen, sagte Masala. Dies zu akzeptieren, würde bedeuten, die militärische Aggression einer Atommacht zu belohnen. Auch Jamila Schäfer betonte, dass der Ukraine humanitäre, finanzielle und militärische Hilfe geleistet werden müsse: „Putins imperialistischer Größenwahn muss gestoppt werden, damit Frieden einkehrt. Grenzen dürfen nicht mit Gewalt verschoben werden. Das ist das zentrale Prinzip einer pazifistischen Weltordnung.“

Mykhaleyko, Kramp-Karrenbauer
Andriy Mykhaleyko und die frühere Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (Foto: Christian Klenk)

Um Frieden realisieren zu können, braucht es nach Ansicht von Clemens Ronnefeldt „eine breite internationale Unterstützung für einen Waffenstillstand, ein Ende des Blutvergießens und der Zerstörungen in der Ukraine, einen Rückzug der russischen Invasionstruppen sowie umfangreiche humanitäre Hilfe für die notleidende ukrainische Bevölkerung.“ Das Telefonat, das Xi Jingping jüngst mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyi geführt habe, gebe erstmals Hoffnung, dass verhärtete Muster aufbrechen könnten. Daran müsse weiter gearbeitet werden, so Ronnefeldt.

Mykhaleyko betonte, die Ukraine müsse in alle Verhandlungen einbezogen werden. „Wir dürfen nicht in die Versuchung kommen, über die Ukraine zu verhandeln statt mit dem Land. Die Ulkraine darf kein Spielball großer Mächte werden.“ Er sprach sich für eine fortgesetzte Unterstützung des Landes durch andere Staaten aus. „Wenn der Westen die Ukraine fallen lässt, begeht er einen großen Fehler. Dann gilt das Recht des Stärkeren.“

Als „selbstmörderisch“ bezeichnete Mykhaleyko den Kurs der russisch-orthodoxen Kirche. Vor dem Krieg hätten sich weltweit ein Drittel der insgesamt rund 38.000 Gemeinden in der Ukraine befunden. Diese seien mit ihren Bischöfen jetzt in einer äußerst schwierigen Lage. Leider sei das Moskauer Patriarchat unter Kyrill I. ein Teil des Problems und nicht der Lösung, so Mykhaleyko.