Volkswirtschaftler Hans-Werner Sinn zu Gast beim Dies Oeconomicus

Der Volkswirtschaftler Prof. Dr. Hans-Werner Sinn kritisiert die Finanzpolitik der Europäischen Zentralbank. Die Niedrigzinspolitik der EZB und scheinbar unbegrenzte Kredite an die wirtschaftlich abgehängten Staaten Südeuropas gefährdeten den dauerhaften Frieden in der Europäischen Union, sagte der langjährige Präsident des ifo-Instituts am Dienstagabend beim Dies Oeconomicus der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der KU. Deutschland sei der große Verlierer dieser EZB-Politik, so Sinn.

Die konjunkturelle Lage in Deutschland sei derzeit prächtig dank der Exportstärke der inländischen Industrie, aber auch weil Kapitalanleger wegen der niedrigen Zinsen in Immobilien investierten, was wiederum einen Bauboom ausgelöst habe. Allerdings warnte Sinn davor sich deshalb beruhigt zurückzulehnen. Eine Gefahr stelle unter anderem die Immobilienblase dar. Die Preise für Immobilien seien in Deutschland seit 2010 um rund 30 Prozent gestiegen, in den Städten sogar um 50 Prozent. „Das wird gefährlich. In spätestens fünf Jahren knallt es – jede Blase platzt irgendwann.“

Heftige Kritik übte Sinn an der Finanzpolitik der Europäischen Zentralbank. Im wirtschaftlichen Wettbewerb seien die Länder Südeuropas „hoffnungslos verloren“. Dennoch habe eine „entgrenzte EZB“ ihnen eine „Lizenz zum Gelddrucken“ erteilt. Die Länder Südeuropas tauschten ihre Schulden ein gegen eine Buchschuld ihrer nationalen Notenbanken gegenüber den Notenbanken des Nordens, wobei diese Schulden praktisch keine Fälligkeit hätten. Eine Verschuldungspolitik sei jedoch allenfalls kurzfristig wirksam und nicht nachhaltig. „Ich kann auch mit einem Espresso meine Leistungsfähigkeit nicht dauerhaft steigern, sondern die Ermüdung allenfalls herauszögern“, so Sinn.

Sinn ging in seinem Vortrag auch auf die Folgen des Brexit ein. Die Europäische Union werde eine andere sein ohne Großbritannien. Sollte der Austritts Englands aus der EU vollzogen werden, würden die freihandelsorientierten Länder in der Gemeinschaft ihre Sperrminorität für Beschlüsse im Ministerrat verlieren. Die Mittelmeerländer könnten dann gemeinsam mit Frankreich „durchregieren“ und zu dominierenden Kräften werden. „Das wird sich massiv zu Lasten von Deutschland auswirken“, so Sinn. Er unterstellte der deutschen Politik, diese Gefahr noch nicht erkannt zu haben. Deutschland müsse als Konsequenz aus dem Brexit eine Änderung des EU-Lissabon-vertrags verlangen.

Im Anschluss an den Vortrag von Prof. Sinn diskutierten auf dem Podium im vollbesetzten Großen Hörsaal der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät neben dem Volkswirtschaftler auch der Oberbürgermeister von Ingolstadt, Christian Lösel, Rupert Graf Strachwitz, Gründer und Direktor des Maecenata Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft sowie der WFI-Student Michael Kosch. Die Podiumsdiskussion wurde vom Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks moderiert.