„Vollendung“ statt Rückzug: Herausforderungen der Orden aus kirchenrechtlicher Sicht

Wie geht es mit Ordensgemeinschaften weiter, wenn der Konvent immer kleiner wird und seine Mitglieder aus Altersgründen keine Leitungsaufgaben mehr übernehmen können? Welche Optionen bieten sich aus kirchenrechtlicher Perspektive an? Diesen Fragen widmete sich vor wenigen Tagen der 2. Eichstätter Ordensrechtstag. Veranstaltet wurde er von der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität und der Theologischen Fakultät Trier. Unter dem Leitwort „Charisma – Gemeinschaft – Recht“ kamen rund fünfzig Vertreterinnen und Vertreter von Ordensgemeinschaften aus dem ganzen Bundesgebiet sowie Experten aus Wissenschaft und kirchlicher Praxis zusammen.

Das Ordensleben in Deutschland steht vielfach an einem Wendepunkt. Viele Gemeinschaften verlieren seit Jahren rapide an Mitgliedern. Eine zunehmende Überalterung und sich wandelnde gesellschaftliche Rahmenbedingungen fordern neue Wege des geistlichen und gemeinschaftlichen Lebens. Was nach Rückzug klinge, werde bei genauerem Hinsehen zu einer tiefen geistlichen Bewegung, ist der Eichstätter Kirchenrechtler Prof. Dr. Rafael Rieger OFM, als Franziskaner selbst ein Ordensmitglied, überzeugt. „Gemeinschaften in Vollendung“ – so überschrieben er und Dr. Franziska Mitterer, Mitglied der Schwestern vom Heiligen Kreuz in München, ihren Vortrag. „Vollendung“ sei dabei nicht im Sinn eines Endes zu verstehen, sondern als „reifer Ausdruck kirchlichen Lebens, das sich verändert und zugleich treu bleibt“, betonte Rafael Rieger. 

Anhand aktueller Zahlen zeichneten Rieger und Mitterer ein realistisches Bild der aktuellen Lage: Mehr als 80 Prozent der Ordensfrauen in Deutschland sind älter als 65 Jahre, viele Gemeinschaften verfügten kaum mehr über Mitglieder, die Leitungsämter übernehmen können. Doch aus dieser Situation entstehe auch Raum für kreative Verantwortung. „Das Kirchenrecht ist kein starres Regelwerk, sondern ein Werkzeug pastoraler Klugheit, das Orientierung und Stabilität geben kann“, betonte Rieger. Neue Wege entstünden, wenn Laien in Leitung und Verwaltung eingebunden werden, wenn Hausauflösungen als geistliche Übergänge verstanden und Zusammenlegungen als Ausdruck gelebter Solidarität gestaltet werden.

Ordensrechtstagung

Sr. Franziska Mitterer unterstrich, dass solche Prozesse nur gelingen, wenn sie geistlich begleitet werden: „Eine Klosterschließung ist kein Ende, sondern ein Übergang. Es geht darum, das Charisma in neuen Kontexten lebendig zu halten.“ Sie verwies auf gelungene Beispiele – etwa das benediktinische Zentrum in Sarnen (Schweiz) oder die Fusion von Klöstern der Karmelitinnen. Dies zeige, dass Ordensleben auch unter veränderten Bedingungen weiterbestehen kann.

„Der gegenwärtige Umbruch ist kein Zeichen von Schwäche, sondern eine Einladung, Strukturen, Leitungsformen und geistliche Selbstverständnisse neu zu gestalten.“ Vor diesem Hintergrund sei der Begriff „Vollendung“ neu zu deuten – als Erfüllung einer Sendung, als Ausdruck geistlicher Reife und als Hoffnungsperspektive. Viele Gemeinschaften könnten mit Dankbarkeit auf ihre Mission in Bildung, Pflege und Seelsorge zurückblicken – und gerade darin Zeugnis geben für eine Hoffnung, die über den institutionellen Bestand hinausweist, so das Fazit der Referierenden.

Ein weiterer Hauptvortrag des Ordensrechtstags beleuchtete „Die kanonische Visitation von Ordensgemeinschaften“. Der Trierer Kirchenrechtler Prof. Dr. Noach Heckel OSB zeigte darin auf, dass die Visitation ein zentrales kirchenrechtliches Instrument darstellt, das nicht in erster Linie der Kontrolle, sondern vor allem der Begleitung und Stärkung des gemeinschaftlichen Lebens dient. In diesem Zusammenhang regte er an, die Visitation als eine Art „Dienstleistung“ im besten Sinne zu verstehen – als geistlich wie strukturell unterstützenden Prozess.

Ordensrechtstagung

Nach einer differenzierten Darstellung der verschiedenen Formen – von der apostolischen bis zur ordenseigenen Visitation – zeigte Heckel auf, wie Gemeinschaften im Eigenrecht klare Schritte und Schwerpunkte für die Durchführung von Visitationen verankern sollten. Ausgehend von seinen eigenen Erfahrungswerten gab er Impulse, wie solche Regelungen gestaltet werden können, damit eine Visitation zu einem fruchtbaren und gemeinschaftsstärkenden Vorgang wird.

Der Ordensrechtstag fand – nach der Premiere im vergangenen Jahr – bereits zum zweiten Mal statt. Durchgeführt wurde die Tagung mit Unterstützung des Bistums Eichstätt. Sr. Roswitha Heinrich OSF, ehemalige Generaloberin der Dillinger Franziskanerinnen, moderierte die Fachtagung. „Kirchenrecht und Charisma gehören zusammen – nicht als Gegensätze, sondern als wechselseitige Kräfte, die dem Ordensleben Halt und Richtung geben“, zieht Rafael Rieger ein Fazit der Tagung. Den Eichstätter Ordensrechtstag will er als „Forum für Austausch und Ermutigung“ fest etablieren. „Rechtliche Reflexion und geistliche Tiefe befruchten sich gegenseitig – besonders in Zeiten des Wandels.“ Am 29. Oktober 2026 soll der nächste Eichstätter Ordensrechtstag stattfinden.