"Den gesellschaftlichen Auftrag ernstnehmen"

KU-Präsidentin Prof. Dr. Gabriele Gien und DK-Chefredakteur Stefan König (links) beim Abschlussgespräch mit Thomas Metten zum Corona-Forum.
© Klenk/upd

Das Corona-Forum ist ein gemeinsames Projekt von Donaukurier und Katholischer Universität Eichstätt-Ingolstadt. Seit April sind wöchentlich Interviews erschienen, in denen Forschende auf Fragen eingehen, die Leserinnen und Leser zur Corona-Pandemie eingereicht haben. In den Gesprächen mit den Experten kamen ganz unterschiedliche Themen zur Sprache: Was bedeutet die Pandemie für Kinder und Jugendliche oder für Menschen auf der Flucht? Hat der Wert des Lebens Vorrang vor wirtschaftlichen Ansprüchen? Braucht es eine bessere Unterstützung für die Kultur- und Musikbranche? Zum Abschluss des Corona Forums sprechen wir mit der Präsidentin der Universität, Prof. Dr. Gabriele Gien, und dem Chefredakteur des Donaukuriers, Stefan König, über die Rolle von Wissenschaft und Journalismus während der Pandemie.

 

Die Corona-Pandemie hat unser Zusammenleben in den vergangenen Wochen und Monaten stark verändert. Die Auswirkungen der Pandemie haben bei vielen Menschen Sorgen und Unsicherheiten ausgelöst. Welche Aufgaben kommen einer Universität und einer Tageszeitung in einer solchen Situation zu?

Gabriele Gien: Seit Beginn der Corona-Pandemie war es für uns als Universität sehr wichtig, aktiv zur Bewältigung der gegenwärtigen Herausforderungen beizutragen. Es galt, die Krise nicht nur universitätsintern zu lösen, sondern das Wissen der Universität mit allen zu teilen, die einen hohen Informationsbedarf haben und die von den Auswirkungen der Pandemie besonders betroffen sind. Die Kolleginnen und Kollegen haben dazu zahlreiche Projekte initiiert, etwa um gesellschaftliche Solidarität zu stärken. Auch Studierende haben zum Beispiel Schülerinnen und Schüler im Homeschooling betreut. Hier wird unser Anspruch als Katholische Universität sehr deutlich: Wir nehmen unsere Werteorientierung und unseren gesellschaftlichen Auftrag sehr ernst.

Stefan König: Auch als Tageszeitung ist es unsere Aufgabe, den Leserinnen und Lesern aktuelle Informationen zur Pandemie und zu ihren Folgen bereitzustellen. Zwar bewerten wir die Ereignisse in Kommentaren auch, entscheidend ist aber, dass sich unsere Leserinnen und Leser durch die Berichterstattung ein eigenes Bild der Geschehnisse machen können. Während der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, wie schwierig es ist, damit gegen Internetphantasien und Verschwörungstheorien anzukommen. Das Internet bietet heute unzählige Möglichkeiten, sich eine eigene „Wahrheit“ zurecht zu legen. Gerade deshalb ist es entscheidend, dass die Berichterstattung in den Medien eine verlässliche Größe darstellt und das Thema aus verschiedenen Positionen heraus betrachtet.

Können die Wissenschaften auch dazu beitragen, durch ihre Expertise und neue Forschungskenntnisse aktuelle Entwicklungen besser einzuordnen, ein tieferes Verständnis für die Auswirkungen der Pandemie zu entwickeln und Orientierung anzubieten?

Gien: Ja, genau hier sehe ich die Verantwortung der Universität. Das bedeutet nicht, dass wir seitens der Wissenschaft die Wahrheit für uns alleine beanspruchen können, aber natürlich versuchen wir, Erkenntnisse bestmöglich zu objektivieren. Das ist das Ethos, das die Wissenschaft antreibt. Die Vermittlung der Forschungsergebnisse ist darüber hinaus eine eigene Aufgabe, die nicht alleine in unserer Hand liegt, sondern die in Zusammenarbeit mit Medienpartnern wie dem Donaukurier stattfindet. Dabei müssen wir verständlich machen, dass es sich bei einem Expertengespräch nicht um eine subjektive Meinung handelt. Vielmehr vermittelt ein solches Interview Erkenntnisse aus einem Forschungsprozess, der eine sehr solide methodische Basis hat.

König: Aus Sicht des Journalismus gehört dazu auch, dass wir unsere Quellen offenlegen. Das ist in einer Zeitung nicht anders als in der Wissenschaft. Gerade während der Corona-Pandemie war es für viele Menschen wichtig zu erfahren, wie eine Nachricht zustande kommt. Stammt die Information aus der Recherche eines Redakteurs oder handelt es sich um eine Meldung der Weltgesundheitsorganisation? Deutlich wurde auch, dass der Informationsbedarf vieler Leser nicht bei der Zeitung endet. Für uns ist es daher eine wesentliche Aufgabe, weiterführende Informationen etwa über Links anzubieten.

Müsste hier nicht auch stärker transparent gemacht werden, wie wissenschaftliche Erkenntnis gewonnen wird und welchen Wert dieses Wissen hat?

Gien: Unbedingt. Das Problem ist aber auch, dass Informationen immer an bestimmte Kontexte gebunden sind. Ändert sich der Kontext, verändert sich auch das Verständnis einer Sache. Es macht einen Unterschied, ob das Bild eines sterbenden Corona-Patienten neben einem Zeitungsbericht platziert wird oder eine andere Darstellung. Gerade bei Themen, die stark mit Emotionen verbunden sind, hat dies Auswirkungen darauf, wie Sachinformationen wahrgenommen werden. Hier entscheidet sich, ob ein Bericht die eigenen Befürchtungen bestätigt oder ob die Informationen zu einem Teil der eigenen Beschwichtigungspolitik werden.

König: Im Journalismus sprechen wir hier von „Framing“, also davon, wie Informationen kontextualisiert werden. Aussagen oder Bilder können bestimmte Vorstellungen hervorrufen, ohne dass dies in einem Bericht ausdrücklich gesagt wird. Während der Anfangsphase der Pandemie ließ sich etwa beobachten, wie die Filmaufnahmen aus der italienischen Stadt Bergamo ihre Wirkung entfaltet haben. Die Bilder haben das Verhalten vieler Menschen enorm beeinflusst.

Kommt Journalisten hier eine besondere Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit zu?

König: Absolut. Auch wenn wir kritische Fragen im Arbeitsalltag oft schnell entscheiden müssen, ist es enorm wichtig, sorgfältig zu arbeiten. Kritische Themen müssen offen angesprochen werden, vor allem, wenn Rückfragen seitens der Leser kommen. Gerade in den letzten Wochen und Monaten gab es diese häufig, da die Corona-Krise viele Sorgen und Ängste ausgelöst hat. Seitens der Redaktion versuchen wir daher stets, Leserbriefe zeitnah aufzugreifen und diese angemessen zu beantworten. Dazu gehört auch, dass wir Kritik aushalten, zu Fehlern zu stehen und – wenn notwendig – Korrekturen veröffentlichen, um deutlich zu machen, dass wir transparent arbeiten.

Damit sprechen Sie auch den Ansatz an, den wir mit dem Corona Forum verfolgt haben. Ziel war es ja, Fragen der Leserinnen und Leser unmittelbar aufzugreifen und aus der Forschung heraus zu beantworten …

Gien: Ja, viele Kolleginnen und Kollegen haben sich in ihrer Arbeit während der Pandemie an den Anliegen der Bevölkerung orientiert. Solche Anregungen aus der Bevölkerung können in der Wissenschaft auch zu neuen Forschungsfragen führen. Der Dialog mit Bürgerinnen und Bürger kann dadurch zu einem Teil des Forschungsprozesses werden. Daher ist es sehr wichtig, eine Plattform für den Austausch zu haben, die wie das „Corona Forum“ so nah an den Menschen ist. Die Pandemie hat gezeigt: Die Bürger haben ein ernsthaftes Interesse an Wissenschaft.

Sollten wir den Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft künftig weiter intensivieren?

Gien: Ja. Als Universität haben wir relativ früh die Idee aufgegriffen, dass Wissenschaft und Gesellschaft stärker und kontinuierlicher zusammenwirken müssen. Inzwischen zeigt sich, dass sich auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) umstellt. Faktoren wie die gesellschaftliche Wirkung spielen bei der Bewertung der Forschungsleistung zunehmend eine wesentliche Rolle. Künftig sollten wir daher stärker neue Formate in den Blick zu nehmen, die einen solchen Austausch ermöglichen.

Welche Bedeutung kommt dabei den Gesprächen mit den Forschenden zu, die wir im Rahmen des Corona Forums geführt haben?  

König: Die Gespräche mit den Wissenschaftlern sind zum einen natürlich toller Lesestoff, der über die alltägliche Berichterstattung hinausgeht. Zum anderen konnten wir hierdurch Fragen der Leser aufgreifen und neue Ansätze und Perspektiven vermitteln. Da waren Fragen dabei, die sich jeder gestellt hat, und die dazu geführt haben, dass wir in den Gesprächen den Bogen von der Theorie bis hin zu Alltagsthemen schlagen konnten. Dadurch konnten wir auch den Kontakt zu unseren Leserinnen und Lesern intensivieren.

Gien: Zudem haben die Fragen deutlich werden lassen, dass die Corona-Krise nicht nur ein biologisches oder medizinisches Problem ist, sondern dass sich viele Menschen intensiv mit den gesellschaftlichen Folgen beschäftigen. Viele der Fragen werden auch in der Wissenschaft intensiv diskutiert: Politikwissenschaftler beschäftigen sich mit dem Thema „Fake News“. Soziologen diskutieren die Frage, wie sich eine Gesellschaft verändert, die eine solche Verwundbarkeit erfahren hat. Die damit verbundenen Fragen betreffen auch unser Selbstverständnis als Menschen und unser gesellschaftliches Zusammenleben. 

Welche Bedeutung kommt dabei der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Journalismus zu?

Gien: Aussagen, die wir in die Welt setzen, können erhebliche Folgen haben. Darin liegt eine ganz besondere Verantwortung, die wir in Wissenschaft und Journalismus teilen. Zugleich hat das Corona Forum deutlich gemacht, dass die Gestaltung und Lösung aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen immer eine interdisziplinäre Zusammenarbeit erfordert. Viele Herausforderungen lassen sich nicht mehr nur aus der Perspektive einer Wissenschaftsdisziplin lösen. Voraussetzung dafür ist auch die enge Zusammenarbeit mit externen Partnern, wie sie heute an interdisziplinären Zentren oder durch Forschungsverbünde erfolgt.

König: Je komplizierter gesellschaftliche Strukturen und technologische Entwicklungen werden, die Digitalisierung ist dafür ein gutes Beispiel, desto eher stoßen wir als Journalisten manchmal an unsere Grenzen. Dann braucht es Spezialisten, die ein Thema auch anders betrachten. Deshalb ist es für uns wichtig, immer wieder die Wissenschaft mit ins Boot zu nehmen. Wichtig ist aber auch, dass das Fachwissen so vermittelt wird, dass dieses für die Leserinnen und Leser bereichernd ist. Dadurch kann es uns gelingen, komplexe Themen, die die Welt bewegen, in unserer Region angemessen zu diskutieren und neue Lösungsansätze zu vermitteln. Es ist wichtig, dass sich die Bürgerinnen und Bürger aktiv einbringen können und sich nicht abgehängt sehen.

Gien: Ja, hier sind wir seitens der Wissenschaft gefordert, eine Sprache zu finden, die niemanden ausschließt. Sich auf die Fragen anderer einzulassen und darauf, auch abstrakte Themen verständlich zu vermitteln, ist eine wesentliche Voraussetzung für die Lösung heutiger Herausforderungen.

Das Gespräch führte Thomas Metten. Er ist Mitarbeiter der KU und des Projektes „Mensch in Bewegung“.

 

Gabriele Gien ist seit Oktober 2016 Präsidentin der Katholischen Universität Eichstätt Ingolstadt. Sie ist Inhaberin des Lehrstuhls für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur, seit 2007 ist sie an der KU tätig.

Stefan König ist seit März 2017 Chefredakteur des Donaukurier. Der gebürtiger Ingolstädter arbeitet seit rund 20 Jahren in unterschiedlichen Positionen bei der Regionalzeitung, seit acht Jahren zählt er zur Chefredaktion. 

 

Hintergrund zum Corona-Forum

Das „Corona Forum“ ist ein gemeinsames Projekt von Katholischer Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) und Donaukurier. Initiiert wurde das Corona Forum durch das Projekt „Mensch in Bewegung“, in dem KU und die Technische Hochschule Ingolstadt gemeinsam mit Partnern aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft ein regionales Netzwerk für den Wissensaustausch aufbauen. Das Projekt wird im Rahmen der Förderinitiative „Innovative Hochschule“ durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie durch das Land Bayern gefördert.