Yevgenia Belorusets‘ Lesung erfüllt den Holzersaal mit tierischen Stimmen

Ein wahres Schatzkästchen an Erzählungen, Interviews, dramatischen Texten und Berichten hat die ukrainische Autorin Yevgenia Belorusets in ihrem Buch „Über das moderne Leben der Tiere“ zusammengestellt. Einen kleinen Einblick bot sie bei ihrer Lesung im Holzersaal im Rahmen der Konferenz „(De)Constructing Identities? Tiere in der Literatur“. Im Gespräch mit Dr. Nadine Menzel von der Universität Bamberg ergründete sie die Verbindungen und die Kommunikation zwischen Tier und Mensch.

Menzel hatte die Konferenz gemeinsam mit Dr. Alexandra Tretakov und der Inhaberin des Lehrstuhls für Neuere deutsche Literaturwissenschaft, Prof. Dr. Friederike Reents, beide von der KU, organisiert. Schon bei der Begrüßung betonte Menzel, wie perfekt Belorusets‘ Buch in diesen Kontext passt. Belorusets‘ Buch „Über das moderne Leben der Tiere“ ist seit 2014 – also seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine – entstanden. Belorusets, die in Berlin und Kiew lebt, schreibt von den Tieren im Krieg – von den unzähligen und ungesehenen Opfern. Zugleich beschreibt die Autorin aber auch märchenhafte und magische Begegnungen mit Tieren, es geht um Kühe, Katzen, Hunde – immer wieder und ganz oft aber vor allem um Vögel, um Krähen, Hühner und Eulen. 

Yevgenia Belorusets

In den Gesprächen zwischen Autorin und Moderatorin, die die Lesepassagen unterbrachen, ging es auch um die Übersetzung ins Deutsche. Belorusets, die auf Russisch und Ukrainisch schreibt, arbeitet dazu eng mit ihrer Übersetzerin Claudia Dathe zusammen. So sei der Titel des Buches wörtlich eigentlich „Über das zeitgenössische Leben der Tiere“ und der deutsche Titel das Ergebnis von intensiven Diskussionen über Text und Übersetzung, Wortbedeutung und -sinn. Besonders deutlich wurde dieses Ringen um die richtige Übersetzung bei der Wortschöpfung „Tödin“. Denn der Tod ist im Russischen weiblich – in Belorusets Geschichte von einem Huhn, in dem die Seele einer Frau eine zweite Heimat findet, bis auch das Huhn stirbt, musste schließlich auch der Tod eine Frau sein. 

Von der philosophischen Frage nach dem Schicksal der Tiere, von dem der Erzähler behauptet, sie hätten im Gegensatz zu den Menschen kein Schicksal, bis hin zu lakonisch humorvollen Erzählungen, wie die der Kuh, die die Mutter auf die Hörner nimmt – sie haben sich aber wieder vertragen – reicht die abwechslungsreiche Erzählkunst der Autorin. Eine Geschichte, die aus einem Interview mit einer Tierretterin entstand, handelt vom Zusammenleben unzähliger Hunde und Katzen in einer winzigen Wohnung –, sodass die Grenzen zwischen Mensch und Tier zunehmend verwischen. 

Dr. Nadine Menzel, Prof. Friederike Reents, Dr. Alexandra Tretakov, Yevgenia Belorusets
von links: Dr. Nadine Menzel (Universität Bamberg), Prof. Friederike Reents, Dr. Alexandra Tretakov und Autorin Yevgenia Belorusets

In ihrem Buch sind außerdem Fotografien von Tieren zu sehen, die die Fotografin, Künstlerin und Schriftstellerin bei ihren Reisen durch die Ukraine und während der Arbeit an ihrem Buch aufgenommen hat. Auf die Frage der Moderatorin, warum sie so viele Vögel fotografiert habe, erklärt Belorusets, sie habe in einer Rettungsstätte für Vögel versucht, die Tiere in ihren Käfigen zu fotografieren und sei wiederholt gescheitert. Die Bilder seien daher Abbildungen ihres Scheiterns. 

Für Belorusets wird im Erzählen über Tiere deutlich, dass Sprache Ausdruck eines hierarchischen Systems ist. In ihrer Darstellung der Tier-Mensch-Kommunikation übt sie Kritik an Russland und richtet den Blick darauf, wie Sprache den hierarchischen Abstand nicht nur zwischen Tier und Mensch, sondern zwischen den Menschen zeigt und Ausdruck von Abwertung sein kann. Damit sind ihre Erzählungen viel mehr als Beobachtungen über Tiere, sie beschreibt dadurch auch das Leben der Menschen.