„Zusammen geht etwas“: Abschiedssymposium von Geschichtsdidaktikerin Waltraud Schreiber

Geschichtsunterricht als ödes Auswendiglernen von Namen und Jahreszahlen – dieses Gefühl verbinden manche rückblickend mit diesem Fach. Ganz im Gegensatz dazu hat Prof. Dr. Waltraud Schreiber als Inhaberin der Professur für Theorie und Didaktik der Geschichte stets das Credo verfolgt „Geschichte denken statt pauken!“. Mit einem Symposium, das zahlreiche Mitstreiterinnen und Mitstreiter vor Ort und digital verfolgten, hat sich Professorin Schreiber nun in den Ruhestand verabschiedet – wenn auch nur offiziell. Denn stellvertretend für viele Redebeiträge, die Schreibers fast 25-jähriges Wirken an der KU würdigten, stellte Prof. Dr. Joost van Loon als Dekan der Geschichts- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät fest: „Es wird gewiss nicht viel Ruhe geben angesichts Deiner vielen noch laufenden Projekte und Initiativen.“ Auch KU-Präsidentin Prof. Dr. Gabriele Gien dankte ihr für ein „außergewöhnliches Engagement“ weit über ihr Fach hinaus rund um Inklusion und Lehrerbildung – etwa durch die Etablierung des Konzeptes LehramtPlus, das an der KU ein Lehramtsstudium mit einem Bachelor- und Masterabschluss kombiniert, der auch jenseits der Schule Berufsperspektiven bietet.

Schreiber, die selbst zehn Jahre als Lehrerin tätig war, hatte die Veranstaltung unter das Motto „Zusammen geht etwas“ gestellt.  Dafür habe es „Menschen gebraucht, die Türen öffnen, einfach nur deshalb, weil sie mir vertraut haben“. Zudem habe sie über mehrere Langzeit-Vorhaben hinweg mit einem stabilen, fachübergreifenden Team zusammenarbeiten können, das eine vertrauensvolle Arbeitsgrundlage geschaffen habe. Bereits 1999 initiierte sie das internationale FUER-Projekt (Förderung und Entwicklung eines reflektierten Geschichtsbewusstseins): Ein Team aus Geschichtsdidaktikern und Geschichtslehrern erarbeitete, gefördert u.a. von EU und Stifterverband, 2007 das Kompetenzstrukturmodell historischen Denkens. Dieses ist zentrale Grundlage zum Beispiel für Lehrpläne in Deutschland und Österreich. „Es ist zutiefst menschlich, sich so gut wie möglich zurechtfinden zu wollen. Vor diesem Hintergrund müssen die Fragen relevant sein, die wie aus der Gegenwart in die Vergangenheit stellen – und umgekehrt. Es gilt, hinter die Narrationen blicken“, erläuterte Schreiber die Intention.

Anknüpfend an das FUER-Konzept hat sie sich auch mit Fragen von Museumspädagogik und Geschichtskultur beschäftigt, da historische Kompetenzen nicht nur im Unterricht entwickelt werden, sondern ebenso im öffentlichen Umgang mit Geschichte.

Klug
Professorin Schreiber im Kreis des Projektteams von KLUG.

Seit einigen Jahren wendet sich die Eichstätter Geschichtsdidaktik auch empirischen Studien über historisches Denken zu, die erworbenen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften zu erforschen – unter anderem auch in Kooperation mit Forschenden aus der pädagogischen Psychologie und der Sonderpädagogik. „Es gibt dafür keine bessere Partnerin als Waltraud Schreiber, um zu untersuchen, was unter der Oberfläche des Unterrichtsgeschehens läuft“, betonte Prof. Dr. Ulrich Trautwein, Professor für Empirische Bildungsforschung an der Universität Tübingen. Im aktuellen Projekt KLUG etwa, das die Wirksamkeit von Fortbildungskonzepten im Hinblick auf inklusiven Geschichtsunterricht untersucht, fragen die Beteiligten unter anderem danach, wie gut gelingt es, die vorhandene Unterrichtszeit zu nutzen, um eine kognitive Aktivierung erreichen. Und wie groß ist die Bereitschaft bei Schülern, sich einzubringen, weil sie spüren, dass es im Alltag nützt, historisch denken zu können, und sie Unterstützung dabei erfahren, diese Art des Denkens zu lernen? „Theorie, Empirie und Pragmatik gehören zusammen. Gemeinsame Forschung erreicht mehr als Einzelforschung“, so Schreiber.

Beteiligt am KLUG-Projekt ist auch der Inhaber des Lehrstuhls für Pädagogik und Didaktik bei Beeinträchtigungen des Lernens an der Universität Oldenburg, Prof. Dr. Clemens Hillenbrand. Er schilderte für den inklusiven Geschichtsunterricht, dass die Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern generell aus unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen resultieren: „Das gilt nicht nur für Kinder mit körperlichen Beeinträchtigungen, sondern auch für solche mit unterschiedlichem Lernhintergrund. Ziel ist es, Schüler so an der Gestaltung von Unterricht partizipieren zu lassen, dass es nicht nur gut gemeint, sondern auch gut gemacht ist.“ Darüber hinaus müsse die Gesamtsituation so gestaltet sein, dass sie auch für die Lehrkräfte befriedigend sei. Unterstützung dafür bietet das Fortbildungskonzept des KLUG-Projektes. Wie erste Ergebnisse zeigen, die beim Symposium vorgestellt wurden, hatte dieses positive Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Unterrichtsqualität bei Schülerinnen und Schülern.

Inklusion stand auch im Zentrum eines Verbundprojektes, das Professorin Schreiber 2013 initiierte. Unter dem Titel „Inklusives Leben und Lernen an Schulen“ fanden sich Forschende der KU aus zehn Disziplinen zusammen, um Forschung, Lehre sowie die konkrete Transformation hin zu einer inklusiven Schule voranzutreiben.

Nach fast einem Vierteljahrhundert vielfältiger Tätigkeit in Forschung und Lehre an der KU nichts mehr tun? „Für einen echten Ruhestand fühle ich mich dann doch noch nicht bereit“, versprach Professorin Schreiber in der Einladung zu ihrem Abschiedssymposium. Also: Auf Wiedersehen und nicht Adieu.