Zwischen Flucht und Neubeginn: Das jüdische Displaced-Persons-Camp Eichstätt

Ein wenig bekanntes Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte steht im Mittelpunkt eines Symposiums an der KU, das sich vom 22. bis 24. September mit jüdischen Displaced-Persons-Camps am Beispiel der Stadt Eichstätt be-schäftigen wird. Dabei kommen auch Zeitzeugen zu Wort die als Kind im Eichstätter Camp lebten bzw. dort geboren wurden und anlässlich der Tagung erstmals wieder nach Eichstätt zurückkehren. Bei dem Symposium, welches das Zentrum Flucht und Migration der KU veranstaltet, werden aktuelle geschichtswissenschaftliche Beiträge aus der Displaced-Persons-Forschung vorgestellt. Darüber hinaus steht die künstlerische und museale Verarbeitung von Flucht, Deportation und Migration auf der Agenda. Zudem bietet eine Ausstellung Einblick in his-torische Dokumente und Fotografien.

Im Eichstätter DP-Camp lebten zwischen Herbst 1946 und seiner Schließung im Oktober 1949 zeitweise bis zu 1400 Personen. Bei den Bewohnerinnen und Bewohnern handelte es sich zum einen um Überlebende aus den Konzentrationslagern, zum anderen um Juden aus Ostpolen, die während des Krieges zunächst nach Sibirien deportiert worden waren. Nach Kriegsende wurden sie nach Polen repatriiert, wo sie jedoch erneut Pogromen ausgesetzt waren und deshalb nach Deutschland in die amerikanische Besatzungszone flohen.

Wie alle Displaced-Persons-Camps in der amerikanischen Besatzungszone war auch die Eichstätter Einrichtung weitgehend selbst verwaltet und wurde von der United Nations' Relief And Rehabilitation Administration (UNRRA) versorgt. Die Bewohner organisierten in Eigenregie ein System für Bildung, Ausbildung sowie religiöse, kulturelle und sportliche Aktivitäten: Das Camp umfasste einen Kindergarten, eine Volks- und Berufsschule, zwei Fußballmannschaften, vier Talmud Thora-Schulen, eine Synagoge sowie ein Ritualbad. Die heutige Eichstätter Jugendherberge diente als Krankenhaus für die Campbewohner, in dem 150 Kinder geboren wurden. Hauptteil des Camps war die frühere Jägerkaserne, die heute zum Komplex der Bereitschaftspolizei in Eichstätt gehört.

„Obwohl die damaligen Gebäude fast unverändert existieren, ist die Geschichte des DP-Camps in Eichstätt so gut wie unbekannt“, erklärt Dr. Julia Devlin, die als Geschäftsführerin des Zentrums Flucht und Migration das Symposium gemeinsam mit dem Eichstätter Lokalhistoriker Dr. Maximilian Ettle auf den Weg gebracht hat. Bei ihren Nachforschungen haben sie Kontakt zu mehreren Personen knüpfen können, die im Eichstätter DP-Camp geboren wurden und – wie die meisten Bewohner des Camps – nach Gründung des Staates Israel dorthin emigrierten. Gemeinsam mit ihren Angehörigen werden viele von ihnen erstmals wieder Deutschland besuchen. „Einige wollen die Gelegenheit nutzen, um einen Kreis zu schließen“, so Devlin. Daher werden die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen beim Symposium nicht nur über ihre Lebenswege und Migrationswege ihrer Familien berichten, sondern die vorhandenen Orte des früheren Camps bei einer Stadtrundfahrt besuchen. Generell wolle die Tagung, so Devlin, Anlass dazu bieten, auch andernorts die lokale Flucht- und Migrationsgeschichte näher zu untersuchen.

Die wissenschaftlichen Beiträge des Symposiums beschäftigen sich zum einen mit den Erkenntnissen zu DP-Camps in der amerikanischen Besatzungszone allgemein sowie dem Eichstätter Lager speziell – etwa bezogen auf die Herkunftskontexte und die Folgemigrationen der Bewohner. Zum anderen werden auch generelle Potenziale für die weitere Erforschung von DP-Camps thematisiert. Zu den Referentinnen und Referenten gehört unter anderem die amerikanische Künstlerin Krista Svalbonas, deren Eltern aus dem Baltikum stammen und vor ihrer Emigration in die USA in verschiedenen deutschen Displaced-Persons-Camps lebten. Sie verarbeitet ihre Familiengeschichte unter anderem auch mit Eichstätter Motiven, die bei einer begleitenden Ausstellung zu sehen sein werden. Ihr Vortrag über das Verhältnis von Kunst und Migration wird die Tagung eröffnen. Referieren werden unter anderem auch Holger Köhn (Büro für Erinnerungskultur, Babenhausen), Sebastian Huhn (Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien), Mirjam Spandri (KZ-Gedenkstätte Dachau) sowie Dr. Rachel Salamander (Gründerin der Münchner „Literaturhandlung“ für Fachliteratur zum Judentum).

Das ausführliche Programm der Tagung findet sich unter www.ku.de/zfm. Die Teilnahmegebühr beträgt 50 Euro. Eine Anmeldung ist möglich per Mail an sleneis(at)ku.de, telefonisch unter 08421/9 09 06 16 oder per Post an

Zentrum Flucht und Migration
Frau Simone Leneis
Marktplatz 13
85072 Eichstätt