Der Vortrag wird auch als Livestream übertragen unter https://www.youtube.com/watch?v=TQUA8Jj-0Zg.
Referent: Prof. Dr. Martin Kirschner
Nicht erst seit der von Bundeskanzler Scholz ausgerufenen „Zeitenwende“ und der Ausweitung des Krieges in der Ukraine durch Russlands Angriff vom Februar 2022 ist die (auch sonst von Krisen geschüttelte) Welt mit alten und neuen Kriegen, mit eskalierender Gewalt und der Erosion einer regelbasierten internationalen Ordnung konfrontiert. Der Vortrag führt in die Vorlesungsreihe Welt – Krieg – Frieden ein, in der diese Zeitsituation aus unterschiedlichen Perspektiven und Disziplinen reflektiert, analysiert und auf Möglichkeiten des Handelns und der Friedensarbeit hin befragt werden soll. Der erste Teil des Vortrags regt dazu an, die Gegenwartssituation in unterschiedlichen Dimensionen und Perspektiven in den Blick zu nehmen, in Perspektivwechseln die damit verbundenen Spannungen wahrzunehmen und sich diesen Spannungen zu stellen. Ein zweiter Teil zeichnet idealtypische Möglichkeiten nach, sich gegenüber der Realität des Kriegs zu positionieren. Unter Einbeziehung der theologischen Tradition werden hier vier Optionen und Muster erörtert, die bis in die Gegenwart und auch außerhalb religiöser Kontexte relevant sind: a) die Stilisierung des Krieges als einen Kampf des Guten gegen das Böse, die mit der Dämonisierung des Feindes und der Selbstidentifikation mit dem Guten verbunden ist („Heiliger Krieg“); b) die rationale und ethische Eindämmung kriegerischer Gewalt durch die Lehre vom „gerechten Krieg“; c) die Ablehnung kriegerischer (Gegen-)Gewalt und die Option der Gewaltfreiheit („Pazifismus“); d) ein integraler Ansatz des „gerechten Friedens“ und der Friedens- und Versöhnungsarbeit. Daneben unterscheidet der Vortrag unter Einbeziehung politikwissenschaftlicher Reflexionen idealtypisch weitere fünf Strategien in Analyse und Umgang mit kriegerischer Gewalt: a) einen „realistischen“, machtorientierten Ansatz; b) einen „liberalen“, an Handel und Interdependenz orientierten Ansatz; c) einen „institutionellen“ Ansatz, der Verfahren und Recht ins Zentrum rückt; d) einen an moralischen Normen und öffentlicher Ächtung orientierten Ansatz, sowie e) eine systemische und globale Analyse von Strukturen der Abhängigkeit, des Ungerechten Tauschs und der Machtbeziehungen, welche auf Systemveränderungen im Zusammenleben im Sinne einer globalen und nachhaltigen Gerechtigkeit zielt. Die damit nur grob umrissene Landkarte unterschiedlicher Deutungsmöglichkeiten soll eine Hilfe bieten, um die verschiedenen Vorträge, ihre Zugänge und Sichtweisen einzuordnen und die eigene Auseinandersetzung und Urteilsbildung anzuregen. Der dritte Teil des Vortrags gibt eine Übersicht zum geplanten Ablauf und roten Faden der Ringvorlesung.
Prof. Dr. Martin Kirschner hat den Lehrstuhl Theologie in Transformationsprozessen der Gegenwart an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt inne und leitet das KU Zentrum Religion, Kirche, Gesellschaft im Wandel.
Über die K'Universale-Reihe „Welt - Krieg - Frieden“
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 ist die Gewalt des Krieges mitten in Europa eskaliert: Die damit verbundene Zerstörung und das unsägliche Leid in der Ukraine rütteln auf. Der Krieg prägt die öffentlichen Debatten in Europa, er setzt eine Gewaltspirale in Gang, deren Ende derzeit nicht absehbar ist. Zugleich fügt er sich in eine weltweite Dynamik der Gewalt und des Rechtsbruchs, in denen die Hoffnung auf eine neue Weltordnung und auf eine Zusammenarbeit für Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung zu zerbrechen droht. In der Enzyklika „Fratelli tutti“ spricht Papst Franziskus 2020 von einem „Dritten Weltkrieg in Stücken“ und wendet sich gegen die Vorstellung eines gerechten Krieges (FT 256-262).
Umso stärker zeigt sich die Notwendigkeit, nach Wegen zur Unterbrechung und Überwindung von Gewalt zu suchen, an der Wiederherstellung von Recht und an Möglichkeiten eines neuen Zusammenlebens zu arbeiten.
Die Sehnsucht nach Frieden bildet den Horizont der Ringvorlesung, in der Erfahrungen von Krieg und Gewalt thematisiert, Strategien zu ihrer Unterbrechung und Überwindung diskutiert, literarische Verarbeitungen besprochen und Ansätze der Friedensarbeit vorgestellt werden. Die globalen Herausforderungen kommen an lokalen Beispielen und Perspektiven in den Blick und werden aus unterschiedlichen Fachdisziplinen und Praxisfeldern heraus beleuchtet.
Die Reihe wird von Prof. Dr. Miriam Lay Brander, Prof. Dr. Martin Kirschner, Prof. Dr. Thomas Fischer und Dr. Jochen Kleinschmidt organisiert.
Weitere Informationen zum Programm der Reihe unter www.ku.de/kuniversale.