Preis der Volksbank Raiffeisenbank Bayern Mitte eG

Preisträgerin 2017 Sabine Girg, Kunstgeschichte

Sabine Girg

Ausgezeichnet wird Sabine Girg für ihre Masterarbeit mit dem Titel „Inszenierte Alterität – Die fotografische Kon­struktion des ‚Zigeuners‛. Visuelle Alterisierung zwischen Orientalismus, Romantisierung und Ausgrenzung im langen 19. Jahrhundert“, die am Lehrstuhl für Kunstgeschichte ­entstand. Betreuer war Prof. Dr. Michael Zimmermann.
Als exotisches Gegenbild der Mehrheitsgesellschaft ist die ­Figur des „Zigeuners“ seit der ersten schriftlich belegten Erscheinung der Minderheit im Europa des 15. Jahrhunderts Fascinosum und Tremdendum zugleich. In dieser Rolle durchwandert die Figur Werke der Literatur, des Musiktheaters und der bildenden Kunst.
Für einen reflektierten Sprachgebrauch muss betont werden, dass es sich bei dem Begriff „Zigeuner“ um eine Fremdzuschreibung handelt, die vom Zentralrat der Sinti und Roma als diskriminierend abgelehnt wird. Die Figur des „Zigeuners“ ist als gesellschaftliches Konstrukt zu verstehen, dem ein Reservoir an Bildern und Legenden zugrunde liegt. Die Vorstellung des „Zigeuners“ als Personifikation des Anderen wirkte sich in hohem Maße auf die visuelle Repräsentation der Minderheit aus. Seit der frühen Neuzeit formierte sich eine sehr wenige Motivvaria­tionen umfassende Ikonographie des Fremden, die sich fundamental im Bildgedächtnis Europas ablagerte und – wie die hier prämierte Abschlussarbeit zeigt – im Medium der Fotografie fortgeführt wurde.
Im Rahmen ihrer Masterarbeit untersuchte Sabine Girg die frühesten fotografischen Aufnahmen von Roma, die der österreichische ­Militärapotheker Ludwig Angerer um 1856 im Schatten des Krimkrieges anfertigte. Den theoretischen Hintergrund bildeten dabei u.a. die Stereotypenforschung, die Medien- und Bildtheorie sowie die postcolonial studies.
Die Fotografien tradieren bestehende literarische Stereotype und zeigen in ihrem Kontext, dass – ­abgesehen von einer selbstidentifikatorischen Abgrenzung der bürgerlichen Schichten – über die Figur des „Zigeuners“ zusätzlich auch eine zweite Grenzziehung ausgehandelt wurde: eine vermeintliche Bestätigung der westlichen Überlegenheit gegenüber dem Osten.
Auch die im Rahmen der Arbeit analysierten fotografischen Sammelkarten und Postkarten des ausgehenden 19. Jahrhunderts sind stark von stereotypen Bildwelten des „Zigeuners“ geprägt und müssen sowohl aufgrund ihrer massenhaften kommerziellen Verbreitung als auch wegen des Objektivitäts­anspruchs der Fotografie als hochgradig mythenbildend und diskursbestimmend bewertet werden.
Girg ist es gelungen, die unterschiedlichen Klischees an den ­Fotos herauszuarbeiten. Der osteuropäi­sche „Zigeuner“ wird in den von ihr untersuchten Fotografien zum Inbegriff des Exotischen und Rückständigen stilisiert, so ihr Fazit. Visuell werde er damit nicht als Teil der europäischen Kultur, sondern als Fremder markiert.
Sabine Girg wurde 1991 in Oberviechtach geboren. Nach ihrem Abitur am Von-Müller-Gymnasium in Regensburg begann sie 2011 ihr Studium im Europastudiengang der KU, im Rahmen dessen sie ein Semester an der Universidad Pontificia de Salamanca verbrachte. Ihr Schwerpunktfach war Kunstgeschichte.
Nach dem Bachelor absolvierte sie den durch das Elitenetzwerk Bayern geförderten Masterstudiengang „Aisthesis. Historische Kunst- und Literaturdiskurse“. Die interdisziplinäre Ausrichtung des Masterprogramms vertiefte sie durch einen Studienaufenthalt an der Universiteit Utrecht (Niederlande). Verschiedene Praktika führten sie zu Zeitungen und Museen, zwei Jahre arbeitete sie als Hilfskraft am Lehrstuhl Kunstgeschichte.
Im September 2017 schloss die Preisträgerin ihr Studium sehr erfolgreich ab. Aktuell bereitet Sabine Girg neben ihrer Tätigkeit in der Öffentlichkeitsarbeit des Münchner Bildungswerks ein Promotionsvorhaben zum Themenfeld der visuellen Geschichte und fotografischen Konstruktion der Roma im Raum Spanien vor.