Tagung "Der Religionsphilosoph Klaus Heinrich (1927-2020) als Pionier einer transdisziplinären Kulturwissenschaft"

Der vor drei Jahren verstorbene Berliner „Religionswissenschaftler auf religionsphilosophischer Grundlage“ (wie Klaus Heinrichs offizielle venia lautete) war bis vor wenigem im Fach „Religionswissenschaft“ ein absoluter Außenseiter, fächerübergreifend jedoch ein Geheimtipp mit all der Ambivalenz, die diesem Gelehrtentyp eignet. Am besten ist Heinrich wohl charakterisierbar als, darum die Bezeichnung im Tagungstitel, „transdisziplinärer Kulturwissenschaftler avant la lettre“.

Rekurriert man auf Heinrichs solitäre Venia, dann ist unbedingt klarzustellen, dass er kein Theologe war, aber auch kein totaler Mythologie-Kritiker, wie es aufgeklärte Religionsphilosophen nicht selten sind. Das Spezifische an Heinrich, sein proprium, bestand vielmehr darin, dass er – nicht zuletzt in ständigem Rückbezug auf Sigmund Freud – den Erfahrungsgehalt mythischer Erzählungen äußerst ernst nahm und mit ihm gegen schlecht rationalisierende, das heißt verdrängende Philosophie aufkreuzte; immer darauf bedacht, dabei gegenaufklärerischen Remythologisierern nicht zuzuarbeiten. Sie, Mircea Eliade, Martin Heidegger und C.G. Jung allen anderen voran, waren daher Heinrichs erklärte Feinde.

Seine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus war nicht weniger intensiv wie seine so positive wie kreative Aneignung antiker Dichtung und Bildender Kunst; nicht zuletzt auf den Spuren Aby Warburgs und seiner Schule. Gerade von ihr inspiriert, konnte Heinrich auch originelle Beiträge zur Interpretation z.B. Caspar David Friedrichs, Théodore Géricaults und Max Beckmanns leisten – stets „gattungsgeschichtlich“ (an der der Menschen, nicht der Bilder) orientiert, um einen weiteren Grundbegriff der Theoriebildung (des selbst unendlich gebildeten und in den Tiefenschichten antiker Religionsgeschichte bewanderten) Heinrichs zu geben. Auch auf seine Rezeption altisraelischen Prophetismus und mosaischen Bündnis-Denkens sei hingewiesen; nicht zuletzt dem verpflichtet, was der von Heinrich hochgeschätzte Thomas Mann in seinem Joseph und seine Brüder vorexerziert hatte.

In diesen Horizontbildungen einer transdisziplinären Kulturwissenschaft, freilich nicht ablösbar von dem unerschöpflichen geistigen Fundus eines Mannes, dessen legendäre, jahrzehntelang völlig frei gehaltenen Vorlesungen als „Dahlemer Vorlesungen“ nach Tonbandaufzeichnungen nun nach und nach ediert werden, sind die Probebohrungen (Sondierungen) am Oeuvre Klaus Heinrichs zu verorten, die die Programmfolge der Tagung bilden. Dass die Bibelwissenschaftler von Heinrich profitieren können, zeigen die Vorträge seines Schülers Jan-Dirk Döhling über „Parmenides und Jona“ und des Bibelwissenschaftlers Martin Leutzsch über Heinrichs einzige neutestamentliche Studie. Den Religionskritiker Klaus Heinrich präsentiert der Religionskritiker mit religionsgeschichtlichem Schwerpunkt Horst Junginger; Heinrichs bereits oben angesprochene schwierige Stellung innerhalb der disziplinär verankerten Religionswissenschaft reflektiert Karlheinz Kohl. Den Bild- und Architekturinterpretationen des Warburgerianers Heinrich widmen sich die Vorträge von P. Bexte, R. Faber und G. Wedekind, dem Kritiker Heideggers R. Hentschel.

Insgesamt entspricht die Tagung damit den kulturwissenschaftlichen, transdisziplinär ausgerichteten Forschungsinteressen des Zentrums für Religion Kirche Gesellschaft im Wandel, insbesondere in den Forschungsfeldern I und III. Wie weit sich daraus in Verbindung mit dem Zentrum „Religion and Transformation in Contemporary Society“ an der Universität Wien, mit dem wir bei der Tagung kooperieren, ein nachhaltiges Forschungsprojekt entwickeln ließe, wird in einer Schlussdiskussion am Ende der Tagung zu bedenken sein. – Eine Folgetagung in Berlin ist bereits in Vorbereitung.

Anmeldungen zur Tagung des KU-Zentrums „Religion Kirche Gesellschaft im Wandel“ (ZRKG) und des Forschungszentrums „Religion and Transformation in Contemporary Society“ (RaT, Univ. Wien) bitte bis spätestens Mittwoch, 19. Juli 2023, an zrkg(at)ku.de.

Flyer

Ansprechpartner: Prof. Dr. Thomas Pittrof