Jüdisches Leben im Alten Reich: Akteure in vielschichtigen Machtverhältnissen

Synagoge Fürth
© Stadtarchiv Fürth

Beim Blick auf die deutsch-jüdische Geschichte im 17. und 18. Jahrhundert fällt auf, dass jüdische Gemeinden nicht gleichmäßig im damaligen Reich verteilt waren, sondern sich auf einzelne Kernregionen konzentrierten. Welche Rahmenbedingungen führten zu dieser Siedlungstradition und wie gestaltete die jüdische Minderheit diese aktiv mit? Einen umfassenden Erklärungsansatz dafür entwickeln will das Projekt „Fraktalität und die Dynamik jüdischer Lebensformen im Süden des Alten Reichs im 17. und 18. Jahrhundert“ unter Leitung der Historikerin Prof. Dr. Sabine Ullmann von der KU und ihrer Kollegin Prof. Dr. Michaela Schmölz-Häberlein (Universität Bamberg). Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt das dreijährige Vorhaben, an dem eine Doktorandin und zwei Doktoranden beteiligt sind, mit fast 530.000 Euro. Ullmann hat an der KU die Professur für Vergleichende Landesgeschichte und Geschichte der Frühen Neuzeit inne, Schmölz-Häberlein lehrt an der Universität Bamberg als Außerplanmäßige Professorin am Lehrstuhl für Neuere Geschichte unter Einbeziehung der Landesgeschichte. Sie leitet zudem ein eigenes DFG-Projekt zu christlich-jüdischer Kooperation, ebenfalls an der Eichstätter Professur für Vergleichende Landesgeschichte und Geschichte der Frühen Neuzeit.

Seit dem Mittelalter konnten sich Juden gegen Bezahlung unter den Schutz des jeweils vor Ort herrschenden Fürsten stellen lassen. Dieses Judenregal war dabei nicht nur eine Einnahmequelle, um die Territorien miteinander konkurrierten: „Die Ansiedlung und Besteuerung von Juden konnte zu einer politischen Statusfrage aufgeladen und im Streit um Hoheitsrechte entsprechend instrumentalisiert werden“, erklärt Professorin Ullmann. Doch Juden seien nicht nur Objekte konkurrierender Herrschaftsansprüche gewesen, sondern hätten ihre eigene Migration selbst beeinflusst und zum Teil Vertreibungsversuche abgewehrt. Wie sie dabei agierten und sich in diesen kleinteiligen Herrschaftsverhältnissen bewegten, will das Projekt am Beispiel fränkischer Gebiete untersuchen.

Aus einer Fülle an Informationen zu Einzelpersonen, die sich etwa in Gerichtsprotokollen, Lehenbriefbüchern oder Ratsprotokollen finden, arbeiten die Beteiligten an einer Datenbank, mit der sich dann gemeinsame Muster der Akteure als Personenkreis identifizieren lassen. Die entsprechenden Quellen finden sich unter anderem in Staats- und Stadtarchiven in Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen und Österreich. Bislang sind bereits über 7000 Personen in der Datenbank erfasst, für die das Team mit der Akademie der Wissenschaften in Mainz kooperiert.

Die Durchmischung von religiösen Räumen ist typisch für die damaligen fränkischen Herrschaftsgebiete: Die nördlich und östlich angrenzenden Gebiete der sächsischen Herzogtümer waren überwiegend protestantisch, im Süden und Osten dagegen waren die Territorien katholisch dominiert. „Hier gilt es zu untersuchen, inwiefern die ständigen Interaktionen von Vertretern unterschiedlicher Herrschaften und verschiedener Religionsgruppen die Lebensformen und Praktiken der jüdischen Minderheit beeinflussten – und wie Juden dabei auch selbst Territorien mitprägten“, so Ullmann. Denn ein Territorium sei nicht als abstrakte Norm gegeben gewesen, sondern erst durch soziale bzw. politische Praktiken in einem Prozess entstanden. Die räumliche Zuordnung von Herrschaftsansprüchen, die sich zum Teil überschnitten hätten, sei „ausgefranst“ gewesen.

Eines der Untersuchungsgebiete bildet die fränkische Stadt Fürth, die damals im süddeutschen Raum die bedeutendste jüdische Siedlungsstätte war. Um das Jahr 1750 waren ca. 500 jüdische Familien am damaligen Marktflecken ansässig, an deren Spitze eine reiche jüdische Oberschicht stand. Die Fürther Juden konnten dementsprechend auch eine starke gemeinderechtliche Position erringen: Sie partizipierten nicht nur an gemeindlichen Besitzungen (Allmenden), sondern konnten auch zwei Deputierte in die Gemeindeversammlung entsenden. Trotz dieser herausgehobenen Stellung fehlt bislang eine moderne sozialgeschichtliche Untersuchung zu Fürth, die nun die Doktorandin Franziska Strobel zum Ziel hat. Sie erklärt: „Fürth selbst spiegelt exemplarisch die Vielschichtigkeit obrigkeitlicher Verhältnisse wider, mit denen Juden sich auseinandersetzen mussten: Die Reichsstadt Nürnberg, die Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach sowie die Dompropstei Bamberg übten dort Herrschaft aus.“ Welchen Einfluss hatte die fraktale Staatlichkeit des Kondominats Fürth auf Ansiedlung und Lebensbedingungen der Fürther Juden? Wie und in welcher Weise beeinflusste diese die Interaktionen zwischen den beiden Religionsgruppen?

Erforscht wird im Rahmen des Projektes außerdem die jüdische Gemeinde der Herrschaft Mitwitz im fränkisch-thüringischen Raum. Dieser Ort bestand zwar aus einem größtenteils evangelischen Untertanenverband, die adelige Herrschaft war jedoch um 1700 wieder katholisch geworden. Neben dieser besonderen konfessionellen Konstellation machen Netzwerke der Juden über die Region hinaus die Forschung lohnenswert: „Die kleinräumige Herrschaft Mitwitz bot für die dort ansässigen Juden als Kaufleute und Viehhändler keine ausreichende Erwerbsgrundlage, weshalb geschäftliche Verbindungen in die benachbarten Territorien notwendig und alltäglich waren. Der Aktionsradius der jüdischen Kaufleute erstreckte sich von Meiningen und Coburg nach Bamberg und Würzburg und umfasste dabei eine Reihe politischer wie religiöser Herrschaftsräume“, schildert Doktorand Christian Porzelt. Dabei sei unter anderem zu klären, wie diese Netzwerke zustande gekommen seien und wie sie die Regionen geprägt hätten.

Ein drittes Teilprojekt untersucht, wie der Judenschutz in Franken vom Deutschen Orden praktiziert wurde. Dessen Ordensgebiet im süddeutschen Raum war ebenfalls verteilt auf viele Exklaven mit unterschiedlicher Souveränität Auch die Ballei Franken des Ordens war somit – wie die anderen beiden Untersuchungsgebiete – von Kleinteiligkeit und überlappenden Herrschaftsstrukturen geprägt. Doktorand Maximilian Grimm will dabei unter anderem die obrigkeitlichen Entscheidungsstrukturen, die vielfach durch Aushandlungsprozesse zwischen Schutzjuden und Amtleuten geprägt waren, untersuchen. Erstmals soll so die Judenpolitik eines Herrschaftsgebietes unter dem Fokus der administrativen Verfahren rekonstruiert werden, die rund um die Gewährung von Judenschutz abliefen: Wie organisierte eine geistliche Herrschaft unter den infrastrukturellen Bedingungen der Frühen Neuzeit die Gewährung von befristeten Aufenthaltsgenehmigungen? Auch in diesem Projekt spielen die Netzwerke, die dabei im Hintergrund wirkten, eine entscheidende Rolle.

Weitere Informationen zur Forschung an der Professur für Vergleichende Landesgeschichte und Geschichte der Frühen Neuzeit.