Leitet Pilgern eine Renaissance des Tourismus ein?

Prof. Dr. Harald Pechlaner und Natalie Olbrich (Lehrstuhl Tourismus / Zentrum für Entrepreneurship) haben vom 22.-23. November die Fachtagung „Gehen, Suchen, Innehalten … - Wandern und Spiritualität“ in Bensberg besucht. In Kooperation zwischen der Akademie des Versicherers im Raum der Kirchen, dem DJK-Sportverband, der Katholischen Arbeitsgemeinschaft Freizeit und Tourismus (KAFT) der Deutschen Bischofskonferenz, dem Deutschen Wanderverband und der Thomas-Morus-Akademie Bensberg wurde zu einem Fachaustausch eingeladen.

Zu Beginn der Fachtagung wurden die Gemeinsamkeiten und Abgrenzungen von Wandern und Pilgern thematisiert. Das Wandern wurde mit nach innen gerichteten Motiven und das Pilgern als eine Wiederentdeckung von alten Motiven, Entbehrung und Erkundung beschrieben. Nach einigen Praxis-Einblicken wie z.B. in Seelenorte im Sauerland oder Sinnstifterorte in Bayern diskutierte Dr. Heiser (Institut für Soziologie, FernUniversität in Hagen) verschiedene Pilger-Typen: Bilanzierer (Suche nach Stille, Buße und Vermächtnis), Krise (Suche nach Trost und Befreiung), Auszeit (Suche nach Gemeinschaft und Entschleunigung), Neustart (Suche nach Konstruktion, Manifestation und Demonstration) und Übergang (Suche nach Inspiration, Prüfung und Präsentation). Er betonte, dass religiöse Aspekte bei seinen Untersuchungen eine eher untergeordnete Rolle gespielt haben. Dennoch erfahren Pilger die Religion auf dem Jakobsweg, indem sie bspw. Gottesdienste besuchen, die körperlichen Anstrengungen und Schmerzen als Buße verstehen oder sich auf den „Camino de Santiago“ berufen fühlen. Prof. Widl (Homiletik und Religionspädagogik, Universität Erfurt) verdeutlichte in ihren Überlegungen, dass das Pilgern auf dem Jakobsweg eine Reduktion aus das Wesentliche ist. Pilger verfolgen einen Sinn und suchen nach Spiritualität. Diese Aspekte kann die Kirche vermitteln und den Suchenden letztlich dabei helfen, die Suche und den Prozess aktiv zu begleiten.

Prof. Pechlaner und Fr. Olbrich haben in ihrem Vortrag „Zu den Motiven der (spirituellen) Wanderer - Empirische und qualitative Studien auf dem Jakobsweg“ erste Ergebnisse des Geländeseminars „Wege und Routen als resiliente Destinationen am Beispiel des Camino de Santiago“ präsentiert. Zusammen mit Studierenden des Masterprogramms „Tourismus und nachhaltige Regionalentwicklung - Management und Geographie“ war der Lehrstuhl Tourismus Mitte September auf dem Jakobsweg unterwegs und hat das Forschungsvorhaben „Shaping Resilient Destination using the Example of the Way of St. James - Opportunities of Paths and Routes throughout Pilgrimage for Young People in Post Covid19 Times“ bearbeitet. Im Rahmen der qualitativen Forschung konnte festgestellt werden, dass nicht nur die vielfältige Natur, sondern auch die vielen historischen und religiösen Stätten und die regionalen und kulturellen Besonderheiten den „Camino de Santiago“ zu einem einzigartigen touristischen Produkt machen. Das Phänomen der „camino families“, das ein loses Gruppengefüge von Einzelpersonen beschreibt, und das Zusammentreffen verschiedener Generationen können als Ansätze für soziale Nachhaltigkeit (Resilienz) interpretiert werden. Zudem zeigen die Ergebnisse auf, dass sich der Begriff des Pilgerns bei jungen Menschen zu einer breiteren Bedeutung entwickelt. Motive wie z.B. Selbstreflexion und körperliche Herausforderung werden dabei primär verfolgt. Junge Menschen verbinden mit dem Jakobsweg und dem Pilgern eine Art Demut: Das einfache Leben stört nicht und der Verzicht auf Luxus fällt leicht. Letztendlich konnte festgestellt werden, dass der Weg wichtiger als das Ziel wird. Insbesondere der „Camino de Santiago“ steht als Symbol für ein Nachdenken und der Beginn von großen Veränderungen, die den Tourismus und praktisch alle anderen Lebensbereiche erfassen werden. Transformativer, regenerativer, verantwortungsbewusster, slow, degrowth oder restaurativer Tourismus sind Konzepte, welche den Weg für eine Wende im Tourismus bereiten. Das Pilgern kann ein Aspekt davon sein.

Impressionen der Masterstudierenden zum Geländeseminar:

Hiking for a longer time can be very varied. Sometimes you have a companion to walk with and sometimes you are alone with your thoughts and perception of the landscape.”

Sometimes it is hard, but I think the room let all the thoughts go through my brain are necessary and is what a pilgrimage is all about, proceeding with whatever happened.”

Camino is not a normal vacation.”

Schlussendlich wird das Pilgern auf dem „Camino de Santiago“ als Chance gesehen, um Mut für die großen Krisen zu finden. Das Pilgern ist zunehmend ein Suchen nach Orientierung in schwierigen Zeiten, zumal uns viele unterschiedliche Krisen beschäftigen. Die Atmosphäre der Natur kann dabei der Resonanz- und Begeisterungsraum sein, den die Pilger suchen. Dieser Raum muss sowohl vom Tourismus als von den anderen Akteuren wie z.B. der Kirche in gemeinsamen Projekten geschützt werden. Allerdings müssen die Allianzen zwischen Tourismus und Kirche weiter vertieft werden - der Dialog sollte jedenfalls fortgesetzt werden.