Stirbt der Tourismus im ländlichen Speckgürtel der Metropolen?

Die Entwicklungen und Krisen der vergangenen Jahre und ihre Auswirkungen auf das Verhältnis von Stadt und Land standen im Mittelpunkt der 33. Eichstätter Tourismusgespräche der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU), die am 22. Juni 2022 im Landratsamt Eichstätt stattfanden. Im ländlich geprägten Umland großer Städte und Metropolen kommt es zunehmend zu Konflikten zwischen Urlaubs- und Lebenswelt, also zwischen Tourismus- und Lebensweltentwicklung. Gastgeber Prof. Dr. Harald Pechlaner, Inhaber des Lehrstuhls Tourismus, kooperierte traditionsgemäß für das in 2022 umgesetzte hybride Format mit dem Tourismusverband Naturpark Altmühltal.

Diese provokante Frage ergibt sich aus einer Vielzahl an Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, vor allem aber der letzten Jahre. Viele, die es sich leisten können, ziehen aufs Land, egal ob Manager oder Rentner. Dies führt vielfach zu Knappheit bei Grund und Boden sowie zu hohen Immobilienpreisen. Demographische und (medizin-)technologische Entwicklungen zeichnen eine alternde, aber gesunde Bevölkerung, die ihre eigenen Vorstellungen von Freizeiträumen hat. Weiter betrachten die Manager und Mitarbeitenden der großen und kleineren Unternehmen, vielfach „hidden champions“ im sogenannten Speckgürtel der Metropolen, die ländlichen Gebiete ringsum als Wohnraum und Ruheoase zugleich, was schon per se mögliche Konflikte erahnen lässt. Wenn dann spätestens am Wochenende die Städter das zumeist attraktive Umland aufsuchen und vielfältigen Nacherholungs-Erlebnissen frönen, entbrennt der Konflikt. Einerseits die Einwohner, die häufig auch gar nicht ursprünglich aus der Region sind, jedoch ihren Wohnraum mit persönlichem Erholungsraum gleichsetzen, andererseits die Besucher, die zeitlich befristet die Freizeit- und Mobilitäts-Infrastruktur nutzen und – weil zeitlich befristet – auch übernutzen. Wenn dann auch noch Investoren beispielsweise ein Hotelprojekt ins Spiel bringen oder bestehende touristische Infrastrukturen, wie Gastronomie- und Beherbergungsbetriebe oder Attraktionspunkte, aufgewertet und erweitert oder erneuert werden sollen, bricht ein (medialer) Sturm der Entrüstung aus, werden fleißig Unterschriften gesammelt und Bürgerkomitees gegründet. Dies alles hat zur Folge, dass der Tourismus als Wirtschafts-, Gesellschafts- und Kulturfaktor an Boden verliert und es zunehmend schwieriger wird, touristische Projekte umzusetzen. Paradoxerweise ist es der wertschöpfungsgeringe Naherholungs- und Tagestourismus, der dem wertschöpfungsstarken Nächtigungstourismus den Garaus macht oder ihn zumindest erschwert. Die Covid-19-Pandemie lehrt für den Tourismus zumindest in kurzfristiger Perspektive, dass die Menschen weniger ins Ausland reisen, und stattdessen bevorzugt im eigenen Land ihren Urlaub verbringen, und sie lehrt ein exponentiell gewachsenes Interesse breiter Bevölkerungskreise an Urlaub im ländlichen Raum. Und so kommen neben den Tagesbesuchern zunehmend Menschen aus weiter entfernten Quellregionen in die attraktiven ländlichen Räume, und verschärfen die Situation noch mehr. Obendrein bemühen sich die Metropolen und Städte, die Pandemie-bedingten Verluste durch attraktive Angebote wieder wettzumachen.

Für das Destinations-Management hat dies alles enorme Auswirkungen. Die Legitimation und Akzeptanz des Tourismus in an und für sich attraktiven ländlichen Räumen nimmt ab, die Konflikte der touristischen Nutzung entlang der Schnittstelle von ländlichem und städtischem Raum werden schwieriger, und Projekte der (Weiter-)Entwicklung des Tourismus werden damit beinahe unmöglich gemacht. Selbst Kleinprojekte umzusetzen bedeutet vielfach, unentwegt Missverständnisse auszuräumen, Neiddebatten zu vermeiden und Egoismen zu kanalisieren. Das Tourismusmanagement gerät zwischen die Fronten einer gesellschaftlichen Entwicklung, die zunehmend Sensibilität und Gefühl vermissen lässt, und den Ton rauher werden lässt. Touristische Unternehmen und ihre Eigentümer stehen vielfach vor der Frage, ob weiter investieren oder aus dem Markt scheiden; das traditionelle Wirtshaus verschwindet, auch weil die gesellschaftliche Funktion eines touristischen Angebotes immer weniger erkannt wird, und last but not least finden sich immer weniger Menschen, die Begeisterung und Leidenschaft für einen Beruf im Tourismus- und Gastgewerbe erkennen lassen, was wiederum den bestehenden Betrieben zusetzt und die Qualität der Dienstleistung mindert. Wenn Destinationsmanager einen guten Teil ihrer Zeit anstelle von Produktentwicklung und Marketing in die gefühlt nicht mehr enden wollende Überzeugungsarbeit für kleinere und größere touristische Projekte investieren müssen, wenn das Projektmanagement der DMO damit quasi zu einem Spießrutenlauf wird, der obendrein viel zu lange dauert, um wettbewerbsfähig zu bleiben, dann wird auch dieses Berufsfeld weniger begehrlich, weil man als Experte dann schnell hilflos politischen Prozessen ausgeliefert ist. Und schlussendlich engagiert sich die Politik dann auch immer weniger für den Tourismus und überlässt die wichtigen Entscheidungen und Weichenstellungen für oder gegen eine touristische Entwicklung allein den Bürgerinnen und Bürgern, die sich in Bürgerentscheiden (vielfach ohne vorangehende partizipative Bürgerbeteiligungsprozesse), ohne ein objektives Bild von den Vor- und Nachteilen zu bekommen, entsprechend äußern.

Diese zunehmend mangelnde Bedeutung des Tourismus für Wirtschaft und Gesellschaft führt zu folgender zentraler Frage: Stirbt der Tourismus im ländlichen Speckgürtel der Metropolen? Und dies führt weiter zu folgenden Fragen:

  • Wie gelingt es, touristische Projekte im regionalen ländlichen Raum zu verankern?
  • Wie gelingt es, die Akzeptanz und das Bewusstsein für Tourismus zu steigern?
  • Wie gelingt es, die Erlebniswelt der Gäste mit der Lebenswelt der Einwohner zu verbinden und/oder zu versöhnen?
  • Wie gelingt es, die gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung des Tourismus zu einem Teil der räumlichen Entwicklung zu machen?
  • Wie gelingt es, dem Trend nach Urlaub im ländlichen Raum ein attraktives und nachhaltiges Angebot entgegenzustellen?
  • Und wie gelingt schlussendlich die intelligente Verknüpfung von Wertschöpfung und Wertschätzung?