Es sind die kleinen Kommunen, die unter besonders großem Druck stehen und das birgt Risiken für die gesamte Gesellschaft. Das ist eine zentrale Botschaft der Tagung „Kommunalfinanzen in der multiplen Krise“, die vom 26. bis zum 28. März im oberfränkischen Nordhalben stattfand. Organisiert wurde der Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis von der Arbeitsgruppe Wirtschaftsgeographie der KU. Dort forschen Dr. Andreas Kallert und Dr. Simon Dudek seit 2022 im Rahmen eines DFG-Projekts über die Ausgestaltung von Schuldenhilfen für finanzschwache Kommunen.
Die Wahl des Veranstaltungsortes war kein Zufall: Nordhalben mit seinen rund 1600 Einwohnern nahe der thüringischen Grenze steht beispielhaft für viele kleinere Kommunen im ländlichen Raum. Durch Stabilisierungshilfen des Freistaats Bayern konnte Nordhalben seine Pro-Kopf-Verschuldung von 2013 bis 2022 um mehr als 67 Prozent senken, doch eine wirtschaftliche Trendwende blieb aus. Viele Häuser stehen leer, die meisten Betriebe sind geschlossen. Nordhalben leidet unter einer Wechselwirkung von leeren Kassen, der Abwanderung junger Menschen und dem Abbau von Infrastruktur, die Experten als Peripherisierung bezeichnen. Gemeint ist die fortschreitende Schwächung des Standorts, was auch die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Land gefährdet.
Diese Krise vieler ländlicher Kommunen stand im Zentrum der Tagung im „Nordwald Space“ mit rund 35 Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Lokalpolitik und Zivilgesellschaft. „Unsere Ziele waren ein inter- und transdisziplinärer Austausch und eine Vernetzung der Akteure – beides hat gut funktioniert“, resümiert Wirtschaftsgeograph Andreas Kallert. Der Bürgermeister von Nordhalben, Michael Pöhnlein, betonte in seinem Grußwort die Notwendigkeit eines solchen direkten Dialogs zwischen Wissenschaft und Praxis. In einer Kurzexkursion führte er die Tagungsteilnehmer durch seinen Ort, um die Folgen der aktuellen Finanz- und Wirtschaftsschwäche aufzuzeigen. Höhepunkt war der Vortrag des Wirtschaftsweisen Prof. Dr. Achim Truger, der die strukturellen Probleme der kommunalen Finanzierung analysierte. In der anschließenden Podiumsdiskussion mit dem Direktor des Bayerischen Gemeindetags, Hans-Peter Mayer, Prof. Dr. Kathrin Großmann (FH Erfurt) und Prof. Dr. Barbara Schönig (Universität Weimar) wurden zentrale Fragen der Finanzverteilung thematisiert. „Wichtig war uns, dass wir solche Diskussionen einmal nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg führen, sondern mit ihnen und direkt vor Ort“, sagt Simon Dudek von der KU.
Diskutiert wurde unter anderem der Einfluss staatlicher Konsolidierungshilfen. Diese sind an konkrete Auflagen und Sparmaßnahmen gebunden, was zwar den Schuldenberg schmelzen lässt, den betroffenen Kommunen aber nicht zu neuer Blüte verhilft. Kallert sagt klar: „Die Schuldenhilfen mit ihren restriktiven Auflagen behindern die Weiterentwicklung der Kommunen.“ Beispielsweise sei eine Kreditaufnahme für Projekte jenseits der Pflichtausgaben kaum möglich – auch wenn sie wirtschaftlich sinnvoll seien, wie die Beteiligung an einem Windpark. Gespart werde notgedrungen im Bereich der freiwilligen Aufgaben, etwa bei Jugendarbeit und Kultur. „Das wird vielfach kompensiert durch ehrenamtliches Engagement“, erklärt Simon Dudek. „Auch Nordhalben zeichnet sich durch eine sehr aktive Zivilgesellschaft aus. Doch gleichzeitig ist erkennbar, dass mit der Zeit der Frust wächst, wenn immer weiter gespart werden muss.“
Die Diskussion machte deutlich, dass kleine ländliche Gemeinden mit steigenden Aufgaben und restriktiven Förderbedingungen kämpfen, während finanzstarke Städte wachsen. Durch seine starke Gewerbesteuerabhängigkeit benachteilige das Gemeindefinanzsystem in Deutschland strukturell kleinere Kommunen mit wenigen Betrieben. Ein weiterer Faktor, der die Finanzverteilung zu Ungunsten kleinerer Kommunen verzerrt, ist die sogenannte Einwohnerveredelung, wie Andreas Kallert erläutert: „In vielen kommunalen Finanzausgleichsystemen bekommen größere Städte pro Einwohner mehr Geld, weil man sagt, sie haben mehr zentrale Leistungen etwa für Kultur oder Bildung zu tragen. Das stimmt zwar, doch gleichzeitig haben kleinere Kommunen eben spezifische Mehrausgaben für ihre Infrastrukturen in den dünn besiedelten Räumen.“ Befristete Förderprogramme seien keine Lösung zur Überbrückung dieser Diskrepanzen, ergänzt Simon Dudek: „Der personelle Aufwand und der Eigenanteil stellen für kleinere Kommunen große Hürden dar.“
Unter den Tagungsteilnehmenden bestand Einigkeit darüber, dass strukturelle Reformen dringend notwendig sind, um neue finanzielle Spielräume zu schaffen und Kommunen nachhaltig zu stärken. „Man muss den Kuchen für eine gerechte Verteilung nicht nur größer machen, sondern vor allem das, was neu hinzukommt, disproportional zugunsten der schwachen Kommunen verteilen“, konstatiert Andreas Kallert. Lobbyismus und politische Interessenkonflikte erschwerten eine derartige Reform, obwohl die Konsequenzen bereits spürbar seien. „Das Vernachlässigen ganzer Regionen führt zu einer Überlastung von Lokalpolitik und Ehrenamt, zu gesellschaftlichen Spannungen, politischer Unzufriedenheit und einem zunehmenden Rechtsruck.“
Mit ihrer Arbeit wollen Kallert und Dudek auf diese folgenschwere Problematik im Bereich der Kommunalfinanzen aufmerksam machen. „Die Tagung hat gezeigt, wie wertvoll der Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis ist und dass dieser dringend fortgesetzt werden muss“, sagt Dudek.