Der Ecocriticism ist eine Strömung, die sich innerhalb der Literatur- und Kulturtheorie herausgebildet hat und der mit ihrer „dezidiert interdisziplinären und kulturwissenschaftlichen Ausrichtung eine besondere Vermittlungs- und Vernetzungsfunktion“ (Schmitt / Solte-Gresser 2017, 13) zukommt. Ihr Fokus liegt insbesondere auf der Untersuchung und Thematisierung vom Verhältnis des Menschen und der (natürlichen) Umwelt in der Literatur, wobei das Offenlegen des Anthropozentrismus unserer Gesellschaft in den analysierten Texten zum Leitgedanken des Ecocriticism zählt (vgl. Edl 2013, 17) – was sich besonders in den Animal und Plant Studies als eigene Forschungsschwerpunkte ausdifferenziert hat. Der Ecocriticism trägt dazu bei, die Geschichte des Naturbegriffs, dessen Metaphorisierungen, Funktionen von Naturkonstrukten und deren Auswirkungen auf unseren Körper und unsere Umwelt zu überdenken (vgl. Gersdorf / Mayer 2005, 10–12). Die Bestimmungen des ökokritischen Gegenstandbereichs divergieren, wobei dem Umweltbezug und der kritischen Auslotung des Verhältnisses von Natur und Kultur definitionsübergreifend große Bedeutung zukommen.
Der angloamerikanische Ecocriticism hat sich zunächst vor allem der romantischen Naturdichtung, dem Nature Writing und dem Western gewidmet, bald ergänzt durch die Science Fiction. Die literarische Auseinandersetzung mit der Umweltkrise bringt seit den 1990er Jahren eine Vielzahl neuer Gattungen hervor (vgl. Dürbeck 2015, 245), etwa „Climate Fiction“, ebenso „Ökocomics oder Ökothriller“, die klassischen Gattungsgrenzen lösen sich sukzessive auf, während „Genrekonventionen und Schreibmodi miteinander kombiniert“ (Zemanek 2018, 25) und „für ökologische Diskurse [ge]öffnet“ werden (ebd.). Etablierte Schreibmodi werden ebenso wie tradierte im Horizont des Anthropozäns (neu) betrachtet. Dabei liegt der Auseinandersetzung die Annahme zugrunde, dass Literatur aufgrund ihrer spezifischen Machart und dem daraus abgeleiteten (Erkenntnis-)Potenzial ein besonderer Platz im ökokritischen Diskurs eingeräumt werden muss. Damit besitzt der Ecocriticism auch einen dezidiert politischen Impetus und adressiert neben dem diagnostischen auch das transformative Potenzial der Literatur(wissenschaft).
Exemplarische wissenschaftliche Beiträge mit ökokritischem Lektüreansatz:
Annika Hammer und Friederike Reents „Kontaminierte Speicher. Sondagen in literarische Moore der Gegenwart“. In: Ressource, Phobotop, Reservoir. Ansätze zu einer Kulturpoetik des Moores, hrsg. von Joana van de Löcht und Niels Penke. Berlin/Boston: de Gruyter 2023, S. 219-236. www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783110786743-011/html
Dies.: „Scheinbar nebensächlich: Zum widerständigen Potenzial von Ruderalliteratur.“ In: Blütenlesen. Poetiken des Vegetabilen in der Gegenwartslyrik, hrsg. von Yvonne Al-Taie und Evelyn Dueck (Kontemporär. Schriften zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur), Stuttgart: Metzler 2023.
Friederike Reents: „ ‚da draußen weiter horrorvideo‘. Über die Idylle in der neuen Naturlyrik am Beispiel von Thomas Kling“. In: Natur in Transition: Europäische Naturlyrik nach 1945, hrsg. von Amelia Valtolina u. Michael Braun, IZfK 4 (2021), 127-144; DOI: 10.25353/ubtr-izfk-39bd-f507.
Einen ausführlicheren Überblick zum Forschungsfeld des Ecocriticism und assoziierter Themenkomplexe finden Sie im Handbuch Umwelt interdisziplinär Grundlagen – Konzepte – Handlungsfelder, hrsg. von Thomas Meier, Frank Keppler, Ute Mager, Ulrich Platt und Friederike Reents. Erscheint 2024 bei heiUp, Preprints sukzessive auf https://www.hce.uni-heidelberg.de/de/newsroom/umwelt-interdisziplinaer-erste-preprints-online.
Zum Anthropozän:
Friederike Reents: „Anthropozän“ (zus. mit Oliver Schlaudt, Olaf Bubenzer, Hans Gebhardt, Frank Keppler und Jacqueline Lorenzen). In: Umwelt interdisziplinär. Grundlagen – Konzepte – Handlungsfelder, hrsg zus. mit. Thomas Meier, Frank Keppler, Ute Mager und Ulrich Platt. Heidelberg: HeiUp 2022 (online erschienen).
Friederike Reents: „Kippen, Sich Einrichten und Deuten. Geokritische Poetiken des Anthropozän in interdisziplinärer Lesart“ (zus. mit Ulrike Gerhard u. André Butz). In: Anthropozäne Literatur, hrsg. von Gabriele Dürbeck et al. (Stuttgart Metzler 2022), S. 65-86.
Im Bereich dieses Forschungsfeldes wurden bzw. werden zur Zeit folgende Lehrveranstaltungen angeboten: Körper(um)Welten (interdisziplinäres Seminar, WiSe 21/22), zus. mit Karen Nolte (Medizingeschichte), Tanja Granzow (Ethnologie); Un(Kraut) (Seminar, SoSe 22); Rethinking Environment (interdisziplinäres Seminar, SoSe 22), zus. mit Sanam Vardag (Umweltphysik) und Jacqueline Lorenzen (Umweltrecht)Ökologische Genres (Seminar, WiSe 22/23); (Subtile) Störungen in der Lyrik nach 1945 (Seminar, SoSe 23); Nachhaltige Stadt der Zukunft – in Fiktion, Gesetz und Planung (interdisziplinäres Seminar, SoSe 23), zus. mit Ulrike Gerhard (Stadtgeographie), Jacqueline Lorenzen (Umweltrecht); Alles fließt (interdisziplinäres Seminar, SoSe 24), zus. mit Joost van Loon (Soziologie), Kerstin Schlögl-Flierl (Moraltheologie)