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„Seuchen galten als eine Strafe Gottes“

Ob Epidemien schon im Altertum ein Thema waren und wie unterschiedliche Kulturen damit umgegangen sind, darüber spricht Jun.-Prof. Dr. Nadin Burkhardt (Professur für Klassische Archäologie an der KU) im Rahmen des gemeinsamen Corona-Forums von Donaukurier und KU.

Frau Burkhardt, gab es in der griechisch-römischen Antike bereits Infektionskrankheiten wie die Corona-Pandemie?

Nadin Burkhardt: Ja, auch in der Antike wurden die Menschen von Epidemien geplagt. Seit ungefähr 4800 Jahren gibt es epidemische Krankheiten, seit Menschen miteinander oder mit Tieren enger zusammenleben. So waren die Ägypter etwa in der Pharaonenzeit Ramses‘ II. von Pocken geplagt. Den Griechen ging es nicht anders. Die berühmte „Ilias“ von Homer, dem bekannten griechischen Dichter, beginnt mit der Schilderung der Pest. Auch im römischen Reich brach wiederholt die Pest aus, besonders schlimm wütete zur Zeit des Kaisers Justinian die Beulenpest. Die Byzantiner nannten Krankheiten wie Typhus und Ruhr auch „Thanatiká“, was die „Todbringenden“ bedeutet.

Woher weiß man, dass solche Krankheiten auch in der Antike vorkamen?

Burkhardt: Archäologisch etwa durch Grab- und Knochenfunde, durch Veränderungen im Siedlungsgefüge oder im Stadtbild, auch durch Inschriften. Allerdings hinterlassen Infektionskrankheiten kaum Spuren in Knochen und Zähnen. Für Paläopathologen, die Knochenfunde untersuchen, ist eine sichere Bestimmung daher schwierig. Für die Bewohner einer römischen Villa im spätantiken Italien konnte beispielsweise Malaria als Todesursache festgestellt werden. Die Hauptquellen zu den antiken Seuchen sind aber Schriftzeugnisse, Beschreibungen und Berichte. 

Warum interessieren Sie sich als Archäologin für Epidemien?

Burkhardt: In meiner Forschung beschäftige ich mich mit der antiken Bestattungskultur sowie mit der Entwicklung von Städten, beides Bereiche, auf die Epidemien einen starken Einfluss haben. Epidemien prägen – wie auch Vulkanausbrüche oder Überschwemmungen – das Leben der Menschen. Verheerende Seuchen konnten ganze Landstriche veröden oder Migrationszüge auslösen. Die dezimierte Stadtbevölkerung musste dann etwa den Stadtraum neu anpassen. Außerdem beeinflussen die Auswirkungen Rituale wie die strengen Bestattungsvorschriften.

Wussten die Menschen denn, wie die Krankheiten übertragen wurden?

Burkhardt: Ärzte wie Hippokrates von Kos hatten erkannt, dass gerade diejenigen von Ansteckung gefährdet waren, die einen direkten Umgang mit den Kranken hatten. Andere Ärzte wie Galen machten in römischer Zeit eher verseuchte Luft dafür verantwortlich, etwa durch Wetterveränderung oder giftige Dämpfe. Die Übertragung wurde also dem Element „Luft“ zugeschrieben, nicht der Berührung. Laien sprachen dagegen durchaus von Krankheitsübertragung durch „Contagio“, also durch Ansteckung, meinten damit aber die Befleckung in einem eher religiösen Sinne, denn Kranke galten als unrein. 

Wie zeichnen sich Epidemien und ihre Folgen in archäologischen Befunden ab? Und wie stellen sie sich in den schriftlichen Überlieferungen dar?

Burkhardt: Archäologisch zeigen sich die Folgen etwa in ausgedehnten Gräberfeldern oder einer dezimierten Bevölkerung, sichtbar in verlassenen Siedlungen und Städten. Konstantinopel hatte im 6. Jahrhundert etwa ein Fünftel seiner Bevölkerung verloren. Bei den antiken Autoren, etwa in den Werken des griechischen Dichters Hesiod aus dem 6. Jahrhundert v. Chr., finden wir sehr reflektierte Beschreibungen. Er verbindet die Seuchen mit Hungersnöten. Der griechische Stratege und Historiker Thukydides überliefert detailliert die Symptome und den Verlauf einer Pest in Athen: starke Hitze, gerötete Augen, entzündeter Rachenraum, Husten, Blasen und Geschwüre auf dem Körper, Mutlosigkeit und Mattigkeit.

Welche Vorstellung hatten die Menschen davon, wie es zum Ausbruch der Krankheit kam?

Burkhardt: Viren und Bakterien waren in der Antike unbekannt. Seuchen galten als eine Strafe Gottes, anders als etwa individuelle Krankheiten. So war es der Gott Apollon, der mit seinen verseuchten Pfeilen die Pest in das Schiffslager der Belagerer von Troja sandte, als Strafe für menschliches Fehlverhalten der Anführer. Aber auch soziale Missstände wurden mit Seuchen in Verbindung gebracht: So berichtet Thukydides, dass in Athen im Jahr 430 v. Chr. die Pest ausbrach, als allzuviele Menschen während einer Belagerung hinter den Stadtmauern zusammengepfercht wurden. Er berichtet auch davon, dass Epidemien abklingen und wieder aufflammen. Die heute vielgefürchtete zweite Welle war also auch in der Antike bekannt.

Was tat man gegen die Epidemien, wie versuchte man die Ausbreitung einzuschränken?

Burkhardt: Es kommt darauf an, was man für die Ursache hielt: Bei Gottestrafen wurde ein Sühneopfer dargebracht und ein ritueller Sündenbock benannt. Mit Ausbreitung des Christentums kommen Litaneien, Gebete und Prozessionen zum Einsatz. Die Rituale mochten nicht gegen die Epidemie helfen, aber sie schufen Gemeinschaft, trösteten und stifteten Sinn. Durch sie konnte man der Hilflosigkeit entkommen. Standen rationale Erwägungen stärker im Vordergrund, wurde die Flucht vorgeschlagen oder empfohlen, bestimmte Gebiete zu meiden. Ärzte sprachen sich für Diäten aus und für reduzierte Luftaufnahme – wegen der Luftverderbnis. Nur wenige Städte verfügten über ausreichende Mittel, um den Betroffenen öffentliche Hilfe anzubieten. Strenge Quarantänen waren nicht durchführbar, allerdings konnte einzelne Infizierte isoliert werden: Im Fall der bakteriellen Infektionskrankheit Lepra wurden ab dem 4. Jahrhundert abgeschlossene Pflegestationen eingerichtet – sogenannte „Leprosorien“.

Das Corona-Virus konnte sich unter anderem durch einen globalen Personen- und Warenverkehr verbreiten. Spielten Reisen für die Verbreitung von Krankheiten auch in der Antike eine Rolle?

Burkhardt: Ja, damals erkannte man die römische Armee als Multiplikator. Truppen wurden von einem Reichsteil in einen anderen versetzt und brachten Krankheiten mit sich. So löste das Heer des Marc Aurel und Lucius Verus, als dieses in den Jahren 165/166 aus Persien kam, eine schwere Epidemie im restlichen Reich aus, weil sie offenbar die Pocken eingeschleppt hatten. Überhaupt wurde der Fortschritt der römischen Kaiserzeit den Menschen zum Verhängnis: Erst die gut ausgebauten Straßen, die günstigen Schiffsverbindungen und die zunehmend dichtbewohnten Städte ermöglichten eine derart schnelle Verbreitung von Krankheiten.

Der technologische Fortschritt hatte also auch damals teilweise weitreichende Folgen?

Burkhardt: Unbedingt. Die römische Kultur brachte neue Kulturformen und Technologien in die eroberten Gebiete. Dazu zählten öffentliche Bäder und Toilettenanlagen. Allerdings wirkten sich die hygienefördernden Maßnahmen nicht immer positiv auf die öffentliche Gesundheit aus. Eine aktuelle archäologische Studie vergleicht Daten über den Parasitenbefall aus verschiedenen Regionen des römischen Reiches mit Daten aus den Zeiten vor der römischen Herrschaft. Daraus lässt sich erkennen, dass sich Parasiten wie Spulwürmer, Peitschenwürmer und Entamöben mit der Expansion des Reiches verbreiteten. Eine mögliche Ursache könnten die Warmwasserbecken der Bäder gewesen sein. Wenn das Wasser nicht oft genug gewechselt wurde, könnte das eine Übertragung der Parasiten begünstigt haben, trotz aller Körperhygiene. Daher haben die sanitären Anlagen der Römer die Bevölkerung in den Provinzen wahrscheinlich nicht gesünder gemacht – aber möglicherweise haben die Menschen dadurch besser gerochen.

Das Gespräch führte Thomas Metten.

Nadin Burkhardt ist seit 2017 Juniorprofessorin für Klassische Archäologie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. In ihrer Forschung arbeitet sie unter anderem zu Siedlungs- und Stadtentwicklung in der Spätantike, zu italischen Kulturen oder auch zu Bestattungsriten.