Vom "neurotischen" Glauben an gute Lösungen - Prof. Dr. Uto Meier im Interview mit katholisch.de über den neuen Master "Coaching und Organisationsberatung"

Lebensberatung und Coaching liegen im Trend, selbst in der Wissenschaft: Die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstatt bietet neuerdings einen Masterstudiengang "Coaching und Organisationsberatung" an. Professor Uto Meier erklärt, was gute Coaches leisten und wofür man trotzdem noch Priester braucht.

Bildung | Eichstätt - 04.03.2017

Frage: Herr Professor Meier, warum bietet die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt den Masterstudiengang Coaching und Organisationsberatung an?

Uto Meier: Wir meinen, dass das Bedürfnis dafür zugenommen hat. Der Rahmen dafür sind veränderte Lebensbedingungen, etwa die Anforderungen zunehmender Arbeitsverdichtung und vielfachen Multitaskings. Das heißt, dass Menschen mehr in der gleichen Zeit arbeiten müssen und zur gleichen Zeit verschiedene Dinge tun sollen. Dazu kommen Einschränkungen durch erhöhte Mobilität und insgesamt ein Gefühl der Verunsicherung in der Spätmoderne. Beruf, Ehe, Politik, alles wankt derzeit potentiell. Im Einzelnen meinen wir, das Coaching ein kluger mittlerer Weg zwischen einer Psychotherapie und einem freundschaftlichen Rat ist, auf dem man Selbstversicherung und Reflexion erfahren kann. Dafür haben wir unsere Kräfte in der Psychologie, Theologie und Wirtschaftswissenschaft gebündelt, um denjenigen, die eine Beraterfunktion ausüben wollen oder sollen, eine souveräne Ausbildung anzubieten.

Frage: Für wen ist der Studiengang denn gedacht?

Meier: Mit dem Studiengang wollen wir das Handwerkszeug für Beratung sowohl im kirchlichen als auch im nicht kirchlichen Kontext vermitteln. Einschreiben können sich aber nicht nur potentielle Führungskräfte aus der Wirtschaft, sondern auch die, die schon beratende Tätigkeiten ausüben, wie Beratungslehrer, Priester, Mitarbeiter der Telefonseelsorge oder eben die Kollegin im Betriebsrat, die der menschliche "Kummerkasten" für den Betrieb ist und die ihre Beratungsarbeit professionalisieren wollen.

Frage: Bei dem Wort Coaching hat man das Bild von Managern im Kopf, die zusammen im Seilgarten klettern gehen. Sind solche aktiven Elemente auch Bestandteil der Ausbildung?

Meier: Ja, natürlich. Das ist kein klassischer Studiengang nur mit Vorlesungen und Textarbeit. Herzstück wird es sein, das Kunsthandwerk befähigender Kommunikation zu erlernen. Dazu gehören natürlich Kenntnisse darüber, was in Beratungsprozessen passiert. So werden unsere Sitzungen aus einem theoretischen Teil bestehen, der anschließend praktisch eingeübt werden soll, um die Studierenden auf die Gesprächsbegleitung vorzubereiten. Und zum Thema Seilgarten: Der ist tatsächlich Bestandteil unseres Programms. So können die Teilnehmer selbst fühlen, was es heißt, neben einem Menschen zu gehen, ihn zu tragen und ihm Nähe zu geben, aber auch die notwendige Distanz zu wahren. Wir glauben, dass diese Dinge erfahrbar sein müssen, um nachhaltig verinnerlicht zu werden.

Frage: Wie verhält es sich denn mit dem religiösen Inhalt des Studienganges?

Meier: Das Religiöse ist ein wesentlicher Bestandteil des Studiengangs, den wir ganz bewusst eingebaut haben. Wir greifen zum Beispiel auf die ignatianischen Exerzitien zurück, die geistliche Übungen zur Beratungs- und Selbsterfahrung sind. Außerdem sind wir überzeugt, dass es viele Schnittmengen zwischen einem weltlichen und einem religiösen Inhalt gibt. Ein Beispiel ist der "nondirective approach" der humanistischen Psychologie von Carl Rogers, der die Einstellung meint, Menschen in Beratungsgesprächen nicht wertend gegenüberzutreten. Diese Einstellung lehren schon die Kirchenväter, nämlich dass ein gutes Gespräch die Wahrheit in einem Menschen zulassen soll. Awareness-Bildung heißt das neudeutsch derzeit in der Beratungsszene. Auf diese Weise wollen wir  auch theologische Spiritualität einfließen lassen. Dazu gehört aber auch das Thema Verantwortung, für das wir die zukünftigen Coaches sensibilisieren wollen, weswegen wir auch Ethik unterrichten und in Fallbeispielen einüben werden.

Frage: Wieviel "katholisch" ist dann in dem Coach drin?

Meier: Ich würde das so sagen: Es gibt weder eine katholische noch eine evangelische Mathematik, sondern nur eine gute Mathematik. Das trifft sicher auch auf den Bereich der Beratung zu. Was der Beratungsprofessionalität zugrunde liegt, sind die Prinzipien der hohen Wertschätzung und des tiefen Respekts vor dem anderen, die sich in allen wesentlichen Beratungstraditionen finden. Wir legen zudem Wert auf die Entwicklung der Dinge zu einem Guten hin und damit auch auf die Abgrenzung zu negativen Prozessen. Mein Negativbeispiel dazu ist, dass auch der Diktator Stalin wahrscheinlich einen Coach hatte. Wir stehen aber in der christlichen Tradition, durch die wir die Verantwortung haben, die Entwicklung zu Heilendem und Menschengemäßem für das Ganze mit zu fördern. Dazu gehört auch eine positive Grundhaltung, denn das Katholische ist sozusagen der "neurotische" Glaube an gute Lösungen und die feste Überzeugung, dass das Ende immer auch "erlöst", wenn man nur stark vertraut, sagen die Gläubigen. Und zu dieser Wertschätzungshaltung kann man Menschen befähigen und sie ermutigen, ihre eigenen Lösungschancen aufzusuchen. Diesen Lebensmut könnte man dann durchaus auch "katholisch" nennen.

Frage: Die Zahl von Coachings- und Lebensberatungsangeboten nimmt seit Jahren zu. Warum ist die Nachfrage so groß?

Meier: Um das zu beantworten, braucht es wohl eine kleine Gesellschaftstheorie. Zum einen sind wir sensibler geworden für Schwierigkeiten. Wir nehmen zum Beispiel Gewalt in einer Partnerschaft oder Mobbing in der Arbeitswelt oder gar Kindesmissbrauch Gott sei Dank nicht mehr hin. Unsere Gesellschaft hat also ein selbstbewussteres und menschengerechtes Konzept von menschlichem Leben entwickelt und fordert dies ein. Und das ist auch gut so. Auf der anderen Seite kennt die Moderne auch das Phänomen der Anspruchsunverschämtheit, um einen Begriff des Schriftstellers Botho Strauß zu verwenden: Jeder will alles jetzt hier sofort. Aber wir haben kein Menschenrecht auf permanente Glückseuphorie, wir müssen lernen, auch mit Unperfektheit zu leben. Diese Anspruchshaltung ist vielleicht das Problem der Spätmoderne: meines Erachtens eine verdrängende Tabuisierung des normalen Lebens, das auch Versagen kennt und Brüche hat. Hier sind Coaches gefragt, die die Schönheit eines Lebens jenseits der Perfektheit sehen lehren und dazu ermutigen müssen. Sie müssen daher auch zuerst die Ressourcen der Klienten sehen, die sie haben, wie auch die Grenzen, die er oder sie akzeptieren lernen muss.

Frage: Warum gehen die Menschen mit Problemen heutzutage zum Coach und nicht wie in früheren Tagen zu ihrem Pfarrer?

Meier: Ich drehe die Frage mal um: Wie wäre es denn, wenn beides zusammenfiele? Die Beichte ist ja eine Einladung, mit sich selbst und mit Gott wieder ins Reine zu kommen. Der Priester soll im Idealfall bei der Wahrnehmungsänderung und dann der Verhaltensänderung helfen und den Neuanfang begleiten, im Selbstkonzept und in der Gottes- und in der Nächstenbeziehung. Deswegen freuen wir uns, wenn auch Priester zu uns zum Studium kommen.

Frage: Was kann denn ein Priester, was ein Coach nicht kann?

Meier: Ein Coach hat nicht die Kompetenz, einem Menschen die Schuld zu erlassen. Er kann nur ermutigen, sich auf den Wachstumsweg zu machen. Die Vergebung der Schuld ist jedoch etwas Spirituelles und nach unserem christlichen Verständnis der wichtige Akt, die Vergebung vor und für Gott zu sprechen. Schuld ist also noch eine andere Kategorie als die Lösung von Knoten und von Selbsttäuschung. Aber das und die Vergebung der Schuld gehört dem Wesen nach zusammen, damit ein Mensch Vergebung annehmen kann und "ge- und erlöst" neu leben lernt: Mit sich, mit seinem Nächsten und mit dem großen Du des Lebens, das über die Selbstverwirklichung hinausgeht.

Von Johanna Heckeley / katholisch.de