Think Tank 2021 "Religiöse Bildung und Konfessionslosigkeit"

Wie sollte Religionsunterricht in Zukunft aussehen? Darüber haben 24 Expertinnen und Experten aus Deutschland und Österreich am 7. und 8. Oktober 2021 an der KU Eichstätt-Ingolstadt diskutiert.

Gruppenfoto Think Tank 2021
© Katja Ossiander Gruppenfoto Think Tank 2021
InitiatiorInnen: Prof. Dr. Mirjam Schambeck sf (ALU Freiburg) und Prof. Dr. Ulrich Kropac (KU Eichstätt-Ingolstadt)
© KU/Katja Ossiander InitiatiorInnen: Prof. Dr. Mirjam Schambeck sf (ALU Freiburg) und Prof. Dr. Ulrich Kropac (KU Eichstätt-Ingolstadt)

Prof. Dr. Ulrich Kropač (KU Eichstätt-Ingolstadt) hatte gemeinsam mit Prof. Dr. Mirjam Schambeck sf (ALU Freiburg) zum fachlichen Austausch nach Eichstätt eingeladen. Der Think Tank stellte sich der Aufgabe, Auswirkungen und Herausforderungen wachsender Konfessionslosigkeit für das Feld der religiösen Bildung im schulischen Kontext zu analysieren und mögliche Zukunftsszenarien zu entwickeln.

Der Anteil der Menschen, die sich in Deutschland keiner Konfession bzw. Religion zurechnen, ist in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen. Während aktuell der Unterschied im Ost-/Westvergleich noch deutlich auszumachen ist, geht der Trend hin zu einer Niveauangleichung mit einem stetigen Anstieg der Konfessionslosigkeit bundesweit. Dadurch gerät der bekenntnisorientierte Religionsunterricht unter Druck, weil einerseits seine Schülerschaft abnimmt und andererseits zugleich deren konfessionelle Bindung schwindet. Dies wirft Fragen auf: Ist der herkömmliche konfessionelle Religionsunterricht auf Dauer zu halten? Wie müsste er sich verändern? Sollte Religion im Alternativfach, dem Ethik- bzw. Philosophieunterricht, stärker berücksichtigt werden - dann aber nur mehr im Sinne einer Religionskunde?

Die Expertenkonferenz setzte sich aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammen, die im Fach Religionspädagogik/Didaktik der Religionslehre oder im Fach Didaktik des Ethik- bzw. Philosophieunterrichts ausgewiesen sind. Das Thema Konfessionslosigkeit wurde aus den Perspektiven der katholischen, evangelischen und islamischen Religionspädagogik reflektiert; auch die unterschiedlichen (nicht-)religiösen Kontexte aus Ost- und Westdeutschland wurden in die Diskussion einbezogen.

Zum Einstieg in den Think Tank wurde zunächst der Problemhorizont eröffnet. Wie ist die aktuelle Situation von konfessionslosen Schülerinnen und Schülern im Religionsunterricht? Prof. Dr. Harald Schwillus (Universität Halle) und Prof. Dr. Dr. Joachim Willems (Universität Oldenburg) referierten dazu aktuelle Zahlen und Fakten im Vergleich von Ost- und Westdeutschland sowie deren Konsequenzen für die religiöse Bildung in der Schule. Beide konnten aufzeigen, dass Konfessionslosigkeit zu einem Brennpunktthema geworden ist, dessen wissenschaftliche Reflexion und Bearbeitung erst in den Anfängen steht. Unterstrichen wurde die Relevanz der Thematik von Prof. Dr. Mirjam Schambeck sf, die anhand exemplarischer Analysen eines von ihr durchgeführten Unterrichtsforschungsprojekts über konfessionslose Schülerinnen und Schüler einen Einblick in die empirische Erforschung über Konfessionslosigkeit im Kontext religiöser Bildung gab.

Die Brisanz des wachsenden Trends von konfessionslosen Schülerinnen und Schülern wirft die Frage auf, welche unterrichtsbezogenen Perspektiven sich daraus für die beiden Schulfächer Religion und Ethik ergeben. Dazu nahmen Akad. Dir. Klaus König (KU Eichstätt-Ingolstadt), Prof. Dr. Georg Wagensommer (EH Freiburg), Prof. Dr. Ulrich Kropač und Prof. Dr. Jan Woppowa (Universität Paderborn) zunächst den Religionsunterricht in den Blick. Sie unterbreiteten verschiedene Vorschläge, wie die Tatsache der Konfessionslosigkeit von Schülerinnen und Schülern im Horizont religiöser Bildung in der Schule berücksichtigt werden kann. Daneben nahmen Dr. Ulrich Vogel (Universität Marburg) und Prof. Dr. René Torkler (KU Eichstätt-Ingolstadt) den Ethikunterricht in den Blick und reflektierten dessen Möglichkeiten, um der Schülerschaft in ihrer veränderten konfessionellen und religiösen Bindung gerecht zu werden. Die Perspektive auf beide Fächer – Religion und Ethik – zeigte deutlich, dass beiden ein breites Feld an potentiellen Gestaltungsmöglichkeiten inhärent ist. Gleichzeitig wurden auch Grenzen aufgrund gesetzlicher Vorgaben, organisationaler Strukturen und inhaltlich offener Fragen markiert.

Neben der Frage nach der inhaltlichen Ausgestaltung des Religionsunterricht (RU) und des Ethikunterrichts (Ethik) im Horizont wachsender Konfessionslosigkeit wurde auch das Problem diskutiert, wie schul- und kirchenpolitisch darauf zu reagieren sei. Dazu reflektierten Dr. Bernadette Schwarz-Boenneke (Erzbischöfliches Generalvikariat Köln) und Dr. Winfried Verburg (Bischöfliches Generalvikariat Osnabrück) Möglichkeiten und Notwendigkeiten aus Sicht von Kirche und Staat. Prof. Dr. Sabine Pemsel-Maier (PH Freiburg) verwies auf die neuen bzw. veränderten Anforderungen an Religionslehrkräfte, die sich aus einer heterogenen konfessionellen oder religiösen Bindung der Schülerinnen und Schüler ergibt.

Einen Höhepunkt der Veranstaltung stellte das Kamingespräch mit Prof. Dr. Detlef Pollack (Universität Münster), einem der führenden Religionssoziologen in Deutschland, dar. Er zeichnete ein differenziertes Bild des Verhältnisses von Religion und Säkularität, indem er die Frage „Was eine säkulare Gesellschaft von den Kirchen (nicht) braucht?“ beleuchtete.

Der zweite Tag des Think Tanks begann mit einer Verhältnisbestimmung von RU und Ethik und der Frage, was beide – im Problemhorizont der Konfessionslosigkeit – voneinander lernen könnten. Dr. Michael Kühnlein (Universität Frankfurt a. M.) und Prof. Dr. Bernd Schröder (Universität Göttingen) offerierten dabei viele Entwicklungschancen, die sich aus einer selbstkritischen Perspektive auf das eigene und einem wertschätzenden Blick auf das jeweils andere Fach ergeben. Prof. Dr. Katrin Bederna (PH Ludwigsburg) unterstrich das Zueinander von Religions- und Ethikunterricht, indem sie Thesen zur Weiterentwicklung beider Fächer zur Diskussion stellte.

Schließlich überlegten die Teilnehmenden Zukunftsperspektiven für den Religions- und Ethikunterricht im Horizont wachsender Konfessionslosigkeit. Dazu setzten Prof. Dr. Wolfgang Weirer (Universität Graz), Prof. Dr. Frank Lütze (Universität Leipzig) und Prof. Dr. Fahimah Ulfat (Universität Tübingen) interessante Impulse, indem sie differenzierte Perspektiven in Bezug auf die Situation in Ost und West sowie auf das religiöse Selbstverständnis von muslimischen Schülerinnen und Schülern in die Diskussion einspielten. Prof. Dr. Matthias Gronover (Universität Tübingen) und Prof. Dr. Jan Woppowa bilanzierten abschließend das Expertenkolloquium und gaben einen Ausblick auf die Notwendigkeit einer weiterführenden Bearbeitung.  

Die Veranstaltung war bewusst als Think Tank konzipiert worden. In kurzen Impulsen und Statements konnten viele Perspektiven einer großen Zahl von Referentinnen und Referenten erörtert werden. Gerahmt wurden die Themenblöcke von wechselnden Moderationen und Diskussionen. Der fachliche Austausch zeigte deutlich, dass die Entkonfessionalisierung für die religiöse Bildung in der Schule ein herausragendes Zukunftsthema ist, das es aufmerksam zu verfolgen und weiter zu erforschen gilt. Die Tagung war die Auftaktveranstaltung für ein Forschungsprojekt der beiden Initiatoren Kropač und Schambeck, das sich der Untersuchung des Feldes in den kommenden Jahren widmen wird.

Dokumente

Impressionen

Beginn des Think Tanks
© KU Beginn des Think Tanks
Prof. Dr. Georg Wagensommer
© KU Prof. Dr. Georg Wagensommer
Prof. Dr. Ulrich Kropac
© KU Prof. Dr. Ulrich Kropac
Diskussionsrunde: Prof. Dr. Jan Woppowa, Prof. Dr. Ulrich Kropac, Akad. Dir. Klaus König und Prof. Dr. Georg Wagensommer (von links nach rechts)
© KU Diskussionsrunde: Prof. Dr. Jan Woppowa, Prof. Dr. Ulrich Kropac, Akad. Dir. Klaus König und Prof. Dr. Georg Wagensommer (von links nach rechts)
Diskussionsrunde: Prof. Dr. Michael Domsgen, Prof. Dr. Sabine Pemsel-Maier und Dr. Winfried Verburg (von links nach rechts)
© KU Diskussionsrunde: Prof. Dr. Michael Domsgen, Prof. Dr. Sabine Pemsel-Maier und Dr. Winfried Verburg (von links nach rechts)
Prof. Dr. Detlef Pollack (rechts) im Kamingespräch
© KU Prof. Dr. Detlef Pollack (rechts) im Kamingespräch
Akad. Dir. Klaus König
© KU Akad. Dir. Klaus König
Prof. Dr. Bernd Schröder
© KU Prof. Dr. Bernd Schröder
Abschluss des Think Tanks
© KU Abschluss des Think Tanks