Bartoszewski auf dem Irrweg?

Das Bild eines bockbeinigen, nationalistischen Eisenfressers, das der SZ-Korrespondent Thomas Urban von W?adys?aw Bartoszewski, dem Beauftragten des polnischen Ministerpräsidenten Tusk für Internationale Fragen, zeichnet, irritiert schon seit geraumer Zeit.

W?adys?aw Bartoszewski genießt in Deutschland hohes Ansehen. 1986 hat er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten und 1995 hielt er die Gedenkrede zum 50. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges vor dem Deutschen Bundestag. Bartoszewski war als junger Mann im deutsch besetzten Polen von September 1940 bis April 1941 im KZ Auschwitz inhaftiert. Nach der Entlassung war er aktiv im 1942 gegründeten „Konrad-?egota-Komitee“, das zahlreiche Juden vor dem nationalsozialistischen Massenmord rettete. Zwischen 1946 und 1954 verbrachte er als Gegner der Kommunisten insgesamt sechs Jahre unter falschen Anschuldigungen in Haft. Der Journalist und Historiker wurde 1963 als einer der ersten überhaupt von der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem mit dem Titel „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet, der für uneigennützige Hilfe für Juden im Holocaust verliehen wird. Als Unterstützer der Solidarno?? wurde er bei Ausrufung des Kriegsrechts in Polen 1981 interniert und nach fünf Monaten aufgrund internationaler Proteste entlassen. Zwischen 1983 und 1989 lehrte er an den bayerischen Universitäten München, Eichstätt (1985/86) und Augsburg und hielt zahlreiche Vorträge. Auf diese Zeit vor allem geht Bartoszewskis Ansehen in Deutschland zurück.

In jüngster Zeit aber gab es zahlreiche kritische Berichte und sogar Negativschlagzeilen über den aktuell als Beauftragten des polnischen Ministerpräsidenten für internationale Beziehung Tätigen wegen seiner Kritik an Erika Steinbach, der Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen und ihres Projektes eines „Zentrums gegen Vertreibungen“. Bundestagspräsident Lammert nahm sogar in einem offenen Brief in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 7. März 2009 Steinbach gegen Bartoszewski in Schutz (nachzulesen unterhttp://www.cdu.de/archiv/2370_25872.htm; Bartoszewskis Antwort findet sich unterhttp://www.kas.de/wf/doc/kas_15967-544-1-30.pdf)

Zu den schärfsten Kritikern Bartoszewskis gehört der Polen-Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“, Thomas Urban. Jürgen Zarusky, Historiker am Institut für Zeitgeschichte in München, der noch als Student Bartoszewski während seiner Münchener Zeit kennengelernt hat, und dem ZIMOS seit langem in vielfältiger Weise verbunden ist, hat Urban in einem Leserbrief widersprochen, den wir hier dokumentieren, weil er einige Fragen grundsätzlicher Bedeutung anspricht:

Leserbrief zu „Eine politische Unanständigkeit“ und zum Kommentar „Bartoszewski auf dem Irrweg“, SZ vom 17. Februar 2009

 Das Bild, das Thomas Urban von W?adys?aw Bartoszewski, dem Beauftragten des polnischen Ministerpräsidenten Tusk für Internationale Fragen, zeichnet, irritiert mich schon seit geraumer Zeit. Den bockbeinigen, nationalistischen Eisenfresser, den Urban vorführt, kenne ich nicht, wohl aber kenne ich W?adys?aw Bartoszewski, und zwar schon seit den frühen 1980er Jahren, als er als Exilant aus Kriegsrechtspolen Gastprofessor an der Münchener Universität war. Ich weiß, dass er schon damals, als es politisch für ihn höchst riskant war, das Gespräch mit Vertretern der deutschen Heimatvertriebenen gesucht hat. Urban erwähnt in seinem Artikel polnische Vorwürfe, wonach Bartoszewski sein Schicksal im deutschbesetzten Polen überdramatisiert haben soll, nennt hierzu aber keine Fakten. Gerade diese machen aber den Unterschied zwischen einer Nachricht und einer (unguten) Nachrede aus. Bartoszewskis Kritik, die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, betreibe Geschichtsrevision, hält Urban für unbegründet, habe Steinbach doch die Vertriebenen als „Opfer der Politik Hitlers“ eingestuft. Wie sie das versteht, hat sie am 5. September 2006 in einem Interview mit dem Deutschlandfunk erklärt: Hitler habe den Wünschen, die Deutschen zu vertreiben, die es in der Tschechoslowakei und Polen schon vor der NS-Herrschaft gegeben habe, die Begründung geliefert. „Hitler hat die Tore aufgestoßen, durch die andere dann gegangen sind, um zu sagen, jetzt ist die Gelegenheit, die packen wir beim Schopfe.“ Welch krudes Geschichtsbild! Als hätten Tschechen und Polen die deutsche Besatzung, den Krieg und den nationalsozialistischen Völkermord geradezu herbeigesehnt, um sich der Deutschen entledigen zu können.

Urban präsentiert die Steinbachsche Redewendung von den „Opfern der Politik Hitlers“ allen Ernstes als ein Versöhnungsangebot und kritisiert, dass Bartoszewski, der als Angehöriger der polnischen Bildungsschicht vom September 1940 bis April 1941 im KZ Auschwitz inhaftiert war und später im Holocaust für die Rettung von Juden aus dem Warschauer Ghetto kämpfte, sich darauf nicht einlässt. Wenn man sich hauptsächlich am Klang der Worte orientiert, kann man natürlich auch Versöhnung und Verhöhnung verwechseln. W?adys?aw Bartoszewski hat hier offenkundig ein bisschen genauer hingehört als Thomas Urban.

Dr. Jürgen Zarusky, Institut für Zeitgeschichte, München

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