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Digitalisierung als struktureller Wandel der Gesellschaft. Zwischen Reduktion und Transformation

Ein Bericht zur philosophisch-theologischen Nachwuchstagung von Dr. Tobias Holischka

Digitalisierung ist in aller Munde. Sie beschreibt nicht nur die sich beschleunigende Verbreitung der Computertechnologie und damit verbundene technische Verfahren. Sie ist zum Inbegriff geworden für den Übergang in eine neue Zeit mit neuen Möglichkeiten und Fragestellungen. Doch wofür steht „Digitalisierung“ eigentlich? Diese Frage bildete den Ausgangspunkt, um eine Tagung auszurichten, die sich diesem Thema im Kontext von Philosophie und Theologie annehmen sollte. Dabei legten die Organisatoren Wert darauf, die Frage nicht nur in den gewohnten Kontexten zu diskutieren. Dementsprechend ist die Digitalisierung als gesellschaftlicher Prozess zu verstehen, der mit weitgehenden Folgen einhergeht: Sie berührt unser Denken, Handeln und Interagieren. Sie verwandelt uns und unsere Lebenswelt. Neben diesen transformativen Bewegungen lassen sich auch reduktive Tendenzen beobachten, wenn etwa soziale Interaktion zu technischer Kommunikation wird, oder wenn die Grenzen zwischen Mensch und Maschine immer mehr verschwimmen. Auch stehen wir nicht erst am Anfang dieser Veränderungen, sie haben längst begonnen und prägen unseren Alltag. Im Umgang mit der Technik haben sich neue kulturelle (Bewusstseins-)Formen entwickelt, die wir uns  vergegenwärtigen müssen, bevor wir sie verstehen können. Die Tagung ging diesen Fragen nach und identifizierte Digitalisierung als strukturellen Wandel der Gesellschaft. Korrespondierend dazu fasst der Begriff Digitalität die Sedimentierung dieses Transformationsprozesses als ein Bündel neuer Strukturen, die längst Wirklichkeit geworden sind. Beide Herangehensweisen wurden in ihren philosophischen, ethischen und theologischen Dimensionen erörtert und darauf befragt, wo sich reduktive und wo transformative Prozesse diagnostizieren und an ausgewählten Beispielen festmachen lassen.

Ausgehend von dieser perspektivischen Differenzierung startete die Tagung nach einer kurzen Begrüßung in die erste Sektion „Philosophische Aspekte“. Prof. Dr. Georg Gasser von der Universität Augsburg nahm in seinem Vortrag „Sehnsucht digitale Existenz: Anspruch und Wirklichkeit“ das Bewusstseinskonzept in den Blick, das sich hinter transhumanistischen Gedankenspielen verbirgt, und unterstrich dagegen die Relevanz des menschlichen Leibes für dessen Dasein. Anschließend widmete sich Dr. Jörg Noller von der LMU München mit „Interobjektivität: Zur Logik und Ontologie der Digitalität“ einer Begriffsbestimmung und Kategorisierung, sowohl angesichts der Differenzen von Digitalität und Digitalisierung sowie Simulation und Virtualität, als auch hinsichtlich möglicher Kategorien der Digitalität. Dr. Tobias Holischka von der KU Eichstätt stellte in seinem Vortrag „Grundlegende Überlegungen zu einer Phänomenologie der Digitalität“ an, indem er nach reduktiven Sichtweisen auf technische Phänomene fragte, die den Blick auf die Technik verstellten.

Nach der Mittagspause leitetet Prof. Dr. Christina Aus der Au von der PH Thurgau die zweite Sektion „Normative Aspekte“ ein. Ihr Vortag „Demokratie und Digitalisierung – wahre Kumpels oder falsche Freunde?“ wies anhand objektiver Faktoren auf Chancen und Risiken der Digitalisierung für die Demokratie hin, die letztlich nur durch Digital Literacy in ein vorteilhaftes Verhältnis gebracht werden könnten. Prof. Dr. Lukas Ohly von der Goethe-Universität Frankfurt am Main stellte sich anschließend der provokanten Frage: „Wen soll das selbstfahrende Auto am Leben lassen? Digitale Transformationen der Ethik“: Gerade weil selbstfahrende Autos in moralisch kritische Dilemma-Situationen geraten können, die sie jedoch nicht mit der nötigen Umsicht zu lösen vermögen, sei ihr Einsatz sehr problematisch. Den Abschluss der zweiten Sektion setzte Dr. Kaus Viertbauer von der KU Eichstätt, der sich in seinem Vortrag „Vom neuen Menschen zur neuen Menschheit – eine Kritik des  Transhumanismus“ sehr detailliert und präzise mit den ethisch-normativen Fragestellungen im Kontext des Traums der Überwindung der menschlichen Natur auseinandersetzte.

Die dritte Sektion „Praktische und theologische Folgen“ wurde eingeleitet von Dr. Stefan Scholz von der FAU Erlangen-Nürnberg, der sich mit dem „Umbau oder Abbruch von Strukturen? Digitale Wandlung und Wallfahrt von Bibelkulturen“ auseinandersetzte: Das Christentum als Buchreligion sei vom digitalen Wandel in besonderer Weise betroffen, der mit einer kulturellen Revolution wie etwa dem Buchdruck vergleichbar sei. Prof. Dr. Alexis Fritz von der KU Eichstätt sprach im Anschluss über „Die Normativität medizinischer Körperbilder. Ein Panorama geisteswissenschaftlicher Technikkritik“. Im Rückgang auf Ansätze der Postphänomenologie und u. A. auch Foucault bestehe eine Diskrepanz zwischen der eigenen Körperwahrnehmung und dem objektivierenden Blick medizinischer Bildgebung, die sich durch automatisierte Datenerhebung und -verarbeitung verstärke und auf diese Weise etwa zur Herausbildung problematischer Stereotypen von Normalität beitrage. Abschließend sprach Alexandra Kaiser-Duliba, ebenfalls von der KU Eichstätt, über „Moraltheologische Aspekte der Robotisierung in der Pflege“. Zwar gebe es gute Gründe für den Einsatz Sozialer Robotik in der Pflege, doch müsse einer Reihe von möglichen Problemen hinsichtlich der Leitlinien guter Pflege durch den Ausschluss problematischer Grenzsituationen und insbesondere durch den Rückgang auf den facettenreichen Begriff der Personengerechtigkeit vorgegriffen werden.

Nach einem arbeits- und erkenntnisreichen Tag setzten sich die inhaltlichen Diskussionen im Rahmen eines offenen Podiums ab 18:30 Uhr fort. Die Organisatoren gaben einen kurzen, strukturierten Überblick über die einzelnen Beiträge und ließen dabei auch das anwesende Auditorium zu Wort kommen. Die Tagung endete in einer Synopse ihrer Erträge für die größere und allgemeinere Diskussion um den Umgang mit den neuen Technologien im Rahmen von Philosophie und Theologie. In ihrem Ablauf verlief die Veranstaltung völlig reibungsfrei. Es gab weder Änderungen im Programm noch Störungen jedweder Art. Zu Spitzenzeiten waren bis zu 20 Gäste neben den neun Vortragenden in der Zoom-Sitzung anwesend. Die Veranstalter bedanken sich beim ZRKG für freundliche und finanzielle Unterstützung, sowie bei Jean-Claude Wildanger für die technische Hilfestellung. Die Tagung wurde veranstaltet von Dr. Tobias Holischka vom Lehrstuhl für Philosophie, sowie von Dr. Christian Henkel und Dr. Klaus Viertbauer vom Lehrstuhl von Theologie in Transformationsprozessen der Gegenwart. Eine erweiterte Publikation der Tagungsergebnisse erscheint 2022 bei J.B. Metzler.