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Dr. Antje Sablotny neues Mitglied im ZRKG

Antje Slabotny studierte Germanistik/Literaturwissenschaft und Musikwissenschaft an der Technischen Universität Dresden. Im Jahr 2017 promovierte sie mit einer Arbeit zu  "Zeit und âventiure. Zur narrativen Identitätskonstruktion des Helden in Wolframs von Eschenbach Parzival". Seit  März 2022 ist sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Ältere deutsche Literaturwissenschaft an der KU tätig. Seit Juli 2023 sie Mitglied im ZRKG und engagiert sich im Forschungsfeld I. Im Gespräch mit dem ZRKG stellt sie sich vor.

ZRKG: An welchem Forschungsprojekt arbeiten Sie aktuell?

A: Der Fokus meiner Arbeit liegt aktuell auf meinem Habilitationsprojekt mit dem Titel „Nach der lutherischen Zertrümmerung der Hagiographie – ‚Lebendige Predigten‘ alter und neuer Heiliger“. Ich untersuche besonders die lutherischen Bekenner- und Märtyrerhistorien des 16. Jahrhunderts, die in der Regel in umfangreichen gedruckten Sammlungen überliefert sind. Dabei gehe ich aus literaturwissenschaftlicher Perspektive den sehr spannungsreichen Transformationen des hagiographischen Erzählens nach: Relativ zeitgleich mit der invektiven Herabsetzung des altgläubigen Heiligenkults und vor allem der Heiligenlegende als sogenannte Lügende arbeiten die Protestanten am Aufbau einer eigenen identitätsstiftenden Hagiographie. Bei der Re- und Neukonstruktion alter und neuer Heiliger greifen sie auch auf traditionelle Erzählmodelle zurück, was notwendig zu performativen Selbstwidersprüchen führt. An den Kalendarien Caspar Goltwurms und Andreas Hondorffs sowie am achtbändigen Martyrologium Ludwig Rabus’, das nochmal als repräsentative zweibändige Folio-Ausgabe in den Druck gegangen ist, möchte ich jene Spannung zwischen Dekonstruktion, gar Destruktion von hagiographischen Traditionen bei gleichzeitigem Anschluss an diese erfolgreichen Muster aufzeigen. Mit meiner Arbeit möchte ich den Blick schärfen für die komplexen Gattungsdynamiken im Zeichen der konfessionellen Auseinandersetzungen und gegenseitigen Herabsetzungen zwischen den altgläubigen und den protestantischen Vertretern im Streit um den ‚wahren‘ Glauben im 16. Jahrhundert.

ZRKG: Wie sind Sie zu diesem Thema gekommen?

A: Mein Thema hat sich ganz natürlich aus meiner Arbeit am Dresdner Sonderforschungsbereich 1285 „Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung“ ergeben. Im mediävistischen Teilprojekt E „Sakralität und Sakrileg. Die Herabsetzung des Heiligen im interkonfessionellen Streit des 16. Jahrhunderts“ habe ich mich insbesondere mit den lutherischen Lügenden-Sammlungen, die im hagiographischen Gattungszusammenhang eine wichtige – bis dato aber unterschätzte – Scharnierstelle darstellen, beschäftigt. Mein Habilitationsprojekt schließt unmittelbar an diese Studien an und arbeitet gewissermaßen die zweite Seite derselben Medaille in einer umfassenden Monographie auf. Dabei begleitet mich eine anhaltende Faszination für das beharrlich aktuelle gesellschaftliche Phänomen der Invektivität, das aber eben nicht nur destruktive, sondern auch produktive Kräfte entfalten kann.

ZRKG: Was motiviert Sie, einem interdisziplinären Forschungszentrum beizutreten? Gibt es Themen, die Ihnen dabei besonders wichtig sind?

A: Der interdisziplinäre Austausch kann enorm produktiv und impulsgebend sein. Grundsätzlich ist die Legende im interdisziplinären Feld v.a. der Germanistik, Theologie, Klassischen Philologie, Geschichte und Kunstgeschichte zu verorten. Insofern ist es für deren profunde literaturwissenschaftliche Analyse wichtig, die unterschiedlichen fachwissenschaftlichen Perspektivierungen zu berücksichtigen, mit ihnen in den Dialog zu treten und von ihnen zu lernen. Ich selbst würde mich als theorieaffin beschreiben; ich schaue gern auf Modelle und Konzepte anderer Disziplinen, um sie für meine Gegenstände fruchtbar zu machen. Gerade, wenn es – wie in Forschungsfeld I – um Strukturmomente religiöser Transformationen geht, die sich in Medien und Praktiken niederschlagen und beobachten lassen, sind theoriegeleitete Entwürfe geeignete Instrumente, die einzelnen Fachdisziplinen zusammenzuhalten. Dahingehend sehe ich einen ausdrücklichen Mehrwert in der interdisziplinären Arbeit unter dem Dach des ZRKG.

ZRKG: Gibt es eine Disziplin neben Ihrem eigenen Fach, der sie sich besonders verbunden fühlen? Und wenn ja – warum?

A: Im Studium war Musikwissenschaft mein zweites Hauptfach, dem ich mich weiterhin sehr verbunden fühle. Nicht nur für den forschenden Blick auf die Neukonzeption des geistlichen Lieds im Zuge der Reformation bilden Literatur- und Musikwissenschaft ein gutes Team. Darüber hinaus mag ich die Soziologie, weil sie nicht weniger als unser gesellschaftliches Zusammenleben zu erklären versucht und mit spannenden komplexen Theoriemodellen aufwartet. Das Luhmann’sche Kommunikationsmodell bspw. finde ich sehr attraktiv, um die elementare Wechselbeziehung von Literatur und Gesellschaft zu erhellen. Gesellschaftliche Transformationen bedeuten immer auch kulturellen Wandel – das gilt ganz besonders für religiöse Gattungen und ihren Sitz im Leben.

ZRKG: Vielen Dank für das Gespräch.